Darf’s ein Paar Ohren mehr sein?

(Veröffentlicht in: Elternhaus und Schule, 11/90, S 13)

 

Es geht ums Hören und Zuhören-Können

Wie viele Ohren haben Sie? Zwei? Gut, es wird schon stimmen. Den­noch möchte ich Sie weiter fragen:

Reicht Ihnen das eine Paar Ohren? Oder hätten Sie gern noch ein Paar dazu?

Die Art, wie wir aufeinander hö­ren, wie wir verstehen, was der an­dere meint, und entsprechend rea­gieren können, erkennen wir am besten, wenn wir einmal die allge­meine Natur der Nachrichten be­trachten, die wir im Gespräch empfangen und an andere senden. Jede Nachricht hat vier wichtige Aspekte oder Seiten. Da ist zum ersten der Sachaspekt. Die Sach­information ist selbstverständlich immer eine andere. Wir reden übers Wetter, über die Kinder … Zum zweiten enthält jede Nach­richt einen Selbstoffenbarungs­aspekt. Das heißt, gleich, über welche Sache ich gerade rede, ich teile – unbewußt oder bewußt­ – meinem Gegenüber immer etwas über mich selbst mit. Wenn die Rede vom Wetter ist, so kann ich zum Ausdruck bringen, daß es mir nicht gleichgültig ist, wie das Wet­ter wird … Jede Nachricht enthält also ein Stück von mir, das sich dem Gegenüber offenbart.

Zum dritten, das werden Sie mir sicher bestätigen, steckt in jeder Nachricht ein Beziehungsaspekt. Sie teilen ihrem Gegenüber immer auch etwas darüber mit, was Sie von ihm halten. Sei es mit dem Tonfall, mit der Wahl der Formu­lierungen, sei es mit Ihrer Gestik, Mimik oder Körperhaltung. Ir­gendwie fließt doch immer in Ihre Nachricht ein, wie Sie die Bezie­hung zum Gegenüber einschätzen, und das teilt sich ihm mit.

Zum vierten enthält jede Nach­richt einen Appell. Nachrichten haben fast immer die Funktion, Einfluß auf den anderen zu neh­men. Auf sein Denken, sein Han­deln.

Nun verstehen Sie sicher auch, was es mit dem zweiten Paar Oh­ren auf sich hat. Wir brauchen nämlich vier Ohren, um die einzel­nen Aspekte jeder Nachricht, die uns erreicht, aufzunehmen. Wir haben also ein “Sach-Ohr” für die Sachinformationen. Wir haben ein “Beziehungs-Ohr”, ein “Selbstof­fenbarungs-Ohr” und ein “Appell­-Ohr” . Wir hören eigentlich mit al­len Ohren gleichzeitig. Aber wir sind auch in der Lage, die Ohren gewissermaßen einzeln zu benut­zen. Dann lassen sich die Aspekte einer Nachricht auseinanderhal­ten. Jedes Ohr führt uns zu einer eigenen Antwort.

Versuchen Sie bitte, aus den fol­genden Antworten auf das jewei­lige “Ohr” zu schließen.

Die Tochter kommt aus der Schule und sagt: “Ich habe heute eine 3 in der Mathearbeit bekommen.” (Sie ist eine sehr gute Schülerin.) Mut­ter/Vater sagt:

1. “Was waren das für Aufga­ben?”

2. “Na komm, erzähl mal!”

3. “Wir machen gleich die Berich­tigung!”

4. “Nun ärgerst du dich und bist traurig.”

Vater kommt nach Hause, das Kinderzimmer ist in Unordnung. Er schnauzt das Kind an: “Was ist denn das schon wieder für ein Durcheinander!?” Das Kind ver­steht:

1. “Oh je, jetzt muß ich schon wie­der aufräumen!”

2. “Hat der aber miese Laune!”

3. “So unordentlich ist es doch gar nicht!”

4. ,,Ich bin unordentlich!”

Die Klassenlehrerin sagt zur Mut­ter einer Schülerin: “Ihre Tochter hat in letzter Zeit Fortschritte in Physik gemacht. Sie kann am Ende eine 3 bekommen.” Die Mutter versteht:

1. “Die tut so, als ob es ihr Ver­dienst sei. Dabei haben wir fast täglich geübt.”

2. “Ich weiß ja, daß Sie meine Tochter für unbegabt halten.”

3. “Wir müssen weiter mit unserer Tochter arbeiten, damit sie am Ende wirklich eine 3 schafft.”

4. “Stimmt, unsere Tochter hat in letzter Zeit bessere Zensuren in Physik bekommen.”

Haben Sie die richtigen Ohren er­kannt? Dann darf ich Ihnen zum Schluß noch eine letzte Frage stel­len: Mit welchem Ohr hören Sie, Ihr Partner, Ihre Kinder am be­sten? Im nächsten Heft werde ich Ihnen dann von den Tücken ein­seitigen Hörens erzählen.


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