Alles nur Show

(Veröffentlicht in: Neues Deutschland, 30. August 1996, S.13)

 

Rezension

Lothar Laux /Astrid Schütz: Wir, die wir gut sind. Die Selbstdarstellung von Poli­tikern zwischen Glorifizierung und Glaubwürdigkeit. dtv, München 1996.

Begegnen wir einem Bekannten, ei­nem Familienmitglied, dann fragen wir nach dem Wohlbefinden, da­nach, was in der Zeit seit unserer letzten Begegnung geschehen ist. Liefen uns Os­kar Lafontaine oder Helmut Kohl oder auch Politiker kleinerer Parteien über den Weg, wer käme wohl auf die Idee, diesen oder jenen zu fragen: Wie geht es Ihnen? Was war los in letzter Zeit? Wir wissen es schließlich. Haben es in den Abend­nachrichten gesehen oder in der Zeitung gelesen.

Natürlich, es ist alles in der Politik nur eine große Show, das weiß doch jeder. Aber wer denkt schon den ganzen Tag daran? Selbst wenn wir uns vor den Fern­seher setzen würden mit dem festen Vor­satz, uns nichts vormachen zu lassen: Hätten wir eine Chance? Ja und nein. Ja, denn es ist möglich, die Masken, die Selbstinszenierungen der Politiker als sol­che zu erkennen. Nein, denn wir haben kaum eine Chance, deren wahre Gesich­ter, die Charaktere selbst näher kennen­zulernen. Nun, auf letzteres müssen wir wohl auch künftig verzichten. Fürs erste helfen uns die beiden Psychologen Lothar Laux und Astrid Schütz ein Stück weiter.

Politik kommt nun einmal ohne Selbst­inszenierung, ohne Personalisierung nicht aus. Das war immer so und ist heu­te, im Zeitalter der Massenmedien, un­verzichtbar. Wer heute wirkungsvoll Po­litik gestalten möchte, so die Autoren, muß das Spiel mitspielen, selbst wenn er es kritisiert. Nun denn, so laßt uns ein gutes Publikum werden, eines, das die Spielregeln kennt und die Akteure auf dem Feld der Politik anspruchsvoll be­äugt.

Im ersten Kapitel macht uns Astrid Schütz mit den Grundbegriffen der Selbstdarstellungstheorie und ihrer An­wendung in der Politik vertraut. Es geht um Eindruckssteuerung, um das ab­sichtsvolle Erzeugen und die Vermittlung von Selbstbildern. Gerade wenn es um den Kopf geht, in Wahlkampfzelten und wenn der politische Skandal droht, bricht die Hohezeit der Masken an. Seien wir nachsichtig, die Leute an der Spitze haben es nicht leicht. Unter uns, wir sind doch selbst uneins. Politik ist für man­chen von uns nur eine gesteigerte Form von Lumperei. Andere meinen, liier sei noch Platz für gerade, ehrliche, saubere Typen. Selbst die Sehnsucht nach dein Politiker als höherer moralischer Instanz ist im Volke lebendig. Was also sollen die Amts- und Mandatsträger denn an­deres tun, als möglichst glaubwürdig und vorteilhaft die von ihnen erwarteten Rol­len spielen? Schütz macht uns mit den gängigen Strategien der politischen Selbstdarstellung bekannt.

Im zweiten Kapitel entführt uns die Autorin nach Hollywood, pardon: in die Arena amerikanischer Präsidentschafts­wahlkämpfe. Das mag den einen oder anderen nach den Stone-Film “Nixon” und ähnlichen Streifen so neu nicht scheinen. Aber Schütz liefert hier das Doku­mentarische, das Alltägliche, das Lang­weilige der politischen Manipulation nach. Das Resümee, die Antwort auf die Frage: Läßt sich ein Volk auf Dauer verarschen? fällt bedrückend nüchtern aus. Auf  Dauer nicht, aber immer wieder.

Aus dem Nähkästlein plaudert Schütz im dritten Kapitel. Hier kann man richtig was hinzulernen. Es geht um die vorschiedenen möglichen Taktiken, die einem Politiker zur Verfügung stehen, wenn’s eng wird. Das ist brauchbar, klar und schön beschrieben. Daß gerade der Fall Barschel als Exempel gewählt wurde, lag sicher daran, daß er der politischen Skandalogie in Deutschland ins verlege­rische Hoch verholfen hatte. Ansonsten wäre vom Material her hier mehr Aktua­lität sicher wünschenswert gewesen.

Im vierten Kapitel beschreibt Lothar Laux die spezielle Manipulation in der Gefühlswelt der Politik. Politiker sind im­mer schon auch Gefühlsarbeiter gewesen. Keine allzu guten, wie wir wissen: Wenn ich schon höre, daß da eine oder einer der rasch zu Tatorten oder Unglücksplätzen eingeflogenen Politikerinnen „be­troffen” ist, wird mir speiübel. Dasselbe Gefühl überkommt mich gelegentlich bei den sogenannten Elefantenrunden nach Wahlen. Da muß ich vielleicht noch an mir arbeiten.

Laux hat übrigens für allzu abge­stumpfte Seelen ein Trainingsprogramm entwickelt, das sensibilisieren soll für politische Scheinheiligkeiten. Warum nicht.


Beitrag veröffentlicht

in

von