Miss-Wahl 1995

 

 

(Erschienen in: Berliner Linke, Nr. 26, 30. Juni 1995, S. 9)

 

Haben Sie auch den Eindruck, daß Frau Stahmer eine kompetente Frau ist? Mindestens so kompetent wie Eberhard Diepgen, in Sachen Soziales eher noch kompetenter? Viele Berlinerinnen und Berliner sind jedenfalls dieser Mei­nung. Woher, zum Teufel, wissen die denn das? Aus der Zeitung, aus dem Rundfunk, aus dem Fernsehen. Und die Medien basteln kräftig an diesem Bild von Frau Stahmer, mühen sich vor al­lem nachzuweisen, daß sich ihre Kom­petenz nicht nur auf das Gebiet des So­zialen bezieht, sondern daß sie umfas­sende Kompetenzen besitzt, die Kom­petenz, die jemand braucht, der Bürger­meisterin oder Bürgermeister werden möchte in dieser Stadt. Und die Wahl­kampfberater haben Frau Stahmer of­fensichtlich eingeredet, daß das ihr großes Plus gegenüber Eberhard Diep­gen und den anderen Kandidaten, spe­ziell auch der PDS, sein wird: Kompe­tenz, Kompetenz, Kompetenz! Seitdem reist Frau Stahmer herum und wird nicht müde, bei jedem Aufritt, bei je­dem Interview darauf hinzuweisen, daß weder bei den Grünen noch bei der CDU und natürlich nicht bei der PDS so viele kluge Köpfe zur Verfügung stehen wie bei der SPD und schon gar keine, die annähernd ihr Format haben. Frau Stahmer und die SPD sind bemüht, in diesem Wahlkampf eine Frage an die Wählerinnen und Wähler weiterzugeben: Welche Partei hat die besten politischen Köpfe in dieser Stadt? Wer die besten politischen Köp­fe hat,  der soll auch gewählt werden, der kann am besten regieren. Nun ist es mit der politischen Kompetenz ohnehin so eine Sache. Welche Kompetenz braucht man, um das Postressort, das Verkehrsressort oder das Landwirt­schaftsressort zu verwalten? Und worin besteht eigentlich diese Kompetenz, wenn ich heute Postminister, morgen Landwirtschaftsminister und übermor­gen Verkehrsminister sein kann? Die Antwort ist ganz einfach. Ich muß we­der von Postwesen, noch von Verkehrs­wesen, noch von Landwirtschaft irgend etwas verstehen, um die jeweiligen Ressorts politisch verwalten zu kön­nen. Genausowenig wie ich jemals in meinem Leben S-Bahn gefahren sein muß, um Chef der Berliner S-Bahn werden zu können. Die Kompetenz ei­nes Politikers besteht – im Grunde ge­nommen nur aus zwei Dingen: Erstens muß er in der Lage sein, Informationen auszuwählen, zu verdichten und zwei­tens muß er entscheidungsfreudig sein. Dazu noch eine gewisse Fähigkeit im Umgang mit Macht und ein gewisses Organisationstalent und ein gewisses, Durchsetzungsvermögen, ein dickes Fell – und wir haben den geborenen Po­litiker. Nun glaube ich nicht, daß von politischen Köpfen das Wohl und Wehe unserer Stadt abhängt. Die PDS wird sich am »Wettstreit um die besten poli­tischen Köpfe dieser Stadt« nicht betei­ligen. Die Berliner PDS hat in diesem Wahlkampf und für diese Stadt ein ganz anderes Plus. Sie ist die Partei der vielen politisch engagierten klugen Bürgerinnen und Bürger, die vor allem im Ostteil der Stadt vernünftig und mit den Menschen zusammen Politik ma­chen, nicht die Partei der wenigen klu­gen Köpfe, Partei für den Alltag. Und im übrigen wird es der PDS ein leichtes sein, Frau Stahmer oder andere soge­nannte Spitzenpolitiker Berlins zu ent­zaubern. Wo waren sie denn, als es um die Umbenennung von Straßen ging? Was taten sie, als es um das Landes­schulamt ging? Was, als es darum ging, städtische Betriebe parlamentarischer Kontrolle zu entziehen? Was braucht man, an, um in einer großen Koalition all das mit zu verantworten?


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