Ist die Länderfusion ein Wahlkampfthema?

 

(Erschienen in: Berliner Linke, Nr. 29, 21. Juli 1995, S. 8)

 

Was machen wir im Berliner Wahlkampf mit dem Thema Fusion der Länder Berlin und Brandenburg?

Machen wir es zu einem Wahlkampfthema?

Viele meinen: eher nicht! Gewinnen wir nicht, wenn wir es zu einem Wahlkampfthema machen, zwangsläufig ein Verliererimage?

 

Es sind drei Dinge, die scheinbar gegen die Absicht sprechen, die Fusion zum Wahlkampfthema der PDS zu machen. Erstens ist die Position der PDS zu diesem Thema schwer viermittelbar. Ein Ja aus allen Mündern zur Fusion bedarf keiner Begründung. Ein Nein aus einem einzigen Mund, dem der PDS, zu diesem Fusionsvertrag bedarf schon einer. Und es ist leichter: Ja zur Fusion! Ja zur Region! zu sagen als: Ja zur Region! Nein zum Fusionsvertrag! Zweitens sind die (Umfrage-)Mehrheiten in Berlin klar auf Seiten der Fusionsbefürworter. Und drittens ist die öffentliche Meinung ebenfalls auf Seiten der Fusionsbefürworter.

Alles in altem sieht es so aus, als wenn wir uns geradezu klassischerweise zudem noch im Wahlkampf das Image der Neinsager – was uns ja überhaupt angehängt wird – wiederum einzuhandeln, wenn wir die Fusion zum Wahlkampfthema machen. Persönlich bin ich zu der Auffassung gelangt, daß wir es tun sollten. Auch aus der Überlegung heraus, welche Problematik dieses Thema für die anderen politischen Parteien in Berlin birgt. Ich möchte sie kurz aufzählen:

Erstens: Es wird bis zum Mai nächsten Jahres eine gigantische Propagandawel­le über uns hinwegrollen. Trotzdem, und das ist das Widersprüch­liche in diesem ersten Punkt; trotz dieses gigantischen Medien- und Propaganda­aufwandes wird die Fusion für keine der großen anderen Parteien ein ernsthaftes Wahlkampfthema sein können. Denn Wahlkampfthemen sind nur solche, mit denen ich mich auf Kosten der anderen politischen Parteien profilieren kann. Und das ist bei der gleichförmig begei­sterten Zustimmung von SPD wie CDU nicht der Fall.

Das zweite Dilemma, in dem die fusi­onsbefürwortenden Parteien stecken, ist, daß sie festgestellt haben: es kann trotz der vorhandenen demoskopischen Mehrheiten durchaus eng werden bei der Volksabstimmung. Wie überall verkün­det wird, herrscht noch ein enormer Aufklärungsbedarf bei der Bevölkerung Berlins. Damit verstricken sich die Akti­visten der Fusion natürlich in das Pro­blem, daß sie sukzessive die Bürger mündig machen, sie auf die sachlichen Probleme, die in diesem Vertragswerk stecken, hinweisen und in die Lage versetzen, die ganze Problematik, die hinter dieser Vereinigung und dem bisher vor­liegenden Vertrag steckt, zu erkennen. Das dritte Dilemma der großen Parteien ist. daß sie allesamt Probleme in ihrer eigenen Wählerklientel mit dieser Fusi­on haben. Das gilt für die CDU wie für die SPD in Berlin. Andererseits können sie sich aber so gut wie keine Wechselwählerbewegungen außergewöhlicher Art im Berliner Wahlkampf leisten, der ja für sie um die Macht und damit um die Wurst geht. Heißt alles in allem, daß CDU wie SPD, Grüne in Maßen, durch die allzu euphorische Zustimmung und das wechselseitige aneinander Gebun­densein in Bezug auf das Fusionsthema keinerlei Punkte aus ihrem Einsatz für die Fusion im Wahlkampf ziehen können. Für die PDS ist die Situation durchaus positiver.

1. Unsere Stammmwählerschaft wird uns, auch wenn sie zum Teil gegen unse­re Fusionsablehnung ist, trotzdem wäh­len, weil sie für dieses Thema im Ver­gleich zu den anderen Gründen, PDS zu wählen, durchaus marginal ist.

2. Wir hätten eines, was im Wahlkampf in Berlin sicher sehr rar sein wird, näm­lich ein exklusives Wahlkampfthema.

3. Wir können schonungslos das Aufklärungswerk bezüglich der Tücken, Schwie­rigkeiten, Risiken und Nachteile, aber auch Vorteile einer Vereinigung per Staatsvertrag in der Fusion aufdecken und könnten in diesem Prozeß der Auf­klärung tatsächlich sachliche Kompe­tenz beweisen. Wir bieten damit den sich an diesem Staatsvertrag festmachenden Protestwählerschaften eine reale Chan­ce, über ihr Wahlverhalten auch ihren bis dato geliebten eigenen Parteien einen Denkzettel zu verpassen.


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