Zeit für Frieden. Plädoyer gegen schnelle Antworten

(Veröffentlicht in: Elternhaus und Schule 6/91, S. 6 – 7)

Über das Thema Frieden und unseren Umgang mit Kindern – eigenen, uns anvertrauten und fremden – zu schreiben, das stieß bei mir auf ganz unerwartete Wi­derstände. Vor allem drei Beden­ken versperrten mir plötzlich den Weg:

Ist erstens nicht schon alles We­sentliche zu diesem Thema irgend­wann von irgendwem gesagt wor­den? In der Tat, seit Menschenge­denken beschäftigte die Frage nach den Möglichkeiten fried­lichen Zusammenlebens viele große Geister. Und die Zahl der Wissenschaftlerinnen, PädagogIn­nen, PsychologInnen, die sich zu Themen wie Aggression, Konflikt­verhalten und anderen Aspekten der Friedenserziehung äußern, nimmt stetig zu. Ist dem noch et­was Neues hinzuzufügen? Oder gehört das Thema Kinder und Frie­den zu denen, die es erforderlich machen, das tausendmal Gesagte zum tausendersten Mal zu sagen, damit es nicht doch überhört wird. Ist zweitens nicht Skepsis ange­bracht, wenn dieses Thema so ver­marktet wird? Schließlich verdie­nen Expertinnen in Sachen Krieg und Frieden ihren Lebensunterhalt damit. Es ist ihr job. Für die Medien ist das Thema eines, das zum Geschäft gehört. Stimmt es, daß laute Reden über Hoffnung heute nur zynische Fabrikate sind, daß, wer hoffen will, dies still tun muß? Endlich die dritte Sorge: Frie­den als pädagogische Idee – be­lasten wir da nicht Kinder mit der Verantwortung, ein Problem zu lösen, welches wir selbst nicht zu lösen vermögen? Ist vielleicht die Pädagogisierung der globa­len Menschheitsprobleme ein Schleichweg heraus aus eigener Verantwortung?

Ich kann und will diese Bedenken nicht ausräumen. Nehmen Sie sie als Anmerkungen zum Problem, das der große Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeld so formuliert hat: “Es geht darum, wie die Tatsa­che aus der Welt zu schaffen sei, daß völlig gesunde, im Alltag freundliche junge Männer in den Krieg ziehen und dann Mitmen­schen umbringen.”

Und auf diese Tatsache gibt es nur eine vernünftige Antwort. Die hat Heinrich Mann schon 1937 for­muliert: “Man muß immerfort han­deln und etwas tun. Wer nur zu­sieht, wartet vergeblich, daß Frie­den kommt. Von allein kommt nur der Krieg.”

In diesem Sinne muß man also auch im Umgang mit den Kindern etwas tun. Dieses “Muß” beinhal­tet eigentlich keine Forderung, kei­nen Appell an andere. Es drückt vielmehr aus: Ich kann einfach nicht anders. Ich muß darüber mit meinen Kindern reden. Ich muß mit anderen gemeinsam etwas un­ternehmen, um dem Frieden nä­her zu kommen. Dazu aber, sich selbst zu befragen, braucht es Zeit. Ruhe. Muße. Also das, was wir heute am meisten in unserem Alltag vermissen.

Schon ist der Golfkrieg wieder aus unseren Gedanken verschwun­den. Dabei interessiert es mich brennend, wie die vielen hundert­tausend Soldaten aus den USA und den anderen Staaten das alles dort erlebt haben. Wie wird man damit fertig, so viele Menschen “sauber” getötet zu haben? Hat der moderne Krieg für den Sieger allen Schrecken verloren? Haben sie Angst gehabt, die Helden? Wo­von träumen sie nun und die näch­sten Jahre? Und was werden sie ihren Kindern erzählen? Werden sie ihre Jungs, wenn die groß sind, in die Army schicken? Und wor­über würden wir miteinander re­den, wenn wir uns träfen?

Das sind Gedanken, die manchem von uns vielleicht in den Sinn kom­men. Ist die Antwort auf die Frage, ob Deutsche beim nächsten Mal mittun sollen und ob ich meinen Kindern zur Verweigerung raten soll, noch einfach? Ich denke, sie ist es nicht. Alle raschen Antwor­ten, auch die der Friedensforscher, haben etwas Gewaltsames an sich. Sie wollen beeindrucken. Vielfach schaffen sie das. Aber sie werden eben auch rasch wider­legt.

Kriege seien heute nicht mehr führbar. Oder nicht gewinnbar. Sie seien kein Mittel mehr, Probleme zu lösen. Das war zu einfach ge­dacht. Das kommt, wenn irgend­wann das Fragen aufhört. Wenn man fertige Antworten hat. Re­zepte. Das geschieht uns immer wieder. Gerade auch bei den Lieb­lingsthemen der Friedenspädago­gik. Wie ist das mit dem Kriegs­spielzeug? Zu einfach, zu sagen, es sei zu ächten. Erstens gelingt dies nur punktuell, in Oasen ge­wissermaßen. Zweitens ignoriert man, daß die militärische, die mili­tarisierte Realität von den Kindern (nicht nur, aber auch) spielerisch bewältigt werden muß. Und oft vergißt man die eigene Erfahrung mit derartigem Gerät. Bin ich nicht trotz intensivster Beschäftigung mit solchem Spielzeug (oder viel­leicht auch wegen derselben) zu vernünftigen Einsichten gekom­men? Selbstbefragung. Und dann die Mitteilung der Resultate des Er­innerns. Überraschung: Die von mir so selbstverständlich behaup­tete Faszination des Technischen an Waffen, auch am militärischen Spielzeug, ist so selbstverständlich gar nicht. Ruhig, fast behutsam, teilt mir eine Kollegin mit, daß sie und andere Frauen diese Faszina­tion, das tolle Gefühl des schwe­ren, kalten Metalls einer Waffe als Mädchen ebensowenig empfun­den haben und heute nachvollzie­hen können wie die durchaus vor­handene, wenn auch gebremste Begeisterung für Boxen, Fußball oder ähnliches.

Nachfrage ist also notwendig. Es mag merkwürdig klingen, aber ich erlebe es so: Auch in der psycho­logischen und pädagogischen Friedensforschung bekommt man entschieden mehr Antworten mit­geteilt als Fragen, Nachfragen ge­stellt. Das ist keine gute Ausgangs­basis fürs Handeln, von dem Hein­rich Mann im obengenannten Zi­tat sprach. Überhaupt ist es dabei in der Wissenschaft wie in der pädagogischen Praxis: Unsere Partne­rInnen wollen nicht nur gefordert, sie wollen auch gefragt sein. Dafür gibt es gerade in der Friedenserziehung einen ganz einfachen Grund: Erkenntnis und das notwendige Tun für den Frieden ist ­nur kooperativ, im Miteinander möglich. Niemand kann aus bes­serer Einsicht für andere die Verantwortung und Entscheidung über Krieg und Frieden übernehmen. Wie das im Großen ausgeht, wenn Regierungen, Militärs und ­andere Eliten darüber entscheiden, ist bekannt. Wir sollten niemanden, auch unsere Kinder nicht, zum Frieden bekehren, ihnen den Frieden einreden. Gemeinsam auf dem Frieden bestehen, nach Wegen suchen und diese gehen – das sollten wir tun. Hören wir noch einmal Irenäus Eibl-Eibesfeld: “Krieg und Frieden sind Alternativen, für die wir Anlagen mitbringen. Die Tatsache, daß wir diese Zusammenhänge durchschauen, gibt uns die Möglichkeit, uns zu entscheiden, und wie immer wir die Weichen stellen – wir tragen die volle Verantwortung.”


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