Wir, Israel und die Juden

 

(Veröffentlicht in: Berliner Linke Nr. 6, Februar 1991, S. 6)

Auch Sozialwissenschaftler sind hart im nehmen geworden, geht es um die Besichtigung der Erbschaft der DDR. Manches allerdings, was langsam sichtbar wird, ist nicht nur bedrückend, sondern auch erklärungsbedürftig. So las ich im Report des Zentralinstitutes für Jugendforschung Leipzig über den Wandel der politischen Mentalität Jugendlicher seit der Wende in der DDR folgenden Satz: “Mehr als die Hälfte der (befragten – H. P.) männlichen Schüler und Lehrlinge verhält sich distanziert bzw. feindlich zu Arabern, Kubanern, Afrikanern, Vietnamesen, Polen, Israeli und Türken. Weibliche Schüler verhalten sich etwas weniger distanziert.” (1)

Einmal abgesehen davon, daß hier mißverständlich Antwortverhalten in einer Umfrage mit Realverhalten im Alltag vermischt wurde, bleibt doch die bedrückende Tatsache, welche Mentalitäten hier in 40 Jahren wachsen konnten. Und: Was machen denn die Israeli in dieser Aufzählung? War die Frage nach den Israelis ein methodischer Trick der Forscher, etwas über die Einstellung zu den Judenzu erfahren? Also mehr als die Hälfte antisemitisch oder antiisraelisch? Oder beides?

Das hat unsere Forschungsgruppe auch interessiert. Wir wollten wissen, wie das subjektive Verhältnis der Ostdeut­schen zu den Juden und zu Israel sich beschreiben läßt. Wir wollten niemandem eine Rechnung präsentieren und nie­mandem etwas beweisen. Wir wollten uns selbst darüber etwas Klarheit verschaffen, die Sprache wiedergewinnen. In einer ersten Teilstudie untersuchten wir die offizielle Produktion von Vorurteilen über Juden und über Israel. Dazu analysierten wir Standardwerke zur deutschen Ge­schichte, Parteitagsdokumente der SED und Schulbücher. Dabei hatten wir die Hypothese, daß das Bild der Juden über einen historisierenden Opfer-Mythos vermittelt wurde und dies aus der Perspektive einer DDR, die selbst in einem Antifaschismus-Mythos eingebettet war. Und in der Tat, Juden wurden fast ausschließlich als historisches Thema behan­delt. Sie wurden dargestellt als Opfer, vorrangig der Nazis, gelegentlich auch wirtschaftlicher Interessen. Kaum aber als Opfer des Verhaltens einer Mehrheit des deutschen Volkes. Außerhalb dieses Opfer-Mythos tauchten in den Texten Juden nur vereinzelt auf. Als Subjekte erschienen sie selten. Kaum etwas erfuhr man über ihren Beitrag zur Weltgeschichte, ihre Kultur, ihre Religion, ethnische Ei­genarten. Über den Antisemitismus lasen wir, daß er eine Ideologie gewesen sei, die die Nazis benutzten. Wie das Zerrbild aussah, welches von den jüdischen Menschen gezeichnet worden war, stand nirgends. Die Juden als Objekte, über die nicht viel zu berichten war. Als Opfer anderer, der Faschisten. Mit denen die antifaschistische DDR und ihre Bürger eben nur dies gemein hatte: den bezwungenen Feind Faschismus.

Unsere zweite Hypothese ging davon aus, daß das Bild Israels geprägt wurde durch einen Täter-Mythos vom imperialistischen Aggressor und den Antiimperialismus-Mythos der DDR. Tatsache ist, daß Israel in den von uns analysierten Texten nur als Täter, nie als Opfer beschrieben worden ist. Als Aktivitäten wurden fast ausschließlich militärische genannt. Die absolut dominierenden Attribute waren „aggressiv” und „imperialistisch”. Die Rede war ganz überwiegend vom Staat Israel, kaum vom Land, kaum von der Bevölkerung. Dafür wurde die Gegnerschaft zu Israel wohl betont. Gravierend ist, daß in allen 21 Büchern nur an zwei Stellen Israel und die Juden in einen Zusammenhang gebracht worden sind. Das war schon beeindruckend für uns: wo von Israel die Rede war, kamen keine Juden vor und wo von den Juden die Rede war, fehlte Israel. Auch das Thema Zionismus war tabu. Eines aber hatten die Bilder der Juden und des Staates Israel gemein: Sie blieben, abgesehen von den wenigen genannten Strichen, leer. Ein unbekanntes Volk, ein unbekanntes Land. Das Unbekannte aber ist immer das Fremde.

Würde sich diese letzte Feststellung auch für die Mentalitäten von Ostdeutschen bestätigen lassen? Schließlich waren die offiziell gezeichneten Bilder nur Angebote neben anderen. Es gab doch Literatur, Filme, gute LehrerInnen, Mitmenschen, die mehr zu erzählen wußten. Und dann das Fernsehen. Wie also sind die Bilder von den Juden, von Israel, in den Köpfen der Menschen hier?          .

Bei einer, freilich kleinen, Stichprobe von LehrerInnen, SchülerInnen und Lehrlingen fanden wir, daß die aus einer Eigenschaftswörterliste am häufigsten genannten Eigenschaften von Juden aus der Gruppe der sogenannten negativen Beziehungseigenschaften stammen. Das heißt, die Fremdheit der Juden wird betont. Dann folgen als weitere häufig genannte Eigenschaften die aus der Gruppe der sogenannten positiven intellektuellen Eigenschaften und aus der Gruppe “Solidität”, einer Gruppe positiver Charaktermerkmale (etwa Stetigkeit, Fleiß, Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit).  

Bei der Messung der sozialen Distanz zu den Juden zeigten sich zwei Tendenzen. Eine Tendenz ist sehr erfreulich, sie zeigt eine starke Gruppe, die ihr Verhalten zu anderen nicht von deren ethnischer Herkunft abhängig machen will. Eine anders starke Gruppe neigt eher dazu, die Juden wohl im Heimatort zu akzeptieren, aber auch den eigenen sozialen Nahbereichen (Arbeit, Familie, Wohnen) fernzuhalten. Dies deutet darauf hin, daß generelle Einstellungen Fremden gegenüber das Bild der Juden stark bestimmen. Spezifische Vorurteile gegenüber Juden dürften dies weniger sein.

Was nun das Bild Israels betrifft, so fallen drei Dinge auf. Einmal scheint weitgehende Übereinstimmung zu herr­schen in Bezug auf eine Kurzcharakteristik Israels als eines fernen, schönen und anziehenden Landes. Unbekannte Landschaften und unbekannte Menschen lösen nicht glei­chermaßen Abwehrreaktionen aus. Weiter zeigt sich, daß eine starke Gruppe Israel durchaus als kriegerisch und un­berechenbar und rücksichtslos bezeichnet. Endlich aber, das scheint uns am bedeutsamsten, zeigte sich, daß die meisten Urteile über Israel ganz unbestimmt blieben. Das Bild Israels ist das eines fremden, unbekannten Landes, dem man keineswegs feindlich gegenüber steht. Wohl aber sind bei vielen von uns negative Züge in dieses Bild gezeichnet.

Unser Zwischenfazit lautet: Es sollte eher darum gehen, Fremdheit abzubauen als existierende Vorurteile. Wo und wem gegenüber wir anfangen, ist sicher nicht egal. Es müßte schon hier sein. In unserer Geschichte, die uns selbst, in der wir uns selbst noch allzu fremd sind.

 (1) vgl.: Haltungen zu rechtsradikalen Forderungen und Einstellungen zu Angehörigen verschiedener Völker. In: Utopie kreativ Heft 4 Dezember 1990)


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