(veröffentlicht in: UNSERE NEUE ZEITUNG -PDS Thüringen-, 1993)
Welche Hauptargumente gibt es für eine Herabsetzung des Wahlalters?
Jugendliche haben im allgemeinen ein ebenso ausgeprägtes Interesse wie die Volljährigen. Sie besitzen die gleiche politische Entscheidungsfähigkeit. Viele wollen das Wahlrecht. Es wäre nur ein weiteres Recht, welches zu den bisher gewährten Rechten hinzukommt. Außerdem handelt es sich um eine Anpassung an parteipolitische Normalität, denn Jugendliche können ab 16 Jahre Mitglied einer Partei werden. Sie haben eigene Qualifikationen in die Politik einzubringen: spezifische Jugendinteressen, Kreativität und Elan. Jugendliche sind in ihren Forderungen oft rigoroser und vertreten andere moralische Auffassungen als Altere. Jugendliche sind unmittelbar Betroffene politischer Entscheidungen. Demgegenüber sind sie aber politisch völlig unterrepräsentiert. Sie leiden unter der verordneten politischen Unmündigkeit und Abstinenz, Daraus resultieren auch politische Apathie, Enttäuschungen und Aggressionen. Das Recht, sich an Wahlen beteiligen zu dürfen, könnte dazu beitragen, daß die Politikverdrossenheit abnimmt. Über das Wahlrecht könnte eine politische Dynamik in der Gesellschaft freigesetzt werden. Es würde ein deutliches Signal sein, daß die Jugendlichen innerhalb der Gesellschaft gebraucht werden. Das politische Interesse und die Bereitschaft zu politischer Partizipation werden steigen. Selbstbewußtsein, Selbstachtung und Gemeinschaftssinn könnten sich weiter entwickeln. Das Wahlrecht ab16 würde das politische Gespräch zwischen den Generationen fördern. Das politische System der Bundesrepublik Deutschland beruht auf der Fiktion, daß das Volk nur aus Erwachsenen besteht, wir haben ein Zwei-Generationen-Wahlsystem. Es entscheiden die, welche von den Langzeiteffekten von politischen Entscheidungen nicht mehr betroffen sein werden.
Welche Gegenargumente begegnen Ihnen am häufigsten?
Die mangelnde Unterstützung des Anliegens in der Bevölkerung resultiert aus der Auffassung, daß Jugendliche nicht über die ausreichende Reife verfügen, politische Entscheidungen mitzutreffen. Allerdings ist manch einem die Forderung auch noch zu niedrig angesetzt. Generell ist die Setzung einer Altersgrenze ungerecht und deshalb müßte das Prinzip gelten: Ein Mensch – eine Stimme. Jugendliche seien auch zu leicht zu beeinflussen und wären so dem Willen der Politiker noch stärker ausgesetzt. Am Ende ist es nur eine populistische Maßnahme der Politiker auf Stimmenfang. Die steigende Verantwortung könnte die Jugendlichen überfordern und das Wahlrecht für Jugendliche ist nur ein Alibi für die sonstige Ignoranz.
Unter den Jugendlichen ist weit verbreitet: Wahlen ändern eh nix. Außerdem sehen sie sich doch mal in der Welt um – nirgends kann ein16-jähriger wählen. Die Leute, die damals das Wahlrecht auf 18 festlegten, haben sich ja schließlich was dabei gedacht. Vielleicht kommt noch irgendwann einer auf die Idee, das Volljährigkeitsalter auch herabzusetzen. Andere wiederum gehen davon aus, daß ohne die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auch die Senkung des Wahlalters keinen Sinn macht.
Wie soll das Verhältnis zwischen aktivem und passivem Wahlrecht aussehen?
Weniger problematisch wäre die Senkung des aktiven Wahlalters. Jedoch sind die Argumente gegen die Senkung auch des passiven Wahlrechts nicht überzeugend. Ich habe noch keine Argumentation gesehen, die belegt, es geht nicht. Volljährigkeit ist keine zwingende Bedingung für das passive Wahlrecht. Es gibt heute für die Bundestagsabgeordneten sehr unterschiedliche Rechte parlamentarischer Betätigung. Vieles könnte man über Geschäftsordnungen regeln.
Welche Maßnahmen müssen auf denWeg gebracht werden, damit das Wahlrecht für Sechzehnjährige später auf Landes- und Bundesebene erreicht werden kann?
Die PDS fordert rigoros das Wahlrecht für Jugendliche auf allen Ebenen. Wir wissen natürlich, daß es sich nicht nur von unten durchsetzen wird. Ich sehe da nur einen Weg: Das Thema „P 16″ muß langfristig zu einem ernsthaften Gegenstand der politischen Auseinandersetzung gemacht werden. Daran können sich alle beteiligen: Sozialwissenschaftler , Angehörige aller Generationen, Initiativen und Kampagnen, Organisationen und Parteien.
Wo sind Ihrer Meinung nach Verbündete zu suchen?
Die Verbündeten finden sich, wenn es soweit ist. Wer damit anfängt, muß natürlich offen sein und auf alle gesellschaftlichen Kräfte zugehen. Wichtig ist die Suche nach Mehrheiten für die Sache. Zur Zeit sind Mehrheiten für die Senkung des Wahlalters in den einzelnen Bundesländern – und soweit es das Kommunalwahlrecht betrifft – relativ leicht zu haben. Das ist bislang für Landtagswahlen und Bundestagswahlen außer Sichtweite.
(Die Fragen stellte Holger Auerswald)