Mangelrepublik

Kolumne

(Veröffentlicht in: Disput, Februar 2000)

 
Unsere Republik wird enthüllt. Affären und Skandale, Skandale und Affären. Zwischendurch lesen wir: Ein Triumph der Demokratie! Wir kommen hinter alles! Dieses Land kennt beim Gesetzesbruch kein Oben und kein Unten. Und zwischen Tagesschau und Tagesschau wird vergessen, dass die Finanzjongleure und Spitzenpolitiker der CDU ihr Geschäft immerhin Jahrzehnte unbehelligt betreiben konnten. Wir sind betroffen und enttäuscht. Das haben wir nicht gewusst. Dieses Volk in seinen beiden Teilen hat eine gewisse Tradition im Sich-Betrügen-Lassen. Man möchte meinen, es lernt in dieser Hinsicht die Demokratie nie. Woran mag das liegen? Ich bin auf den Vortrag eines Klassikers und Außenseiters der Politikwissenschaft gestoßen, der einige Mängel dieser Republik früh erkannt und benannt hat.

Warum, so fragte sich Eric Voegelin , ist es gerade in Deutschland schwieriger als anderwärts, Demokratie einzurichten? Das habe seinen Ursprung in der deutschen historisch-politischen Lage.

Es gäbe, so Voegelin, einen entscheidenden Unterschied zwischen der deutschen Verfassungsgeschichte und der der westlichen Nationalstaaten, der darin liege, dass erstere nicht die säkulare, manchmal mehrhundertjährige Tiefendimension der westlichen Demokratien habe. Es fehlten in Deutschland die eingelebten, geachteten Traditionen des politischen Handelns. Es mangelte an tiefem Respekt vor alten Institutionen der Verfassung und es fehlten Institutionen, die imstande wären, Emotionen solchen Tiefgangs zu erregen, weil die deutsche Verfassungsgeschichte nur kurz sei und seit 1871 die gewaltigen Störungen erfahren habe, die bekannt seien. Ich füge hinzu, dass die jüngste Verfassungsgeschichte diesen Mangel nur noch verstärkt hat. Schließlich haben wir ein Grundgesetz, das sich weder das westdeutsche Volk von 1949 noch das ost-westdeutsche Volk von 1990 in freier Selbstbestimmung gegeben hat. 1949 bedurfte es der Zustimmung der drei Westmächte und von Abgeordneten, die dafür keineswegs gewählt worden waren und 1990 hat den Einigungsvertrag eine kleine Gruppe von Politikern ausgehandelt und von einer Volksvertretung bestätigen lassen. Einen Volksentscheid und eine neue Verfassung gab es nicht.

Damit ist ein weiterer Mangel angesprochen: Das Fehlen einer, wie Voegelin sie nannte, nationalen Revolution. Einer Revolution, die den Institutionen, wie jung sie auch sein mögen, das emotionale Fundament einer großen und endgültigen Entscheidung geben könnte. England, Frankreich, die Vereinigten Staaten von Amerika – sie hatten ihre Revolutionen. Die deutsche Demokratie sei auf nationaler Ebene nicht durch eine deutsche Revolution begründet worden. Immer Druck von außen, zwei verlorene Kriege und auch 1989 wurde in Ostdeutschland nicht aus eigener Kraft die Demokratie institutionalisiert. Das habe zur Folge, so Voegelin, dass das Bewusstsein, Bürger einer Demokratie zu sein, emotional an der Oberfläche liege und dass das Wissen um die politischen Pflichten und Folgen dieses Status kaum entwickelt sei.

Voegelin kommt dann auf eine Entwicklung zu sprechen, deren Folgen bis heute klar erkennbar und dennoch kaum bekannt sind: Die Entwicklung des Protestantismus zum Pietismus im 18. Jahrhundert und zum Liberalismus im 19. Jahrhundert hin. Pietismus meine hier die Neigung, eine als christlich verstandene Existenz aus der profanen, unreinen Sphäre des Politischen herauszulösen. Diese Neigung nahm unterschiedliche Formen an, etwa die Haltung des frommen Untertanen, der das Geschäft der Politik der hohen Obrigkeit überlässt oder die Einstellung des liberalen Bildungsbürgers, dass die Kultur des Individuums gefährdet sei, wenn sich der Mensch als politischer Bürger betätige. Genau aus dieser traditionsreichen Zurückhaltung von der Profansphäre erwachse das falsche Verhältnis zum Problem der Macht, das für Deutschland charakteristisch geworden sei. Der Satz von Schlosser (1776-1861): “Die Macht ist böse” wurde zum Gemeinbesitz des gebildeten Bürgertums und feiert heute quer durch alle Schichten seine Triumphe. Das kommt von Humboldt und auch Goethe lässt einen der Lustigen Gesellen in Auerbachs Keller im “Faust” sagen: “Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied”. Dass das Ansehen der Politik als Beruf weit hinter dem fast eines jeden bürgerlichen Berufs zurück bleibt, liegt nicht zuerst im Verhalten der Politiker. Es ist diese verfehlte Einstellung zur Politik, die auf die Rekrutierung des politischen Personals in Deutschland großen Einfluss hat. Wer wird schon Politiker in Deutschland? Wilhelm Hennis hat den Weg der CDU- Kader so beschrieben : “Eintritt in die Schülerunion, dann RCDS, dann wissenschaftlicher Assistent bei einem CDU – Bundestagsabgeordneten”. Wie radikal anders die Einstellung zu Macht und Politik im angelsächsischen Raum. Voegelin zitiert Lord Acton: “Macht korrumpiert; absolute Macht korrumpiert absolut.” Macht sei unerlässlich, bedürfe aber der Kontrolle durch Opposition, durch unabhängige Richter und durch unantastbare Grundrechte. In Deutschland ist Opposition sein ein Übel, heißt Pech gehabt zu haben (oder eben zu knappe Kriegskassen), heißt Regierung im Wartestand zu sein. In solcher positiven Stellung zur Politik befindlich und im Wissen um die Möglichkeit des Menschen, sich zum Guten wie zum Bösen hin entwickeln zu können, fällt es leichter, hinzunehmen, dass auch Politiker Menschen sind. Es sei billig, aus sicherer Entfernung von den Versuchungen der Macht sich über die Korruption der Politiker zu entrüsten. Es sei unsere Sache, uns der staatsbürgerlichen Pflicht bewusst zu sein, durch Teilnahme am politischen Leben dafür zu sorgen, dass der Missbrauch gering bleibe. Jedenfalls, so meinte Voegelin 1962, grenze die pietistische Neigung, sich aus der Politik herauszuhalten, weil die Macht böse und die Politik ein schmutziges Geschäft sei, in einer Demokratie an Hochverrat. Dem habe ich nichts hinzuzufügen außer dem Hinweis, dass die gängigen Verschwörungstheorien, die alles persönliche Ungemach dem klandestinen Treiben der Politiker und Banken ursächlich zurechnen ebenso wie die Auffassungen, das ganze System sei verdorben wie seine Politik und gehöre abgeschafft, woraufhin ein Reich der Gerechtigkeit und Ehrlichkeit und des Gutmenschentums auferstehen werde, aus demselben düstren Grund des Mangels an demokratischer Tradition und republikanischer Gesinnung entspringen wie die Empörung derer über Kohl, die im nächsten Moment im Winterschlussverkauf noch ein Schnäppchen machen werden. Was ihnen gegönnt sei.


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