Rappelt sich die PDS wieder auf?

Aufstehen! Den Blick nach vorn und neu beginnen!

(Veröffentlicht in: Disput, Juni 2003)



In der bundespolitischen Öffentlichkeit ist die PDS seit ihrem Scheitern bei der Bundestagswahl 2002 so gut wie nicht mehr präsent. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass hierzulande eine öffentliche Wahrnehmung unmittelbar an den Status einer im Bundestag vertretenen Partei gebunden ist. In Konsequenz bedeutet dies, dass eine qualitative Änderung erst mit dem Wiedereinzug der PDS in den Bundestag 2006 zu erwarten ist. Frühestens mit Beginn des Bundestagswahlkampfes wird mit einer erneuten Aufmerksamkeit zu rechnen sein. Vorher nicht. Bis dahin kann allerdings die Frage in modifizierter Form öffentlich eine Rolle spielen: Rappelt sich die PDS intern wieder auf, oder nicht? Gelegenheiten, auf diese Frage zu antworten, gibt es wenige. Landtags- und Kommunalwahlen im Osten. Das Schicksal der rot-roten Regierungen in Schwerin und Berlin. Vor allem aber bieten die Europawahlen 2004 diese Gelegenheit. Sie werden als Schicksalswahlen für die Fähigkeit der PDS, bundesweit Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, angesehen werden. Der Anspruch und die Absicht der PDS zur Rückkehr auf die bundespolitische Bühne wird die zentrale Botschaft der PDS in der nächsten Zeit sein müssen. Wenn das so ist, dann wird der Erfolg der PDS sehr davon abhängen, ob es ihr gelingt, glaubhaft zu vermitteln, dass sie aus der Niederlage des Jahres 2002 wirklich gelernt hat. Insofern muss die Frage, ob die PDS die Kakophonie der Stimmen über die Gründe des Scheiterns rasch beenden kann, für die politische Führung der PDS eine zentrale Rolle spielen. Das heißt, eine kurze, schonungslose Analyse unseres Scheiterns muss her, die mit breiter Zustimmung in der PDS rechnen können muss. Ich denke, dass die Quintessenz einer solchen Analyse darin zu sehen sein sollte, dass wir uns über Jahre der nach der Vereinigung entstandenen neuen bundesrepublikanischen Gesellschaft ideologisch entfremdet, uns aus dieser durch Nichtbeachtung – speziell der Entwicklungen in Ostdeutschland – herauskatapultiert haben und dass politische Fehler strategischer und taktischer Art wie personelle Fehlentscheidungen verhindert haben, dass die PDS trotz dieser Fehlentwicklung die Fünf-Prozent-Hürde noch einmal nehmen konnte. Dass die Verantwortung für die eine wie für die andere Frage von durchaus verschiedenen Personen zu tragen war und ist, gehört ebenso zur Wahrheit, spielt aber nur insofern eine Rolle, als daraus Konsequenzen gezogen worden sind und noch zu ziehen sein werden. Irren ist menschlich, Irrtümer gerade in der ersten Frage zur politischen Tugend zu verklären ist dumm.

Die Lehren aus dem politischen Scheitern ziehen heißt, der Partei und der politischen Öffentlichkeit etwas Neues anzubieten. Dieses Neue nun politisch präzise zu bestimmen und attraktiv zu machen, ist der Gegenstand der strategischen Arbeit der PDS. Dieses Neue wird sich als thematisch Neues und als personell Neues darstellen müssen. Der PDS neue politische Themen zu geben und neue Gesichter, ist die Aufgabe. Überzeugend wird das aber auch nur dann sein können, wenn für die politische Öffentlichkeit sich dieses Neue als für die PDS selbst Mobilisierungsfähiges erweist. Wenn es die Partei selbst wieder in Bewegung bringt und auch für neue Mitglieder sorgt. Insofern ist auch die Frage der Mitgliedergewinnung neben der der Rückgewinnung (oder besser: Neugewinnung) von Kampagnenfähigkeit ursächlicher Gegenstand der Führungsarbeit der PDS.

Sowohl die Einsicht in die Kompliziertheit des damit verbundenen innerparteilichen Prozesses der Neuformierung der PDS als auch die Erwartungshaltung der politischen Öffentlichkeit sprechen dafür, für die Rückkehr der PDS auf die bundespolitische Bühne nicht das Modell “Phönix aus der Asche” zu wählen, sondern vor dem Schritt “Was Neues von der PDS” den Schritt: “Was Neues in der PDS” zu gehen. Neue Themen, neue Gesichter und neue Mobilisierungs- und Kampagnenformen sollten innerhalb der PDS erkennbar gemacht werden. Nur so können sie tatsächlich auch entstehen. So können sie Aufmerksamkeit “draußen” finden. Die Aufmerksamkeit der politischen Öffentlichkeit sollte auf diese Vorgänge in der PDS gelenkt werden. Der zweite Schritt wäre dann in den kommenden Wahlkämpfen zu gehen: Was Neues von der PDS. Das würde bedeuten, dass die PDS mit Blick auf den Europawahlkampf in der Thematisierung nicht auf die breite politisch-inhaltliche Arbeit der diversen Arbeitskreise und -gruppen des Parteivorstandes setzt, sondern diese inhaltlich voraussetzt. Wir werden unsere Themen finden müssen.

Der weitere Weg unseres öffentlichen politischen Wirkens sollte einer sein, der die politischen Forderungen einer qualifizierten Minderheit, nämlich der Linkssozialisten, in einer Art und Weise darstellt, dass sie Akzeptanz bei Millionen finden. Zwei Strategien der Kommunikation, die derzeit in der PDS Konjunktur zu haben scheinen, sollten wir vermeiden. Erstens kann es meines Erachtens nicht darum gehen, Forderungen, die derzeit stellvertretend für Millionen Menschen von Bewegungen, Verbänden usw., etwa Teilen der Gewerkschaften, der Friedensbewegung oder von attac, erhoben werden, unsererseits ins Zentrum der politischen Arbeit zu rücken. Hier gibt es keine “Vertretungslücke”, die zu schließen von den Betroffenen von einer politischen Partei, speziell der PDS, erwartet wird. Zumal eher davon auszugehen sein wird, dass derartige Forderungen wenigstens symbolisch auch von den anderen Parteien abgedeckt werden. Zweitens kann es auch nicht darum gehen, sich nur an eine marginale Zahl von Menschen zu wenden, die unsere (pseudo-)radikalen Forderungen teilen.

Lange genug hat der Parteivorstand vor sich hingewurstelt und die Backen aufgeblasen, ohne dass die Öffentlichkeit davon Wind bekommen hat. Oder auch nur eine der Nöte der Menschen in Ost und West durch die PDS gewendet werden konnte. Höchste Zeit, dass wir laut und vernehmlich unseren Anspruch anmelden, als sozialistische Bundespartei auf die politische Bühne der Republik zurückzukehren.

Wir sind als Bundespartei gescheitert, weil wir uns über Jahre hinweg von den Menschen in diesem Lande politisch entfremdet haben. Zu viele von denen, die uns gewählt haben in der Vergangenheit, und das gilt übrigens nicht nur für die Bundestagswahlen, kamen hinterher zu uns und sagten: Wir haben große Hoffnungen in euch gesetzt, nun will aber keiner mehr hören, mit welchen praktischen Vorschlägen wir unsere eigenen Angelegenheiten besser ordnen könnten, als es Staat und Regierung vermochten. Höchste Zeit also, zu den Menschen, zu ihrem Lebensalltag, ihren Erfahrungen, zur Realität zurückzukehren. Wir sollten endlich den Mut haben aufzustehen und wieder selbstbewusst und offen, solidarisch und mutig einen neuen Kampf zu kämpfen beginnen.

Egal, wie viele Menschen heute hinter uns stehen, das Einzige, was zählt, ist die Stärke unserer Ideen. Der politische Wille, diese Ideen gegen jeden Widerstand in dieser Gesellschaft auch durchzusetzen, und die Kraft zur Führung der Partei. Letzteres ist nebenbei gesagt nicht nur, aber auch, eine moralische Frage an diejenigen, die bisher die Partei geführt haben und die sich zutrauen, sie künftig zu führen.

Wir sollten genau hinhören auf den Dreiklang der Idee, die den Kern unseres Selbstverständnisses als linkssozialistischer Partei in dieser Republik bildet: Sozialismus, Widerstand und schlaue Lösungen.

Sozialismus: Wir können und müssen auch in absehbarer Zeit weiterhin unter uns und mit anderen über die gute Idee streiten, die doch bisher immer in der Geschichte so schlecht umgesetzt war. Dafür haben wir die Programmdebatte. Wenn nur eines für jeden und jedermann in unserem Land klar bleibt: unsere Überzeugung, ja Gewissheit, dass eine Gesellschaft möglich ist, in der nicht das erste Gesetz das Gesetz des Profits ist, und nicht das zweite Gesetz, dass ein übermächtiger Staat durch kleinliche und kleinlichste Verordnungen das politische und gesellschaftliche Leben bis in den letzten Winkel beherrschen und der Masse der Bürger den gesellschaftlichen Reichtum, die Arbeit und die Freiheiten nehmen.

Widerstand: Es kann uns nicht darum gehen, nach dem Vorbild der anderen Parteien uns in Lobby-Arbeit zu erschöpfen und im Ausgleich der Ansprüche der vielen Interessenverbände zu verschleißen. Das wollen wir auch auf uns nehmen, wo es sinnvoll fürs Ganze ist. Es muss uns zuförderst darum gehen, dass dritte Gesetz, das diese Gesellschaft beherrscht, zu brechen, das da lautet: Wer auch immer regiert, die kleinen Leute zahlen immer die Zeche.

Schlaue Lösungen: Es gab in der Geschichte immer Phasen, wo die Menschheit von der Plage der Projektemacherei heimgesucht wurde. Aber ein Perpetuum mobile funktioniert eben nicht, da hilft es nichts, daran festzuhalten, weil noch nicht genug Menschen davon überzeugt sind oder den Bau unternehmen wollten. Also Schluss mit dieser Art ideologischer Scheinlösungen, die Ohren und Augen weit aufgemacht und denen zugehört, die im bürgerlichen Leben und nicht in der Politik ihr tägliches Leben meistern müssen und wollen. Und allen Verstand zusammengenommen, die in der PDS aufgehäufte politische Erfahrung auch, und Vorschläge gemacht, von denen die Bürger, ob PDS-nah oder nicht, dann sagen: Ja, das sind wirklich schlaue Lösungen!

Darum also, weil wir dies wollen und weil keine Partei in Deutschland heute so frei ist, dies auch zu tun, müssen wir selbst einen Strich ziehen unter die Zeit der bundespolitischen Agonie. Man soll wieder von uns hören und man wird wieder von uns hören. Wenn wir den Mut zum Neuanfang, die Kraft zur Ehrlichkeit und das Vertrauen in uns selbst, in eine sozialistische Partei gewinnen, die reich ist an Menschen, an Wissen und Erfahrungen aus Jahrzehnten des Kampfes für ein besseres Leben, für eine gerechtere Gesellschaft, für ein solidarisches Miteinander. Fangen wir also neu an und finden dabei zu uns zurück!


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