(Veröffentlicht in: Disput, Heft 3/1996, S. 43)
Rezension
Lothar Bisky: Freiheit oder Sozialismus?
Erschienen in der Reihe Controvers, hrsgg. von der Grundsatzkommission der PDS, 1996
Das Erscheinen dieses kleinen Heftchens dürfte bei Freund und Feind gleichermaßen Erstaunen auslösen. Bisky, der Reformsozialist, der verkappte Sozialdemokrat – outet der sich jetzt als Liberaler? Er tut es nicht!
Nein, Bisky findet mit diesem Text endlich die kräftige Sprache, seinen politischen Impetus, das was ihn als Sozialisten um und an die Spitze der PDS getrieben hat, auszusprechen. Er hat um diese Sprache in den letzten Jahren hart ringen müssen. In der Einleitung weist er darauf hin: Die Auseinandersetzung um den gewesenen Sozialismus, der keiner war und um den, der noch nicht ist, das ist in der PDS immer auch ein Kampf, ein quälendes Ringen um Worte.
Im ersten Abschnitt dieses politischen Traktats erläutert Bisky seine Sicht auf die gemeinsamen Traditionen von Sozialismus und Liberalismus. Er erklärt gleich am Anfang: »Ich möchte … dazu beitragen, den Begriff der Freiheit und die bleibenden politischen Ziele des Liberalismus für die marxistische Linke zurückzugewinnen.« (S. 6) Bisky beschreibt zugleich das Fragile am heutigen bundesdeutschen politischen Liberalismus, ja, das Verkommene des Wirtschafts- und Nationalliberalismus. Die Gefährdung der politischen Früchte des Liberalismus in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft.
Und ihn plagt bei dieser Entdeckungsreise zum politischen Ich spürbar die Absenz jeglichen Liberalismus im darob auch zugrunde gegangenen Staatssozialismus. So kann es nicht verwundern, daß Bisky eindringlich bekennt: »Eine sozialistische Entwicklung, die nicht in der Lage ist, Freiheit, Emanzipation, Demokratie, konsequent-ökologische Orientierung aufzunehmen, wird keine gesellschaftliche Alternative zum Konservatismus, Wirtschaftsliberalismus, zu Sozialdemokratie und Ökoliberalismus sein.« (S. 8 f.) Heißt auch: »Die (Aufgabe der – H.P.) Verbindung von Freiheit und Sozialismus ist … noch nicht gelöst.« (S. 9)
Der zweite Abschnitt behandelt das Auseinanderdriften von Sozialismus und Liberalismus in der Zeit der Bismarckschen Sozialistengesetze und die folgende, bis heute anhaltende, freilich auch gelegentlich durchbrochene Frontstellung beider politischen Bewegungen. Ein Schlüsselsatz für Bisky ist zweifellos der von F. Engels: >>Der Liberalismus ist die Wurzel des Sozialismus, will man also radikal verfahren, so muß man den Liberalismus kaputtmachen, dann verdorrt der Sozialismus von selbst.« (S.19) Nachdem Bisky die Rolle der verschiedenen Strömungen und Parteien des deutschen Liberalismus durch den Ersten Weltkrieg hindurch bis in die Zeit der Weimarer Republik mit sicherem Strich skizziert hat, die Zustimmung der Liberalen zu Hitlers Ermächtigungsgesetz als der historische Tiefpunkt des politischen Liberalismus in Deutschland fixiert wurde, widmet er sich dem Zeitgeschichtlichen. Vom Grundgesetz, mit dem Bisky die wesentlichen Prinzipien des Liberalismus zur allgemeinen verfassungsrechtlichen Norm erhoben sieht, über die wechselhafte Geschichte der F.D.P. zwischen Regierung und Opposition bis hin zur heutigen Krise dieser Partei zeichnet Bisky das Schicksal des deutschen politischen Liberalismus der Gegenwart.
Im dritten Abschnitt fragt Bisky, ob, weil die Wähler die Daumen nach unten halten, der Liberalismus denn wirklich schon am Ende sei. Seine Antwort ist eine verblüffende. Sie besteht in der Feststellung, daß diejenigen großen Bewegungen, die in diesem Jahrhundert der Moderne Antworten auf die Fragen der Zeit gefunden hatten, am Ende an der Moderne gescheitert sind. der Staatssozialismus, der Sozialreformismus und der Liberalismus. Und der Konservatismus? Der hat zwar die Hegemonie und die Macht, weiß aber auf die Fragen nach einer humanen Gestaltung der Veränderungen aller wichtigen Existenzbedingungen der Gattung Mensch auch keine Antwort. Biskys Fazit: »Politische Freiheiten und demokratische Beteiligung sind sowohl unaufgebbare Bedingungen humanistischer Orientierung als auch Voraussetzungen moderner sozialökonomischer Entwicklung. In dieser Hinsicht ist das Ende des Liberalismus … nicht das Ende des Ringens um die freie Entwicklung der einzelnen und um eine freie Gesellschaft.« (S. 30) Bisky verbindet in diesem Abschnitt auf beeindruckende Weise die knappe Darstellung der ganzen Probleme, die wir alle mit dem Ende des fordistischen Wirtschaftstyps haben, mit einer radikalen Kritik am Neoliberalismus.
Wenn Bisky im vierten und letzten Abschnitt zu einem Plädoyer für einen libertären Sozialismus ansetzt, so bietet er damit mitnichten den möglichen Ausweg aus dem allgegenwärtigen weltweiten Schlamassel. Aber er bietet eine Sicht der Dinge, die im wesentlichen mit zwei Instrumenten auskommt: Erstens der Theorie moderner Gesellschaften, wie sie im Diskurs reformsozialistischer Linker in den letzten 10 Jahren entwickelt worden ist und zweitens dem Begriff und der Idee des Sozialismus selbst. Der Punkt, auf den Bisky abzielt, ist, daß erst die Anwendung beider Mittel den Blick frei macht auf mögliche Entwicklungspotentiale und damit auf Alternativen moderner Gesellschaftsentwicklung. Und er zieht die Konsequenzen.
Erstens: Die Verkrustungen politischer Institutionengefüge müssen aufgebrochen werden. Zweitens: Alternative, sozialistische Gesellschaftsentwicklung kann nur in Kontinuität bisheriger Geschichte stehen. Drittens: Der wachsenden Komplexität und Differenziertheit in Gesellschaft und Wirtschaft muß Rechnung getragen werden. Viertens: Was auch immer an Alternativen aufscheinen mag – es werden immer Lösungen im Angesicht unserer Weltgesellschaft sein müssen.
Am Ende resümiert Bisky: »Veränderung … wird nur durch reale politische und gesellschaftliche Bewegung möglich werden. Sie braucht den emanzipatorischen Impuls, den die libertären Ideen hinsichtlich der Individuen haben, und den emanzipatorischen Impuls, den die sozialistische Idee in bezug auf die Gesellschaft besetzt. Libertärer Sozialismus wäre somit die Freiheit von Gleichen.« (S. 48)
Diese Schrift ist, da will ich mich festlegen, nach Gregor Gysis »Ingolstädter Manifest« die zweite, im eigentlichen Wortsinn politische Streit- und Programmschrift eines führenden Politikers der PDS. Obwohl für den Tag geschrieben, wird sie so schnell ihre Wirkung nicht verlieren.