Von Wolfram Adolphi und Harald Pätzolt
(Veröffentlicht in: Disput, Juli 2000)
Was ist »Forum 2000plus!«? Auf den PDS-Internetseiten finden sich alle Details in Text und Bild und Audio, und niemand, der das Stichwort anklickt, wird übersehen können: Mit »Forum 2000plus!« ist in der PDS etwas Neues entstanden.
Am 18. März gab“s im Dachgeschoss eines bezugsfertigen, aber noch nicht bezogenen Neubaus in Berlins taufrischem Media- und Kommunikationszentrum Oberbaumcity die Auftaktveranstaltung von »Forum 2000plus! – Pilotprojekt Ost«als fast vierstündige Talkrunde zwischen so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie PDS-Politikerin Christa Luft und Schauspielerin Jutta Wachowiak, Deutsche- Bank-Volkswirt Norbert Walter und Sachsen-Anhalts DGB-Landeschef Jürgen Weißbach, EKO-Stahl- Arbeitsdirektor Hans-Peter Neumann und Intendant und Schauspieler Peter Sodann sowie HypoVereinsbank-Immobilienchef Hugo Gensler und Gregor Gysi, der das alles moderierend zusammenhielt mit der längst nicht zu Ende debattierten Frage nach den Chancen des Ostens im nun schon zehn Jahre einstaatlichen Deutschland.
Der Ort der Veranstaltung war zielstrebig gewählt – als ein Platz des aus PDS-Sicht Nicht- Traditionellen; und zielstrebig war auch eingeladen worden: mit Schwerpunkt im Kreis von KleinunternehmerInnen und FreiberuflerInnen. »Öffnung« war das Wort, das über allem stand – und das sich auch in Ort und Art des Forums widerspiegeln sollte.
Die folgenden Veranstaltungen des aus insgesamt 5 themenbezogenen Einzelforen bestehenden »Forum 2000plus!« zeigten, dass die Form »Podium mit Publikum, das am Ende mit den PodiumsteilnehmerInnen direkt ins Gespräch kommen kann« nur eine von vielen möglichen ist – wenn denn das Öffnungs-Motto nur lebendig bleibt. Am 16./17. Juni bewies sich »Forum 2000plus! – Arbeit, Umwelt und Unternehmen im 21. Jahrhundert« als interessanter Partner in einem breiten Veranstaltungsbündnis, das in Frankfurt/Main die Großveranstaltung »Gegen BankenMacht« organisierte. Ebenfalls am 17. Juni begann »Forum 2000plus! – Zukunft durch Abrüstung« seine Arbeit in Berlin mit einer Anhörung zur Zukunft der Bundeswehr. Und am 23. Juni startete »Forum 2000plus! – Soziale Sicherheit« mit einem Podium unter dem Titel »Lieber reich und jung als arm und alt« in der Berliner Kulturbrauerei. Noch in der Planung ist die erste Veranstaltung des fünften Forums »Forum 2000plus! – Werkstatt Bildung, Wissenschaft und Technologie«.
Nun sind erste Erfahrungen zu verarbeiten und Zu- und Widerspruch. Und um das in breiterem Rahmen tun zu können, sei noch einmal an die Wurzeln der »Forum 2000plus!«-Idee zurückgegangen. Diese Wurzeln liegen in der Bundeswahlkonferenz 1997 mit der Aufforderung Lothar Biskys an die Partei, dem Projektgedanken im politischen Alltag mehr Platz einzuräumen. Tendenzen, sich im Konzeptemachen einerseits und in der Vielfalt der zu beackernden Politikfelder zu verlieren, setzte er die Konzentration in der Sache entgegen. Gemeint war, dass wir unserer quasi natürlichen Bestimmung als sozialistischer Partei gerecht werden müssen: nicht Fundamentalopposition zu sein, sondern im Wortsinne radikal zu opponieren ; also nicht wie ein trotziges Kind gegen alles und jedes zu sein, sondern an die Wurzel gehend zu handeln. Radikalopposition ist in solchem Verständnis immer gestaltende Opposition, denkt und handelt konstruktiv. Und: Sie denkt strategisch, orientiert sich auf potentielle Partner. Das heißt: Es gilt Punkte zu finden, wo auch die anderen radikal sind. Grundlegende Veränderungen sind nur mit anderen gemeinsam zu erreichen. Die für solche Gemeinsamkeit notwendigen politischen Schnittstellen müssen gefunden und als Konzentrationspunkte der eigenen Politik erkennbar gemacht werden.
Aus solchem Geist heraus entstanden seinerzeit die vier Projekte, die neben dem Pilotprojekt Ost im Bundestagswahlkampf 1998 eine so herausragende Rolle gespielt haben: der Öffentlich geförderte Beschäftigungssektor (ÖBS), der Kampf um einen Ausbildungsplatz für jeden Jugendlichen, die Kommunalfinanzreform und die Reform der Steuern und Abgaben. Allen war klar: Politische Schwerpunkte müssen zu konkreten Projekten führen, die ihre Zeit haben wie auch einen begrenzten Aufwand, ein beschreibbares Ergebnis und einen kalkulierbaren Nutzen.
Es musste dann ein weiterer Gedanke reifen, den Lothar Bisky auf der PDS-Bundeskonferenz im November 1998 so aussprach: Öffnung der Partei in die Gesellschaft . Er fasste es seinerzeit in das kräftige Bild: Wir wollen die Fenster und Türen weit aufstoßen. Auch unsere Partei braucht Luft, frischen Wind! Und das, was wir wie die Luft zum Atmen brauchen, sind Ideen, sind Worte und Bilder, sind Empfindungen und Reaktionen. Ist Bewegung, Teilhabe an der Dynamik gesellschaftlicher Veränderungen. Was wir brauchen, sind immer neue Leute.
Dass dieses beides – zum einen die Konzentration in der Sache auf einige herausragende Projekte und zum anderen die Öffnung in die Gesellschaft – für die PDS nicht nur denkmöglich, sondern auch realisierbar geworden war, hatten wir uns zu einem guten Teil in den Jahren davor selbst hart genug erarbeitet. Zum anderen aber hatten sich auch die äußeren Umstände für die PDS verändert.
Beide Vorhaben, das zeigte sich rasch, konnten jedes nicht für sich, sondern nur zusammen wirkungsmächtig werden. Konzentration in der Sache und Öffnung in die Gesellschaft bedingen einander praktisch wie symbolisch: Ich kann keine strategischen Schwerpunkte politisch gestaltender Tätigkeit ohne den Diskurs mit Partnern, mit der Gesellschaft finden und setzen. Und: Ich kann andererseits meinen Partnern und der Gesellschaft nur über die Öffentlichkeit die Schwerpunkte meiner politischen Arbeit mitteilen.
Es ging und geht also um die Synthese der Projektidee und der Idee der Öffnung der Partei in die Gesellschaft . Dazu wurde nun angestrebt, ständige öffentliche Diskussionsforen einzurichten. Wir wollten die Sache entlang der folgenden Linien institutionalisieren :
Erstens: Wir organisieren einen kontinuierlichen Diskussionsprozess mit offenen wie öffentlichen Veranstaltungen zu bestimmten Facetten des Gegenstandes, für die wir Sachkundige und Interessierte aus den eigenen Reihen wie aus der Gesellschaft als Diskutanten und Zuhörer einladen.
Zweitens: Die Debatten führen nicht zu mit Formelkompromissen belasteten Erklärungen oder Beschlüssen, sondern sie werden in ihrer Offenheit und Widersprüchlichkeit dokumentiert und geben so neue Anregungen für die Weiterführung des innerparteilichen Verständigungsprozesses, der die Außenwelt in die Partei hineinholt und für einen beständigen Austausch von Impulsen zwischen »innen« und »außen« sorgt.
Bei all dem ist selbstverständlich, dass »Forum 2000plus!« kein Ersatz für die Arbeit solcher Gremien wie IG und AG, AK usw. in und bei der PDS sind. Es setzt das erfolgreiche Wirken dieser Gremien vielmehr geradezu voraus. Und ebenso selbstverständlich ist, dass auf konkrete Ergebnisse hingearbeitet wird: auf das Wahlprogramm für 2002 zum Beispiel oder auf wichtige Gesetzesinitiativen bis hin zu Vorschlägen zur Änderung des Grundgesetzes. »Forum 2000plus!« ist kein Selbstzweck.
Wie ist es in Vorbereitung der entsprechenden Beschlussfassung von Parteivorstand und Bundestagsfraktion zur Themenwahl bei »Forum 2000plus!« gekommen? »Pilotprojekt Ost« und »Zukunft durch Abrüstung« gründen darin, dass zum einen das bundespolitische Engagement der PDS für Ostdeutschland und unsere Stärke im Osten und zum andern unsere konsequente Friedenspolitik während des Kosovokrieges unser bundespolitisches Profil geprägt haben. »Soziale Sicherheit« und »Arbeit, Umwelt und Unternehmen im 21. Jahrhundert« betreffen soziale Großprobleme: den Strukturwandel der Sozialen Sicherungssysteme und der Arbeits- wie der Umwelt. Und »Werkstatt Bildung, Wissenschaft und Technologie« ist aus der Einschätzung geboren, dass hier die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit für uns auf einem zentralen Feld der Auseinandersetzung um die Grundrichtung gesellschaftlicher Entwicklung eklatant war. Also gab es nur eines: Wir stellen uns den Diskussionen der Gesellschaft . Die würde nämlich, so ist bekannt, uns nicht den Gefallen tun, sich unseren Diskussionen zu stellen.
Wie soll es weitergehen? »Forum 2000plus!« ist zunächst im Generellen konzipiert bis Ende 2001. Seine Träger sind der PDS-Parteivorstand, die PDS-Bundestagsfraktion und zu Teilen auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung. »Im Generellen konzipiert« heißt aber nicht, dass die jeweiligen Veranstaltungen im einzelnen schon feststünden. Entwickelt werden muss jetzt vor allem die Zusammenarbeit mit den Ländern. Dabei geht es aber nicht um Auftragerteilung von oben nach unten. Nein, »Forum 2000plus!« könnte auch ein Einstieg sein in eine Internet-gestützte Kooperationsform innerhalb der Partei: Die »Forum 2000plus!«-Seiten im Internet übermitteln mehr an Information über die bisherigen Veranstaltungen, als in langen Beschluss- und Koordinierungspapieren vermittelbar ist – und sie laden ein zur direkten Mitarbeit auf der Länder- und Kreisebene.
Auf den Internetseiten sind immer auch die Kontaktadressen für jedes der Foren von »Forum 2000plus!« genannt. Nun ist also der direkte Kontakt gefragt: für Nachfragen, Vorschläge, Ideen, ausdrückliche Zusammenarbeitsbereitschaft. Unkonventionelles ist gefordert: die Gewinnung von bisher kaum für möglich gehaltenen Diskussionspartnern; die Entdeckung medienattraktiver Veranstaltungsorte und Veranstaltungsformen; die Schaffung breitester Öffentlichkeit.
Der Reader vom Auftakt am 18. März ist beim Projektmanagement von »Forum 2000plus! – Pilotprojekt Ost« noch abrufbar – siehe Internet-Adresse. Er ist gut geeignet, Vergnügen am Gesamtprojekt zu wecken: Vergnügen am Zuhören, am Lernen und am vorwärtsdrängenden Widerspruch.