Ja und nein, doch, eigentlich nicht …

Rezension:  Peter Waldbauer: Lexikon der antisemitischen Klischees. Antijüdische Vorurteile und ihre historische Entstehung. Mankau Verlag, 21. Auflage März 2007

(Veröffentlicht in: Disput 7/2007, S. 46)

Ein von leichter Hand geschriebenes Büchlein, das man ohne bestimmten Bildungsvorsatz in die Hand nehmen kann, um darin zu schmökern

 Es lohnt sich! Rund 200 Fragen stellt Peter Waldbauer in seinem »Lexikon der antisemitischen Klischees«, und er beantwortet sie kurz und knapp. Es beginnt mit einigen Vorurteilen, die»Die Juden« allgemein betreffen. Bereits mit seinem ersten Frage- und Antwortspiel zeigt der Autor, wie er die Sache angeht: Warum tragen die Juden so fantasievolle Namen aus der Pflanzenwelt (Baum, Blumenthal, Korn usw.) oder aus der Tierwelt (wie Adler, Strauß, Sperber)? Der Rezensent hat gelernt, dass die Juden im Zuge der sogenannten »Emanzipation« zwischen 1760 und 1890 in der k. & k. Monarchie sowie in Deutschland deutsche Namen verpasst bekamen und dass die dafür zuständigen Beamten dabei ihre sprichwörtliche Kreativität entfalteten. Den einen Tag standen Blumen bei der Namensgebung Pate, den andern Edelsteine – haben Sie es gewusst?

Vom Vorurteil bleibt nichts 

Aber Rezensent hat nicht nur einiges beim Lesen gelernt, er hat sich dabei auch köstlich amüsiert. Waldbauer war Jahre lang ein enger Begleiter des berühmten Börsenspekulanten und Juden André Kostolany. In dieser Zeit hat er nicht nur gut Geld gemacht, sondern auch etwas von der, wie er es nennt, jüdischen Dialektik gelernt. So fragt Waldbauer anfangs: »Kann man Juden an ihrem Äußeren erkennen?« Seine Antwort ist: Ja und nein, doch, aber eigentlich nicht. An Äußerlichkeiten ja, an körperlichen Merkmalen nicht. Er zeichnet kurz die Geschichte der zwangsweise verordneten Erkennungsmerkmale, das bekannteste: der gelbe Stern, nach. Dann kommt er auf die antisemitischen Karikaturen, bis heute üblich, zu sprechen und erklärt, dass diese jeder Grundlage entbehren. Um, das ist die Pointe, sogleich die zwei Grundtypen, die osteuropäischen Aschkenasim und die Nachfahren der aus Spanien und Portugal vertriebenen Sephardim mit ihren typischen körperlichen Merkmalen zu beschreiben. Er setzt dann noch einen drauf: Einige Juden sehen wie Juden aus, andere nicht. Es gebe sogar Nichtjuden, die wie Juden aussehen. Diese Argumentationstechnik ist großartig subversiv, da bleibt vom Vorurteil, was nur schwarz und weiß kennt, am Ende nichts übrig. Ein weiteres Kabinettstück gefällig? Bitte sehr! »Werden Juden besonders alt? Manche von ihnen ja, manche nein. Allgemein kann man feststellen: Juden achten stärker als andere Völker auf ihre Gesundheit. Schon ihre Religionsgesetze mit den strengen Hygiene und Speisevorschriften halten die Juden zu einer bewussteren Lebensweise an. Auch die Beschäftigung mit intellektuellen Themen bis ins hohe Alter hält, nach Erkenntnissen der Gerontologie, lange jung.« Der Autor erklärt Eigenarten und Klischees, welche mit der jüdischen Religion und Kultur zusammenhängen, bleibt etwas länger im Mittelalter, der ersten Zeit der Ghettos und Pogrome, und kommt dann zum umfangreichsten Teil des Lexikons. Eines der stärksten Klischees ist ja das des Wucherers und Händlers, der auf krummem Wege reich wird. Ein spannendes Kapitel nicht nur jüdischer, sondern auch der Wirtschaftsgeschichte. Auch in diesem Teil wendet Waldbauer diese herrliche Argumentationstechnik an, mit der er jedes Klischees zerstören kann: »Haben Juden eine Abneigung gegen körperliche Arbeit? Wohl die meisten Menschen sind harter körperlicher Arbeit eher abgeneigt. Insofern ist es verständlich, dass auch die Juden Berufe und Positionen anstreben, in denen man möglichst bequem sein Einkommen verdienen kann. Ihre intellektuelle Tradition befähigte sie immer schon zu Berufen, in denen planende und organisatorische Aufgaben überwiegen. Trotzdem gibt es viele Juden, die als Bauer oder Handwerker körperlich hart arbeiten …« Folgende Fragen betreffen Politik und jüngere Geschichte. Als Rezensent soweit gekommen war, ging ihm ein weiteres Licht auf. Waldbauer verwendete die Technik der Dialektik auch bei der Komposition des ganzen Buchs. In einer Antwort liest sich die Sache so, in der andern ganz anders. Und nichts davon ist für sich allein wahr, sondern nur das Ganze. Beispiel: Auf die Frage »Sind Juden feige?« antwortet er: »… Drittens lies sich der talmudisch geschulte Geist der Juden nicht so schnell von Kriegsbegeisterung und Mordlust anstecken, wie dies bei der breiten Masse der Fall war …« Eine Seite und eine Frage weiter liest man: »Haben sich die Juden vor dem Ersten Weltkrieg gedrückt? … Wie die überwiegende Mehrheit des Volkes ließen sich auch die meisten deutschen Juden von der großen Kriegsbegeisterung mitreißen, die 1914 herrschte …« Waldbauer beschreibt, wie die Juden überall Fremde blieben. Sie mussten Nischen nutzen. Oder auf den wenigen Betätigungsfeldern, die allen offen standen, besser sein als die Alteingesessenen. Sie mussten bei Strafe des Untergangs ihren Zusammenhalt bewahren, und das ging nur, wenn sie Religion und Tradition, Sprache und Denken pflegten. So entwickelten sie Eigenarten und Qualitäten zum Überleben, die bei denen, unter denen die Juden Fremde waren, als Vorurteile, Klischees Neid und Hass gleichermaßen befeuerten. Rezensent bewundert den Autor für den gelungenen Versuch, nicht sehr viel mehr als das Feindselige, Negative der Vorurteile aufzulösen und zu zeigen, dass allein dieses bereits genügt, die Juden als das zu zeigen, was sie sind: Menschen wie andere auch. Und das genau ist, was das antisemitische Vorurteil ja vehement bestreitet und was der Antisemitismus dann ausbaut zur Absicht, die Juden als Juden zu vernichten. Selbst wenn, so liest Rezensent das kleine Lexikon, »die Juden « alle krumme Nasen hätten und selbst wenn sie alle geschäftstüchtiger wären als andere, selbst wenn sie vermehrt Professoren, Ärzte, Psychiater oder Journalisten sein sollten oder im Handel und an der Börse besonders erfolgreich, wäre nichts von alledem ein Grund, Antisemit zu sein.

 


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