Zurück zu den Wurzeln

 

(Erschienen in: Berliner Linke, Nr. 23, 9. Juni 1995, S. 2)

 

Wahlkampf ist nicht alles, aber ohne Wahlkampf ist alles nichts. Der Satz ist nicht nur trivial, er ist auch banal. Weil: Derartige Sätze stimmen immer und sa­gen nicht viel aus. Wasser ist nicht alles, aber ohne Wasser ist alles nichts. Bagger sind nicht alles, aber ohne Bagger… usw. usf. Nun gut, es ist wieder Wahlkampf in Berlin und auch in der PDS ist niemand, der sich diesem Geschehen und den da­mit verbundenen Anstrengungen/Mühen entziehen mag. Ob’s was bringt weiß niemand, gemacht werden muß es denn doch.

Die Hausaufgaben, so scheint’s, sind vom Landesverband bereits gemacht. Es gibt ein Wahlprogramm, die Offene Li­ste steht und auch eine Werbeagentur ist engagiert. Sogar Plakate kleben schon.

Sozial is muß. Was bleibt denn noch zu tun für uns? Jetzt und hier? Bis zur Som­merpause? Eine ganze Menge, will mir scheinen. Vor allem sollten wir in der Berliner PDS noch einmal ruhig durch­atmen, zur Besinnung kommen. Was sind unsere Stärken? Womit waren wir in den letzten fünf Jahren erfolgreich bei Wahlen? Um das zu erinnern, dazu braucht man kein Wahlkampfstratege zu sein. Es gibt ein paar Dinge, die stehen so fest wie das Amen in der Kirche: Die PDS ist diejenige Partei in Berlin, wel­che die sozialen Grundinteressen der Ostberliner am konsequentesten vertritt. Sie ist keine Klientelpartei wie die ande­ren. Das heißt: Wir in der PDS haben niemanden außer uns, den Mitgliedern und Sympathisanten und unseren Wählern. Wir müssen weder auf die Deut­sche Bank noch den DFB Rücksicht nehmen. Also dann stellen wir doch die Vertretung, ja, die Verteidigung der so­zialen Interessen der Ostberliner in den Mittelpunkt unseres Wahlkampfes! Was denn sonst?!

Die Berliner PDS ist die Partei der vielen engagierten Mitglieder, der Ehrenamtli­chen, der politisch Aktivisten. Sie ist keine Partei der »bedeutenden« politi­schen Köpfe und der politischen Elite dieser Stadt. Dann treten wir doch, wie in den vergangenen Wahlkämpfen, über­all dem Herrn Diepgen und der Frau Stahmer in Masse entgegen! Als Partei der vielen mündigen Bürger, als Partei des Alltags, nicht des Wahltags!

Die PDS ist eine Partei dieser Stadt, die auch linke subkulturelle Milieus und verschiedene Minderheiten resp. deren politische, soziale und kulturelle Inter­essen in Ost und West vertritt, ohne dadurch Linke-Szene-Partei oder Min­derheitenpartei zu sein. Dabei sollte es im Wahlkampf auch bleiben!

Endlich ist die Berliner PDS die einzige sozialistische und damit konsequent al­ternative Partei im Lande. Dann machen wir doch damit im Wahlkampf ernst, machen wir radikal Politik in Berlin! Wir können, was die SPD, die CDU, auch die Grünen nicht können: Tacheles mit diesem Senat reden! Greifen wir im Wahlkampf doch die Verantwortlichen der letzten Jahre Berliner Politik an! Wir müssen uns nicht darauf beschränken, den Wählerinnen und Wählern zu erklä­ren, daß wir so gut wie die anderen und etwas besser sind. Diejenigen, die aus guten Gründen nicht das Gefühl haben, in der besten  aller möglichen Welten zu leben, wollen von uns klare Worte. Auch ein Wutschrei angesichts von Verelen­dung und das Gefühl der Hilflosigkeit, das mich drückt, weil der Nachbarsjun­ge die Suche nach der Lehrstelle eingestellt hat und doch zum »Bund« geht, müssen Platz in unserem Wahlkampf finden. Im Text, im Bild, in unseren Gesprächen mit den Leuten vor den Kauf­hallen.

Manchmal habe ich das Gefühl, vor lau­ter Suche nach den besten neuen Strate­gien und Taktiken für die Wahlen 1995 sind uns diese Gewißheiten abhanden gekommen. Es ist jetzt die Zeit, daß wir uns unserer Wurzeln besinnen und zu ihnen zurückkehren.


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