Der Ost-Auftrag

Abschied nehmen von der Ostpartei muss auch heißen: Anerkennung des Ostens durch die westdeutsche Linke

(Veröffentlicht in: Disput, Oktober 2006)

 

In der Programmdebatte von Linkspartei und WASG spielte die ostdeutsche Frage bislang keine Rolle. Das ist bemerkenswert für eine Partei wie die Linkspartei, deren Schicksal der Osten doch 15 Jahre lang war. Und es geht um die Frage, was die neue Partei mit dem einen Viertel bis einem Drittel Wählerschaft im Osten anfangen will und kann.

Im westlinken Teil der Diskussion gibt es drei Reflexionen der ostdeutschen Frage als einer für die neue Partei kaum relevante. Erstens soll die Linke regional sein, saarländisch oder sächsisch. Aber nicht ost- oder westdeutsch. Zweitens gibt es eine gewisse Skepsis, wenn von Volksparteien gesprochen wird. Drittens hat sich die WASG nicht gegründet, um die Probleme Ostdeutschlands zu lösen.

In der ostdeutschen Basis der Linkspartei artikuliert man erstens Unbehagen, dass der Osten unter „Regionalentwicklung“ und „strukturschwache Gebiete“ (Eckpunkte II) abgehandelt wird. Zweitens werden die politischen Erfahrungen der Linkspartei in den neuen Bundesländern seit der Wende 1989 als ganz eigene behauptet, die es in der neuen Partei aufzuheben gilt. Drittens lässt sich nach den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern eine gewisse Entfremdung zwischen Partei und bisherigen Wählern nicht leugnen. Äußerungen, man fühle sich nicht mehr vertreten, angesprochen und verstanden, lassen sich auch aus der Mitgliedschaft vernehmen. Gregor Gysi brachte es auf die Formel, dass die Partei die ostdeutsche Seele zuwenig beachtet hätte.

Ostdeutschland – ein strukturschwaches Gebiet?

Die Diskussion in den ostdeutschen Landesverbänden der Linkspartei ist da weiter. Alle landespolitischen Leitbilder von Sachsens „Aleksa“ bis zum neuen aus Brandenburg folgen dem Gedanken, dass es in den jeweiligen Ländern Regionen mit unterschiedlichen Entwicklungsdynamiken gibt, von denen die strukturschwachen besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Und auf der Suche nach politischen Lösungen werden natürlich Vergleiche zu solchen Regionen in anderen Bundesländern angestellt. Dabei gelangt man zu der Auffassung, dass, sobald die landespolitischen Spielräume ausgenutzt sind, die Strukturprobleme in Brandenburg wie die in Nordrhein-Westfalen nur mit Hilfe einer anderen Wirtschaftspolitik im Bund wirklich gelöst werden können.

Na also, könnte man meinen. Da sind wir doch wieder alle beieinander. Das scheint der rationale Kern zu sein: Wir haben in neuen wie alten Bundesländern analoge Probleme mit der Regionalentwicklung, es gibt überall strukturschwache Gebiete, und gemeinsam wollen wir für eine neue Wirtschaftspolitik auf Bundesebene kämpfen.

Das ist richtig und bleibt auch so festzuhalten. Dennoch wird damit die ostdeutsche Frage in ihrer Bedeutung für den Parteineubildungsprozess verfehlt. Warum? Weil Ostdeutschland auch als politischer Raum eine besondere historische Dimension besitzt. Eine kulturelle, soziale, politische und wirtschaftliche Eigenart, die sich artikuliert und die repräsentiert sein will.

Dagegen wird geltend gemacht, dass über die vergangenen anderthalb Jahrzehnte ältere kulturelle, sprachliche, historische Verbindungen wie Trennlinien wieder stärker zum Tragen gekommen sind. Die Leute in Mecklenburg-Vorpommern seien viel enger mit denen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein als mit denen im Süden und umgekehrt.

Auch das ist zuzugeben. Aber nach wie vor gibt es dieses eine gemeinsame Schicksal der Ostdeutschen, diese auch so gewusste und erfahrene eine Entwicklung, so unterschiedlich die einzelnen Entwicklungswege verlaufen sein mögen. Was auch immer in diesem Jahr 1989 sich in Koblenz oder Peine ereignet haben mag – es unterschied sich grundlegend von dem, was damals in Bautzen oder Schwerin endete und begann.

Das alles verfehlt, wer mit dem Vokabular „Regionalentwicklung“, „strukturschwache Gebiete“, „Förderpolitik“ usw. über Ostdeutschland spricht. Damit ist nichts gesagt gegen dieses Vokabular der Politik, die Probleme zu lösen braucht es Wissen, das ist nur so zu vermitteln, braucht es „technische“ Lösungen, Haushalte, Gesetze usw., die kennen notwendigerweise keine andere Ausdrucksform. Politik aber ist mehr als die Art, gesellschaftliche Probleme technisch zu lösen. Politik setzt voraus, dass das Volk seine Probleme zur Sprache bringt. Dass es im Parlament sein Echo findet. Parteien sollen zusammenführen, wen gemeinsame, geteilte Erfahrungen als zusammengehörig sich empfinden lassen.

Es ist eine politische Neugründung die erklärte Absicht von Linkspartei und WASG. Das wird heißen, Abschied zu nehmen von der Ostpartei, endlich bundesdeutsch zu werden. Das muss aber auch endlich die politische Anerkennung des Ostens durch die westdeutsche Linke heißen und den damit verbundenen Auftrag, als einzige Partei den Osten weiterhin nachdrücklich zu repräsentieren und dessen Interessen zu vertreten. Oder hat sich unterdessen das besondere Repräsentanzproblem des Ostens verloren, von dem Gregor Gysi im Ingolstädter Manifest sprach und das 1998 im Rostocker Manifest thematisiert wurde? Ich würde da meinen Zweifel anmelden wollen.

Was bedeutete es, diesen Zweifel für den Parteineubildungsprozess produktiv zu machen? Erstens müsste die Frage nach dem Schicksal Ostdeutschlands eine programmatische Antwort finden, die über bindestrich-politische Maßnahmen und Forderungen hinausreicht. Zweitens sollte in der Kultur der neuen Linkspartei als Anspruch gelten, was wir in bewusster Negation der innerparteilichen Praxis der SED, auch des Stalinismus in seiner Banalität, auf dem Außerordentlichen Parteitag gemeinsam beschlossen und einander versprochen hatten. Drittens könnte darüber nachgedacht werden, welchen Wert bei der Festlegung von Delegiertenschlüsseln und anderen Proporzen neben Mitgliederzahlen und Wählerstimmen die Anteile an Wählerstimmen im jeweiligen Land haben sollten. Das besondere politische Gewicht eines Landesverbandes misst sich nicht zuletzt daran. Das sollte innerhalb der Partei einige Überlegungen wert sein. Damit würde man schließlich auch eine gewisse Wettbewerbsgleichheit der Landesverbände, einen Anreiz für den Kampf um Wählerstimmen schaffen.


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