Konservatismus vom Mythos bis Merkel

Vortrag im Workshop der Rosa Luxemburg Stiftung und des Kurt-Eisner-Vereins für politische Bildung in Bayern e.V. vom 4. bis 5. November 2006 im EineWeltHaus in München

1. Europa gründet in der griechischen Antike und im Christentum. Der konservative Gedanke auch.

In der griechischen Mythologie finden wir Nemesis, die Göttin der gerechten Rache. Sie bestraft menschliche Selbstüberschätzung, Übermut und Anmaßung. Also das, was seitdem Hybris genannt wird. Außerdem bestraft Nemesis die Missachtung der Themis, der Göttin des Rechts, der Ordnung und Sittlichkeit. Themis besitzt auch das Wissen von der Zukunft.

Mythen sind Symbolisierungen menschlicher Erfahrungen. Das Problem der Hybris ist seitdem im europäischen Denken präsent. Es ist dies der originäre konservative Gedanke bis heute geblieben.

 

2. In der Neuzeit ist er mit Industrie, Wissenschaft und dem Rationalismus einerseits, gesellschaftlichen Institutionen wie Kirche und Monarchie andererseits verbunden.

Seit Naturwissenschaft, Technik und Industrie einen unbegrenzten Fortschrittsglauben erzeugten, gibt es auch eine konservative Reaktion auf diese Form menschlicher Hybris. In der Neuzeit ist die Rede von der Nemesis aufklärerischen Denkens und technischen Handelns. Hinzu kommt die Verteidigung der feudalen Ordnung und der Kirche gegen die Anmaßungen der Aufklärung.

 

3. Seine originäre moderne Gestalt gewann der konservative Gedanke mit der Kritik der Französischen Revolution durch Edmund Burke.

Die Differenzierung der politischen Ideologie auf dem europäischen Kontinent leitet sich aus den Prinzipien der Französischen Revolution her. Liberalismus, die demokratische und die sozialistische Richtung haben ihren Ursprung in einer Ideologie, d.h. in allgemeinen, vom Verstand als selbsteinsichtig postulierten Grundsätzen und in der Überzeugung, dass eine nach diesen Grundsätzen organisierte Gesellschaft dem Zustand vollkommener Harmonie, Gerechtigkeit und Freiheit sich nähern wird. Der Konservatismus freilich hat seinen Ursprung in einer jeglicher Ideologie und aller Zukunftserwartung abholden Gesinnung.[2]

 

4. Als politischer Konservatismus wird der Konservatismus erst Partei, dann Gegenprogramm und endlich Ideologie.

Nach 1815 nahm der Konservatismus in Frankreich den Charakter einer parteipolitischen Position an. Es ging ihm um den parlamentarischen Kampf um die Interessen bestimmter Gesellschaftsschichten. In Deutschland sah sich der Konservatismus gezwungen, seine Position als Gegenprogramm zu liberalen und demokratischen Forderungen zu formulieren. Das ging einher mit der systematischen Begründung und Rechtfertigung dieser Positionen durch eine traditionale Ideologie.

 

5. Die Verbindung des politischen Konservatismus mit seinem Ursprung ging dabei verloren.

Mit dem Grundgedanken der Abwehr jeglicher Ideologie und Zukunftsverheißung verliert der Konservatismus die Verbindung zu seinem Ursprung.

 

6. Mit dem Abschleifen der Antithesen der Parteipositionen in den letzten fünf Jahrzehnten erscheint der politische Konservatismus in Deutschland nur noch als durchgehend konservative Tendenz der parlamentarischen Parteien, als Selbstverpflichtung auf die Bewahrung der durch Menschenrechte bestimmten Ordnung des GG.

Allerdings gehört zu diesem Befund auch der, dass heute in Deutschland keine Partei ohne eine gewisse Apotheose des Fortschritts und ohne Huldigung des Wachstumsfetischs auskommt. Allen Parteien sind aber auch skeptische Züge eingeschrieben.[3]

 

7. Möglicherweise ist der Mangel konservativen Verhaltens in der deutschen Politik, jüngst zu erleben im grandiosen Scheitern des konservativen Staatsskeptikers Paul Kirchhoffs, als Indiz für einen gravierenden Mangel an Freiheit als Möglichkeit und Fähigkeit der Bürger zu selbständiger Entscheidung anzunehmen. Und möglicherweise ist dieser Mangel verantwortlich dafür, dass Staat und Politik einerseits, die Bürger andererseits sich nur schwer an die globalen Veränderungen anzupassen vermögen.[4]

 

 

 

 

 


[1] Die Thesen habe ich bereits in der Beilage zu mitlinks Nr. 17, Dezember 2006 veröffentlicht

 

[2] Thesen 3 bis 6 folgen der Darstellung von Siegfried Landshut: Konservatismus. In: Landshut, S.: Politik. Berlin 2004, Bd.1, S. 507ff.

 

[3] Vergleicht man die Wahlprogramme der CDU und der SPD zur BTW 2005, dann zeigt das der CDU zweifellos einen skeptischeren Grundzug als das der SPD: Begriff des Regierens und der Staatsaufgaben, kein Wachstumsfetisch und keine Versprechen einer vollkommenen Zukunft. Politisch konservative Positionen scheinen in der ersten Regierungserklärung der Frau Merkel auf: Das Individuum wird hinter das Gemeinschaftsmitglied zurückgestellt, der Staat ist vormundschaftlich und ein Sicherheitsstaat. Das Verhältnis der Bürger, ist keines von Gleichen, Caritas statt Solidarität, Dienen statt Kooperation.

[4] Konservatives Verhalten in der Politik  verstehe ich im Sinne M. Oakeshott (siehe Anlage 2).


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