(Veröffentlicht in: Elternhaus und Schule, Heft 4/1986, S.20)
Das Spiel ist die wichtigste Tätigkeit des Vorschulkindes.
Kommt es in die Schule, dominiert das Lernen mehr und mehr. Dabei verlieren Spiele – mit Freunden, allein oder mit der ganzen Familie – nichts von ihrem Reiz. Daß sich gerade im Spielverhalten Fortschritte und Schwierigkeiten der Entwicklung unserer Kinder widerspiegeln, sozusagen schlaglichtartig erhellt werden, zeigt Dr. Harald Pätzolt.
Spiele im Spiel oder Wenn zwei dasselbe tun…
Wie andere Familien sitzen auch Schulzes am Sonntagnachmittag im Wohnzimmer und spielen gemeinsam mit den Kindern »Mensch, ärgere dich nicht«. Kai (4 Jahre alt) verärgert alle, indem er behauptet, immer Sechsen zu haben. Wenn seine Spielfigur dann drei Plätze zurückgesetzt wird, ist er beleidigt. Kai weiß zwar, daß jeder nur so viele Schritte machen darf, wie er Punkte gewürfelt hat. Doch erstens lassen die anderen ihm nie genug Zeit, die kleinen Punkte auf dem Würfel richtig zu zählen, und zweitens macht ihm gerade das Setzen mit dem lauten »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs!« mächtig Spaß. Das Zählen bis 10 beherrscht er nämlich schon. Drittens kommt hinzu, daß der Wetteifer Kai gepackt hat, eine Fähigkeit, die sich im Alter zwischen drei und sechs Jahren so richtig herausbildet.
Die nächste Aufregung bahnt sich an. Mutter hat gerade lauter Sechsen und würfelt und würfelt – Kai sammelt unterdessen seine roten Männlein ein und stellt sie in eine Reihe. Er nutzte die seinen Wetteifer hemmende Pause und entdeckte etwas Neues. Auch hat das für die Älteren so kurzweilige Spiel ihn doch beträchtlich angestrengt.
Solche »Spiele im Spiel« ergeben sich bei Vorschulkindern häufig. Oft verraten gerade sie uns Neues über die innere Welt unserer Kinder.
Sieg und Niederlage oder Zähne zusammenbeißen
Susi, frischgebackenes Schulkind und bereits Pionier, zeigt neuerdings eine unangenehme Eigenart: Sie kann nicht mehr verlieren. Überdies äußert sie sich gelegentlich herablassend über Kai, wenn er beispielsweise nicht rasch genug zählt. Auch hier zeigen sich im veränderten Spielverhalten Probleme des Übergangs in eine neue Etappe.
Natürlich ist Susi zunächst wie viele Kinder ihres Alters weit über die »Kleinen« im Kindergarten erhaben. Von ihrer neugewonnenen Stellung aus muß sie auch ihre sozialen Beziehungen wieder neu regeln. In der geschilderten Spielsituation kann ein freundliches Wort Susi helfen.
Und ein weiterer Umstand macht Susis merkwürdiges Verhalten erklärlich. Gegen Ende des Vorschulalters haben die meisten Kinder eine neue Einstellung zu Sieg und Niederlage im Spiel gewonnen. Sie erleben diese nun ganz bewußt als Erfolg und Mißerfolg und bauen ihr Spielverhalten danach selbständig auf. Wir Eltern erfahren im Spiel, wie unsere Kinder das tun, ob sie eine realistische Haltung zu ihrer Leistung haben. Und wir müssen uns immer vergegenwärtigen, daß sie unser eigenes Spielverhalten sehr genau beobachten.
Aus Spaß wird Ernst oder Ina emanzipiert sich…
Müllers machen die überraschende Entdeckung, daß die übliche Gemütlichkeit beim Kartenspiel sich urplötzlich nicht mehr einstellt. Im Gegenteil. Ina kritisiert ernsthaft erbost ihre Mutter, die zu Vaters Gunsten ein bißchen schummelt, um ihn bei Laune zu halten. Das kam schon öfters vor, und Ina war dann immer eingeschnappt. Doch nun haben Müllers richtigen Streit mit ihrer Tochter über Ehrlichkeit und Selbstbewußtsein. Im Alltag war ihnen die »Aufmüpfigkeit«, der Rigorismus ihrer knapp dreizehnjährigen Tochter schon aufgefallen, doch nun, meint Vater Müller, reicht’s. Da täuscht er sich. In der Mittelstufe werden die Kinder zunehmend kritischer und prüfen Wort und Tat – gerade der Eltern. Normen und Regeln werden wie so ziemlich alle Verhaltensweisen bewußt akzeptiert oder verworfen. Hier, im veränderen Spielverhalten Inas gegenüber den Spielpartnern (Eltern), zeigt sich klar ein wichtiger Entwicklungsschritt hin zum Jugendlichen. Und den müssen Müllers mitgehen.
Spielend durch Sturm und Drang?
Frank und Uwe treffen sich mit Freunden im Kiez. »Oh, Mann!« stöhnt Uwe. »Wenn ich an den Sonntagnachmittag >ganz in Familie< denke, wird mir schlecht. Ewig >Rommé< oder >Mensch, ärgere dich nicht, und dann heult mein kleiner Bruder jedesmal, wenn’s, ans Verlieren geht. Das ist vielleicht öde !«
»Junge, paß doch auf!« herrscht Vater Uwe an. Der hat wieder eine Chance verpaßt und zuckt nur mit den Schultern. Kurz darauf schmeißt Vater die Karten auf den Tisch: »Also, spielen wir nun oder wie? Dann aber ordentlich und nicht so lahm!« Uwe legt seine Karten hin. »Ich habe keine Lust auf >Rommé< und schon gar nicht aufs Gewinnen!« Sagt’s, steht auf und verschwindet in sein Zimmer. Die übliche Verstimmung greift um sich.
Deutlicher als in dieser Situation hätte den Eltern nicht werden können, in welcher Spannung Uwe zur Zeit in der Familie lebt. Er hat seine eigenen Ansprüche und Interessen, die er offensichtlich noch nicht in der Familie anmelden konnte. Dabei ist er bereit, sich an Absprachen zu halten (Schließlich hat er sich ja dem obligatorischen »Rommé« gefügt!). Es wird sich zeigen, ob Uwe sein eigentlich doch vorhandenes Interesse an einem gelegentlichen Spiel im Familienkreis realisieren kann – etwa wenn die Eltern das Wochenende gemeinsam mit ihm planen – oder ob er zwangsläufig zum »Spielverderber« wird, der er doch gar nicht ist.