»Der Balken im eigenen Auge …« Strategien der Entmilitarisierungskampagne aus politisch-psychologischer Sicht

(Veröffentlicht in: Entmilitarisierung? Dimensionen und Perspektiven/hrsg. von K.Benjowski &  B.Gonnermann, Berlin 1990, S.269 -277)

 

Soziale Ideen setzen sich nicht von allein durch. Sie sehen sich der Konkurrenz andere Ideen ausgesetzt. Ihre Durchsetzung hängt heute davon ab, welche sozialen Strategien von den Trägern dieser Ideen entwickelt und eingesetzt werden. Gerade daran scheint zur Zeit die Friedensbewegung zu scheitern. In den folgenden Ausführungen möchte ich nachweisen, daß die bislang dominierende Strategie der Aufklärung eine Menge von Problemen produziert, die verschwinden, sobald man zu zeitgemäßeren Strategien der Durchsetzung sozialer Ideen übergeht. Um es klar an den Anfang meiner Überlegungen zu stellen: Es bedarf m. E. einer deutlichen Professionalisierung der Entmilitarisierungskampagne in Deutschland.

Und es scheint mir eine Überlegung wert, ob hier nicht ein künftiger Schwerpunkt des Einsatzes der Sozialwissenschaften, also auch der Psy­chologie, im Rahmen der Friedensforschung liegen könnte. Unsere moder­nen Gesellschaften stellen einfach neue Anforderungen an Produkte des menschlichen Geistes wie an Produkte der materiellen Produktion oder Dienstleistungen. Es ist durchaus nicht ökonomistisch gedacht. wenn ich hier feststelle, daß der materielle und organisatorische Aufwand zur Ein­führung einer neuen Produktidee oder eines neuen Produktes, etwa eines phosphatfreien Waschmittels, ungleich höher ist als der Aufwand, der betrieben wird. um etwa Ideen der Rüstungskonversion in der Öffentlichkeit durchzusetzen.

In der Friedensbewegung Deutschlands scheint weitgehend der Geist der Aufklärung zu herrschen. Wissenschaft zur Begründung und Konzep­tualisierung der Entmilitarisierungsidee, Ansprache an die Politiker, also Politisierung dieser Idee und die Frage nach Möglichkeiten ihres Einsen­kens in die Köpfe und Herzen der Menschen, also Pädagogisierung dieser Idee, bestimmen weitgehend die Strategie. Diese Gedanken möchte ich im folgenden etwas erläutern.

Erstens: Eigentlich, so nimmt doch das Gros der Entmilitarisierungsan­hänger an, ist ihre Idee konkurrenzlos. Die Ideen gewaltfreier Konfliktlö­sung. der Beendigung des Wettrüstens, nichtkonfrontativer Sicherheits­doktrinen, der Entmilitarisierung, der Rüstungskonversion usw. scheinen unmittelbarer Ausdruck menschlicher Vernunft zu sein. Kein Appell, worin nicht Entmilitarisierung als ein Gebot der Vernunft bezeichnet wird. Die Ideen sind gewissermaßen von sich aus überzeugend, evident. Diese Evidenz wird durch die wissenschaftlichen Nachweise der Bedrohungen und Gefährdungen, die sich ergeben, wenn man diesen Ideen nicht folgt und den Segnungen, die sich aus einer Gefolgschaft ergeben würden, gesteigert.

Zweitens: Nun weiß‘ man immerhin, daß die eigentlichen Träger sozialer Ideen diese zumeist nicht selbst verwirklichen können. Das gilt auch für die Ideen der Entmilitarisierung. Darum adressiert man diese Ideen und entspre­chende Appelle und Memoranden hauptsächlich an die Politiker. Politiker, das ist hinreichend bekannt, können im Parlamentsalltag weniger mit Ideen und Appellen als mit praktisch-politischen Konzepten etwas anfangen. Wiederum wird darum Wissenschaft bemüht, den Politikern klarzuma­chen, daß generell Friedensideen realisierbar sind. Oftmals wird dies bis ins Kleinste demonstriert, etwa bei Fragen möglicher ziviler Nutzung militärischen Geräts.

Drittens: Eine zweite gute Adresse für die Entmilitarisierungsanhänger sind die Wähler und die politischen Parteien und Organisationen. Hierin zeigt sich die richtige Einsicht in moderne Politik, daß sich Politiker heute eben auch darin vom aufgeklärten Monarchen der vorigen Jahrhunderte unterschei­den, daß sie wesentlich nur unter dem Druck ihrer politischen Parteien und Organisationen sowie ihrer Wähler agieren. Also findet sich in Appellen häufig die Aufforderung, den Ideen der Abrüstung bei Wahlen politischen Ausdruck zu geben.

Viertens: Es gehört schon zu den Gemeinplätzen hiesiger Entmilitarisierungsde­batten, daß es keine praktische Entmilitarisierung geben wird, wenn es keine Entmilitarisierung des Denkens gibt. Und bezüglich letzterem gibt es große Besorgnisse in der Friedensbewegung. Es werden Schwierigkeiten für die Mehrheit der Menschen hinsichtlich eines demokratischen, gewalt­freien und toleranten Umgangs miteinander beklagt. Worin, so fragt man sich in der Forschung, liegen die Ursachen für die verbreitete Unfähigkeit der Menschen, der Vernunft (oder dem sogenannten gesunden Men­schenverstand) in Sachen Frieden zu folgen? Diese Ursachen werden vielfach in tradierten Denkgewohnheiten, Erziehungsdefiziten, Ideologisie­rungen, Mythen, aber auch im alltäglichen Frust der Moderne gesehen (1)

Fünftens: Angesichts dieser komplexen Schwierigkeiten ist umso verständlicher, daß die – wiederum aufklärerische – Hoffnung auf die Sozialisation künftiger Generationen friedensfähiger Menschen viel Anklang findet. Konsequente Friedenspädagogik ist eines der Lieblingsthemen der Friedensbewegung, besonders derjenigen Vertreterinnen, die sich als in der Tradition des Pazifismus stehend begreifen.

Im folgenden möchte ich zwei Strategien der Durchsetzung sozialer Ideen in modernen Gesellschaften am Beispiel der Entmilitarisierungspro­blematikdiskutieren. Es wird sich zeigen, daß Strategien nur greifen, wenn sie aufeinander abgestimmt werden. Und es ist festzustellen, daß die Optimierung dieser Strategien eine nach wie vor bestehende Herausforde­rung für die Sozialwissenschaften im Rahmen der Friedens- und Konflikt­forschung ist.

Bei den beiden hier zu diskutierenden Strategien handelt es sich zum einen um die Strategie der Politisierung der Entmilitarisierungsfrage. Das heißt, es wird davon ausgegangen, daß Entmilitarisierung entweder ein genuin politisches Problem ist oder daß sie als soziales Problem nur realisierbar ist, wenn daraus ein politisches Problem gemacht wird, wenn es auf der Ebene von Politik behandelt wird. Zum anderen möchte ich die Strategie der Sozialisierung der Entmilitarisierungsfrage diskutieren. Bei dieser Strategie wird davon ausgegangen, daß das komplexe Problem der Entmilitarisierung die soziale Lage bestimmter sozialer Gruppen der Gesellschaften besonders berührt, daß also konkret soziale Interessen davon betroffen sind. Entmilitarisierung muß also nach dieser Strategie dort thematisiert werden, wo ein konkretes Interesse dafür besteht. An diesen sozialen Orten bestehen dann auch Chancen, Entmilitarisierung praktisch werden zu lassen.

Eine solche soziale Idee wie die der Entmilitarisierung, der gewaltfreien Lösung von sozialen Konflikten in und zwischen Gesellschaften, der Ablösung der Vorstellung „Sicherheit durch militärische Stärke“, setzt sich nicht von allein durch. Soweit diese sozialen Ideen darauf abzielen, einen Wandel nicht nur im sozialen Bewußtsein der Mehrheit der Menschen, sondern auch und vor allem in den bestehenden sozialen Strukturen, Organisationen, Institutionen, also auf staatlicher Ebene, in Streitkräften usw. zu erreichen, müssen sie zu politischen Ideen werden. Zu Ideen werden sie aber bei der heutigen politischen Verfaßtheit moderner Gesell­schaften dadurch, daß sich Interessenverbände, Organisationen, Institu­tionen damit befassen, zum Träger der Idee der Entmilitarisierung zu werden.

Um dies zu erreichen, muß die Idee der Entmilitarisierung erst einmal auf dieser Ebene publik gemacht werden. Der Weg hin zur politischen Idee führt über die Öffentlichkeit. In der Öffentlichkeit haben aber heute nur solche sozialen Ideen eine Chance, die sich in Gestalt von sozialen Konzepten vorstellen lassen. Daher bedarf die Idee der Entmilitarisierung der wissenschaftlichen Bearbeitung. Über die Öffentlichkeit, über Massen­medien, Interessenverbände, Organisationen, Institutionen und endlich politische Parteien gelangen die Idee der Entmilitarisierung und entspre­chend wissenschaftlich gestützte Konzepte für eine praktische Entmilita­risierung dann in die Parlamente und können hier zu praktischen politi­schen Maßnahmen führen.

Wenn dieser Weg bestritten wird, und es ist wohl der in der letzten Zeit favorisierte Weg, dann gilt es, die Logik dieses Weges für die ursprüngli­chen Träger der Entmilitarisierungsidee zu beachten. Es ist doch so, daß eine solche soziale Idee, sobald sie die Metamorphose zur politischen Idee beginnt, der Logik der entsprechenden sozialen Systeme, in denen sie zirkuliert, unterworfen wird. Die Entmilitarisierungsidee führt dann gewis­sermaßen ein Eigenleben. Gerade daraus leitet sich die Forderung nach einer Strategie, leitet sich der Gestaltungsbedarf für die Friedensbewe­gung ab. Kern dieser Forderung ist, zu beachten, daß die Öffentlichkeit (die sogenannte öffentliche Meinung), daß die Massenmedien, Organisationen und Bewegungen, staatliche Institutionen, Parlamente und politische Parteien ihre eigenen Regeln und Gesetze haben. Das ist sicherlich trivial. Ich will aber dennoch darauf verweisen, weil gerade die Interessengeleitet­heit bei der Bezugnahme auf die Idee der Entmilitarisierung in und über die genannten sozialen Systeme die Gestaltung einer Idee zu einer politischen in Ausmaß und Inhalt und damit die Akzeptanz derselben weitgehend bestimmen.

Warum geschieht kein rascher Wandel der öffentlichen Meinung hin zur Entmilitarisierung? Wann wird eine Idee, ein Konzept, bitte sehr, auch eine Entmilitarisierungskonferenz Medienereignis? Eine Schlußfolgerung zu dieser Aufstellung wäre, daß sich die Anhängerschaft der Entmilitarisie­rungsidee dieser Regeln und Gesetze entsprechender sozialer Systeme bedienen, entsprechende Medien- und Organisationsstrategien entwic­keln.

Es ist auch darauf hinzuweisen, daß derartige Kampagnen sicherlich Geld kosten werden. Wir müssen uns einfach mit der Idee anfreunden, daß auch diese soziale Idee vermarktet werden muß. Es sei, um den Vorwurf schnöder Kommerzialisierung abzuweisen, an einige Tatsachen erinnert. Einmal funktioniert heute keine große Solidaritätsaktion ohne Finanzie­rung. Kein Kirchentag findet ohne professionelle Planung und Organisation statt. Endlich sei vermerkt, daß eine Menge Leute mit ihrer Arbeit für die Entmilitarisierung ihren Lebensunterhalt verdienen, ganze Institute und Zeitschriften ihre (auch wirtschaftliche) Existenz dieser Thematik verdanken. Dann kann die Friedensbewegung doch auch von Anfang an Social Marketing für die Entmilitarisierung betreiben. Dies also wäre die erste Folgerung aus der Strategie, die Entmilitarisierungsidee unter gegebenen Bedingungen zu politisieren. Damit wäre der doch naiv aufklärerisch anmutenden Vorstellung, die großen sozialen Ideen des zu gestaltenden Friedens würden sich schon kraft ihrer Faszination und Stärke durchset­zen, wirkungsvoll zu begegnen.

Wenn wir also die Strategie der Politisierung der Entmilitarisierungs­idee folgen wollen, dann müssen wir in der Friedensbewegung bewußt damit rechnen, daß sich zu uns neue Weggefährten gesellen, die ihre eigenen sozialen, bitte schön, auch materiellen und finanziellen Interessen an dieser Thematik haben. Dazu sollten wir uns in der Friedensbewegung bekennen. Wir sollten dies ebenso für unsere eigenen Interessen an dieser Thematik tun. Es ist doch klar, daß wir jeweils unterschiedliche, auch unterschiedlich gemeinsame soziale Interessen an unserem politischen und sozialen Engagement haben. Das gilt für den akademischen Friedens­forscher wie für den Publizisten, für kirchliche Initiativen wie für den General a. D ..

Die Nichtthematisierung dieser Tatsache des jeweils eigenen Interes­ses an dieser Frage ist eines der größten Hindernisse für den Erfolg der Entmilitarisierungskampagnen. Warum? Weil wir zum einen die Chance vertun, auf genau dieser Interessengrundlage, den Interdependenzen, den Interessenausgleich zu suchen und darauf gezielt die Organisationen der Friedensarbeit, auch der Entmilitarisierungsarbeit aufzubauen. Zum anderen, weil die so viel be­schworene Mehrheit der Menschen heutzutage natürlich mißtrauisch ist gegenüber Leuten, die rein aus einer Idee heraus, aus bloßen Vernunfts­gründen, aus Verantwortung für die Zukunft, die Menschheit usw. zu handeln vorgeben. Wir machen uns unglaubwürdig. Wohlgemerkt: Damit denunziere ich keineswegs die Idee oder deren oftmals wirklich engagier­ten Vertreter, diejenigen, die wirklich aus solchem Selbstverständnis heraus persönliche Repressionen in Kauf nehmen. Es geht einfach um die Tatsache, daß wir, wenn wir der Politisierungsstrategie folgen, mit gege­benen Strukturen rechnen müssen. Und die, das sei ohne Zynismus gesagt, sind nun einmal so, daß auch die olympische Idee im Sport nur eine Chance hat, wenn am Ende alle vier Jahre die Rechnung stimmt. Ich glaube, der Friedensidee geht es nicht anders.

Die zweite Folgerung aus der Politisierungsstrategie der Entmilitari­sierung ist, daß in unseren parlamentarischen Demokratien alle wesentli­chen sozialen Probleme erst dann zu politischen Problemen werden, wenn sie die Masse der Menschen berühren, wenn die Mehrheit der Menschen sie entweder selbst zum Wahlthema macht oder akzeptiert, daß sie von einer Minderheit zum Wahlthema gemacht werden.

Politische Themen als Wahlthemen haben immer etwas damit zu tun, daß sie die unmittelbaren sozialen Interessen der relevanten Wähler­schichten ansprechen. Die Ökologieproblematik war nur insofern als Wahlthema aufbaubar, als eine ökologische Gefährdung gewissermaßen hautnah erfahrbar war, oder ein ummittelbarer Gewinn an sozialer Lebens­qualität, Gesundheit usw. durch geforderte ökologische Maßnahmen antizipierbar war. Die Konzerne setzen nur auf Ökologie, soweit damit Staat zu machen ist, das heißt: politischer Einfluß, Macht zu erhalten oder zu erweitern ist. Jedenfalls gilt das für die etablierten Parteien in Deutsch­land. Sie alle gehorchen damit nur den systemimmanenten Regeln und Gesetzen.

Das Dilemma in Sachen Entmilitarisierung ist in dieser Perspektive klar erkennbar: Unmittelbar scheint niemand (der großen Bevölkerungs­mehrheit) einen Gewinn von der Entmilitarisierung zu haben. Eher seien Nachteile zu erwarten. Verlust von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindu­strie, der Armee, dem Ministerium, den entsprechenden wissenschaftli­chen Einrichtungen, ganze Standorte scheinen in Existenznöte geraten zu können. Unmittelbar scheint kaum jemand gefährdet durch Militarisierung. Eher bringt das Militär Sicherheit.

Dieser Schein ist ein sehr realer Schein, das heißt, er beruht nicht einfach auf einem Irrtum der Menschen. Er reproduziert sich mit einer gewissen Systemnotwendigkeit. Wie aber ist dieser Schein, das ist doch unsere berechtigte Frage, zu durchbrechen? Er ist nur dort zu durchbre­chen, wo er praktisch durchbrochen wird. Dort, wo im unmittelbaren sozialen Umfeld der Menschen das Militärische als eine Last am eigenen Leib, auf der eigenen Seele erfahren wird. Wo Tiefflüge Streß erzeugen, wo Übungsgelände die eigene Umwelt zerstören, wo Unfälle die militäri­sche Realität ins scheinbar behütete Leben einbrechen lassen. Auch dort zerbricht der Schein, wo junge Wehrpflichtige darüber nachdenken, ob sie nicht ihre Biographie sinnvoller gestalten könnten. Und der Schein zer­bricht, wird aufbrechbar, wo Entmilitarisierung sozialen Gewinn für die Menschen bringt oder erwarten läßt: Umstellung konkreter Wirtschaftsein­heiten auf zivile Produktion, von Forschungseinrichtungen und Entwick­lungsbüros auf zivile Projekte, wo militärische Standorte konkrete Struktu­rentwicklungspläne bekommen und wo Militärs eine klare, sichere zivile Perspektive garantiert wird.

Mit den letzten Bemerkungen habe ich bereits zur Diskussion der zweiten von mir eingangs genannten Strategie übergeleitet. Ich nannte diese Strategie die Strategie der Sozialisation der Entmilitarisierungsfrage. Diese Strategie beruht auf der Tatsache, daß es vielfache regionale, dezentral organisierte, ja spontane und informelle Initiativen gegen be­stimmte militärische Beunruhigungen und Belastungen gibt. Aus diesen von unten kommenden Friedens- und Entmilitarisierungsinitiativen er­wächst der Entmilitarisierungskampagne, die sich eher aus globalem Denken speist, ein weiterer Quell eher lokalen Charakters. Die Sozialisie­rungsstrategie beruht nun eben nicht darauf, diese von unten kommenden, meist einen konkreten ereignis- oder situationshaften Anlaß und Anspruch habenden sozialen Bewegungen zu einem Vehikel eigener abrüstungspo­litischer Ambitionen zu machen. Die Strategie beruht im Gegenteil darauf, eine effektive Kommunikation zwischen beiden Potentialen herzustellen, gewissermaßen für beide Quellen der Entmilitarisierungsbewegung ein gemeinsames Flußbett zu finden oder zu schaffen.

Meine These besteht darin, daß dies in Deutschland bislang völlig unzureichend geschieht. Ich behaupte, daß der Mangel an Kommunikation seinen Grund in einer spezifischen Kommunikationsstörung hat, die ich abschließend näher beschreiben möchte.

Die Ausgangssituation der lokalen Protestgruppen wie der an den Protesten oder Entmilitarisierung nicht interessierten Mehrheit der Men­schen ist zunächst ziemlich gleich. Beide soziale Gruppen sind unmittelbar und aktuell vom Problem des Militärischen sozial, existentiell, lebensalltäg­lich betroffen bzw. eben nicht betroffen. Engagement wie Nichtengage­ment haben im erlebten Alltag, in akuter Befindlichkeit und unmittelbaren Interessen ihre Wurzeln. Sich dazu zu bekennen ist für beide Gruppen in der Regel ziemlich problemlos.

Die im globalen Denken verpflichteten Vertreter der Entmilitarisierung haben ihrem eigenen Selbstverständnis nach ein eher vermitteltes, mittel­bares Interesse an dem Problem des Militärischen. Ihnen geht es – glaubt man den Äußerungen von Exponenten und den Appellen – um größere Beträge als die eigene Befindlichkeit: Es geht um die Chancen künftiger Generationen, um die Natur, um Europa, um die Sicherheit usw. Nur nicht um sie selbst. In der Kommunikation stoßen dann sehr verschiedene Botschaften aufeinander. Ich will das exemplarisch an einer. fiktiven kommunikativen Situation erläutern.

Vorab sei kurz bemerkt, daß die Kommunikationspsychologie zwi­schen vier Aspekten einer Nachricht unterscheidet: dem Sachinhalt, der Informationen über die mitzuteilenden Dinge enthält, der Selbstkundgabe, durch die der Sender etwas über sich selbst mitteilt, dem Beziehungshin­weis, durch den der Sender zu erkennen gibt, wie er zum Empfänger steht und den Appell,also den Versuch, Einfluß auf den Empfänger zu nehmen. (2)

Die Frage ist also immer: Was gebe ich von mir und was kommt beim anderen an?

Ein Beispiel: Betroffene von Tieffluglärm in einer Kleinstadt. Eine Initiative wendet sich an die Öffentlichkeit. Angesprochen werden Politiker und Militärs als Verantwortliche, Mitbürger als Mitbetroffene und potentielle Helfer der Initiative, also prinzipiell auch Engagierte überregionaler Entmi­litarisierungs- oder Friedensbewegungen. Der Sachinhalt der Nachricht lautet: Tiefflug ist eine Belästigung. Die Selbstkundgabe ist: Wir sind betroffen, wir haben Rechte, wir wehren uns. Der Beziehungsaspekt: Ihr seid verantwortlich! ihr seid genauso betroffen! ihr könnt uns helfen. Der Appell: Ihr sollt die Tiefflüge einstellen! ihr sollt in der Initiative der Betroffenen mitmachen! ihr sollt uns helfen.

Eine recht einfach strukturierte Nachricht. Nun damit konfrontiert, die Antwort einer Entmilitarisierungskonferenz: Sachinhalt: Tiefflüge sind ein Teil der Bundeswehraktivitäten. Diese sind integriert in ein NATO-Konzept. Das ist einer Sicherheitsdoktrin verpflichtet, die …. Die Selbstkundgabe ist: Wir sind diejenigen, die das Problem an der Wurzel packen, wir sehen das große Ganze an Eurem Tieffluglärm. Wir sind kompetent. selbstlos, vernünftig, guten Willens und überparteilich. Damit wird die Beziehung definiert: Wir sind auf einer Position, auf die Ihr erst einmal kommen müßt.

Vergleicht man die Nachrichten, so sind deutliche Unterschiede erkennbar. Bei der Nachricht der Tieffluginitiative ist der Sachinhalt ein­fach, bei der Entmilitarisierungsgruppe komplex. Bei der Tieffluginitiative ist die Selbstkundgabe persönlich, bei der Entmilitarisierungsgruppe sehr unpersönlich. Auch die Beziehungen werden anders vorgestellt: Die Tief­fluginitiative beschreibt ihre Beziehungen, die Entmilitarisierungsgruppe ist hier eher vorschreibend. Entsprechend different sind die Appelle: Bei den einen ist der Appell sehr konkret, auf erwartete Handlungen bezogen, bei den anderen ist er abstrakt, auf Haltungsänderung bezogen. Die Kommu­nikation ist gestört. Und bei den Entmilitarisierungskonferenzteilnehmern wird wieder die Frage aufkommen, wie die Beschränktheit der Leute wohl zu überwinden sei. Die Klagen über mangelndes Interesse, über Wissen und politisches Engagement in Sachen Entmilitarisierung werden zu hören sein.

Wendet sich die Entmilitarisierungsgruppe nun an die Öffentlichkeit anderer Städte, wo gerade kein Tiefflugproblem ist, so werden sie mit ihrer Nachricht ebenso daneben liegen. Ich will das Beispiel nicht weiter ausführen. Es ist wohl deutlich geworden, worin die Probleme der Kommu­nikation liegen. Es ist ein enormer Mangel an öffentlicher Reflexion über unsere sehr persönlichen Gründe und Motive des Engagements in Sachen Abrüstung. Wir denken halt global. Das Muster der Botschaften ist dann immer ähnlich: So wie bisher kann die Menschheit nicht weitermachen, wir müssen alle unser Leben ändern. Indem wir das aber sagen, gilt dieser Appell für uns selbst ja nicht mehr. Wir sind schließlich bereits engagiert, denken neu usw. Wir fordern also etwas von anderen, was wir selbst hinter uns haben, ohne den Empfängern unserer Botschaft mitzuteilen, wie wir dazu gekommen sind, was wir davon konkret haben, wie wir uns nu n fühlen usw. Dabei gäbe es dazu viel Ermutigendes zu sagen.

Abschließend sei bemerkt: All diejenigen, wozu ich auch mich zähle, denen an der Entmilitarisierung unserer Gesellschaften etwas liegt und die dafür arbeiten, müssen sich künftig mehr einfallen lassen, wie ihre Ideen sozial durchzusetzen sind. Dazu sind neue Strategien und Konzepte für Entmilitarisierungskampagnen notwendig. Diese Strategien müssen der Logik unserer modernen Gesellschaften entsprechen. Wichtig ist dabei besonders die Frage nach Möglichkeiten einer veränderten Kommunika­tion mit den verschiedenen sozialen Gruppen der Gesellschaft, mit Minder­heiten und der bislang unerreichbaren Mehrheit der Menschen.

Eine derart veränderte Kommunikation erfordert von uns eine gründ­liche Standortbestimmung in der Gesellschaft. Sie erfordert die Reflexion der eigenen Interessen an der Entmilitarisierungsfrage ,der eigenen Motive politischen Engagements, der Herkunft unserer Einsichten, unseres Wis­sens, unserer Einstellung. Hier liegt ein wichtiges Feld sozialwissenschaft­licher Friedensforschung, auch der Politischen Psychologie. Wir sollten uns nicht immerzu die Frage aufdrängen lassen, warum die Mehrheit so schweigsam ist. Vielleicht sind wir bisher auf die falsche Weise beredt. Denn es ist doch immer noch wahr: Ehe man den Splitter aus dem Auge des anderen entfernen kann, gilt es, den Balken im eigenen Auge zu erkennen und zu beseitigen.

(1)   S. Fischer, Notwendigkeiten, Möglichkeiten, Bedingungen und Folgen einer Entmilitarisierung der DDR. IPW – Berichte 6/90, S. 35.

(2)   Vgl. dazu Friedemann Schulze von Thun, Miteinander reden. Bd. 1 und 2, Hamburg 1989, 1990.


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