(Veröffentlicht in: Junge Welt, 14. Februar 1991, S.3)
Das Interview mit Dr. Harald Pätzolt vom Institut für interdisziplinäre Zivilisationsforschung zum Bild der Juden und Israels bei Ostdeutschen
Wir Deutschen, Israel und die Juden lautete das Thema einer Untersuchung, die von Sozialwissenschaftlern des Instituts für interdisziplinäre Zivilisationsforschung an der Berliner Humboldt-Universität vorgenommen wurde. Erste Teilergebnisse liegen jetzt vor, die Forschungen selbst mußten wegen des Golf-Krieges unterbrochen werden, da die aktuelle Politik die tatsächlichen Verhaltensmuster vermutlich überlagert und damit die Ergebnisse verfälschen könnte. Was jedoch war der Ausgangspunkt für diese Pilotstudie?
Politische Psychologie war ja bis zur Wende hierzulande verboten, obgleich notwendig. Ausgangspunkt für uns war die Krise der nationalen Identität der Ostdeutschen, die eben nach der Wende einsetzte. Mit Beginn des Wintersemesters 1990 nahmen wir empirische Untersuchungen zu verschiedenen Teilfragen vor, etwa die Akzeptanz der staatlichen Gewalt oder Aspekte der nationalen und europäischen Identität; ein Unterpunkt befaßte sich mit dem subjektiven Verhältnis der Ostdeutschen zu den Juden und zu Israel.
Was konkret haben Sie gemacht?
Wir haben einmal DDR-Standardwerke zur deutschen Geschichte, Parteitagsdokumente der SED und Schulbücher danach untersucht, ob und in welcher Weise die Begriffe Juden, Israel, Zionismus und Antisemitismus vorkamen. Damit wollten wir feststellen, wie in der DDR Vorurteile produziert wurden, die heute eventuell noch wirken. Zum anderen befragten wir Lehrerinnen, Schülerlnnen und Azubis um mögliche Wirkungen dieser Erziehung festzustellen.
Es war ja ein offenes Geheimnis, daß zum Thema Juden kaum was gesagt oder geschrieben wurde, erst 1988 erinnerte man sich ihrer; und Israel war der stete Bösewicht im Nahen Osten. Muß man das heute wirklich noch beweisen?
Hegel hat einmal sinngemäß gesagt: Alles das, was bekannt ist, ist dadurch, daß es bekannt ist, noch nicht erkannt. Außerdem geht es ja nicht nur um die Feststellung von Defiziten und Einseitigkeiten, wir wollen weder Frau Honecker eine Rechnung präsentieren, noch irgendjemand etwas beweisen – sondern es geht darum, über die Unterschiede ethnischer Gruppen zu reden, sich ihrer bewußt zu werden und damit leben zu lernen. Also einen solchen Zustand herzustellen, wie er von Bobrowski in „Lewins Mühle“ beschrieben ist. Da lebten Deutsche, Polen, Juden, Zigeuner und andere friedlich nebeneinander; sie trugen ihre Konflikte miteinander aus, ohne sich die Schädel zu spalten, man akzeptierte sich in seiner Unterschiedlichkeit.
Ich verstehe. Aber zu welchen konkreten Ergebnissen sind Sie gelangt? .
Juden wurden in diesen DDR-Texten fast ausschließlich als historisches Thema behandelt, als Opfer der Nazis, gelegentlich auch wirtschaftlicher Interessen – kaum aber als Opfer des Verhaltens der Mehrheit der Deutschen. Dieser Opfer-Mythos war eingebettet in den Antifaschismus-Mythos. Juden tauchten kaum als Subjekte auf, und über ihren Beitrag zur Weltgeschichte, über ihre Kultur, ihre Religion, ihre ethnischen Besonderheiten erfuhr man so gut wie nichts. Das Thema Zionismus war tabu, und nur zweimal in 21 dicken Büchern tauchten Juden in Verbindung mit dem Staat Israel auf. Das Bild Israels war geprägt durch den Täter-Mythos: Offiziell galt es als imperialistischer Aggressor, nie war der Staat selber Opfer auswärtiger Interessen. Das Land oder das Volk Israel kam in diesem DDR-Bild nicht vor. Über den Antisemitismus wurde lediglich mitgeteilt, daß er eine Ideologie gewesen sei, die die Nazis benutzten; ein abgeschlossenes Kapitel also.
Im Grunde also waren die Juden nur Objekte, über die es nichts zu berichten gab; mit ihnen hatte die antifaschistische DDR lediglich gemein, daß diese wie ihre erste Garde Opfer das Faschismus geworden waren. Und der Staat Israel hatte mit „unseren“ Juden überhaupt nichts zu tun, das war ein völlig anderes Thema.
Die Juden – ein unbekanntes Volk, Israel – ein unbekanntes Land. Das wäre vielleicht noch die harmloseste Wirkung einer solcher Darstellung. Was brachten Ihre Befragungen?
Daß für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Befragten der Staat Israel kriegerisch, unberechenbar und rücksichtslos sei – hier schlagen noch voll die alten Klischees durch. Daß die Landschaft Israel als schön, anziehend und fern charakterisiert wurde, also als besuchenswert gilt. Und daß die Juden den Deutschen fremd sind. Man akzeptiert sie durchaus im Lande, im Ort, aber in der unmittelbaren Umgebung, bei der Arbeit, als Nachbarn oder gar in der Familie möchte man sie nicht haben. Erfreulich einzig die Tendenz, daß immer mehr Deutsche ihr Verhalten zu anderen nicht von deren ethnischer Herkunft abhängig machen.
Hat die einseitige Darstellung Israels aus der antiimperialistischen Perspektive der offiziellen DDR Konsequenzen für die Bewertung des Golfkrieges?
Natürlich. Es kommen die negativen Züge des alten DDR-Bildes wieder hoch. Oder das Gegenteil tritt ein, weil man die DDR ablehnte. Pro Israel, pro USA stehen contra Israel, contra USA gegenüber, differenzieren kann man nicht, da man nichts oder nur wenig über diese Länder weiß.
Ist das Negativerhalten der Ostdeutschen zu Israel antisemitisch?
Nein. Das sind generelle Haltungen von Ostdeutschen gegenüber Fremden diese bestimmen stark auch das Verhalten zu den Juden. Spezifische Vorurteile gegenüber Juden sind dies kaum.
Zu welchen Schlußfolgerungen zwingen solche Erkenntnisse?
Daß es nicht beliebig ist, wo wir mittels der Pädagogik, mit den Medien, der Politik Fremdheit beginnen abzubauen, sondern daß wir bei den Juden und bei Israel anfangen müssen. Das ist ein Tei unserer Geschichte, die wir Jahrzehnte verdrängt oder höchst simpel verarbeitet haben. Es geht nicht darum, Israel und den Juden ein positives Image zu verpassen, den Staat vielleicht noch in die EG aufzunehmen oder jetzt – mit dem schlechten Gewissen wegen dieser Versäumnisse – Pro-Israel-Demonstrationen abzuhalten. Sondern es geht darum, die mit politischer Absicht produzierte Entfremdung gegenüber anderen Völkern, die Juden eingeschlossen, durch Aufklärung aufzuheben.
Interview: Frank Schumann