EIGENARTEN POLITISCHER WERBUNG

(Veröffentlicht in: Friedenswissenschaft und Friedenslehre an Fachhochschulen und Universitäten, Haag & Herchen, Frankfurt/M. 1991)

 

»In gewisser Weise ist der Wahlkampf die Zivilisierung des Bürgerkrieges«

Karsten Voigt

 

Die hier von mir mitzuteilenden Beobachtungen und Analysen über die politische Werbung, speziell über die sogenannten Sichtwerbung, also Plakate, Handzettel usw., sollen zum einen Aufschluß geben über einige psychische Mechanismen unserer politischen Kultur. Zum anderen sind diese Tatsachen m. E. deshalb bedeutsam, weil gerade die politische Sichtwerbung massiv und dauerhaft in das Bild der Stadtlandschaften eingreift und für diesen unerfreu­lichen Eingriff Steuermittel in Millionenhöhe über die Wahlkostenrückerstattungen an die Parteien ausgegeben werden.

Am Anfang möchte ich einige Beobachtungen mitteilen, die die Einstellungen der politischen Aktivisten der Partei­en, also derjenigen, die sich in den Wahlkämpfen beson­ders engagieren, zur politischen Werbung betreffen.

 

a)      Es ist ganz augenfällig, daß bei diesen politischen Aktivisten aller Parteiebenen ein starkes Bedürfnis nach politischer Werbung vorhanden ist. Schon lange vor der heißen Phase der Wahlkämpfe häufen sich die beharrlichen Nachfragen bei den nächsthöheren Parteiinstanzen nach Werbemitteln, vor allem nach Plakaten und nach dem übli­chen Werbekitsch. Dabei fällt auf, daß viele dieser Nach­fragen einen geradezu drängenden Charakter haben, ja daß nicht selten dramatisiert wird nach dem Motto: Wir sind erledigt, wenn nicht endlich Plakate, Sticker usw. kommen.

 

b)      Damit verbunden ist ein unter den politischen Aktivi­sten weit verbreiteter Glaube an die Wirkung politischer Werbung. Es ist ganz unbestreitbar für Wahlkämpfer, daß politische Werbung enormen Einfluß auf das Wahlergebnis haben wird. Gelungene Plakate und Sprüche werden selbst­verständlich mehr als nur diesen oder jenen unentschlos­senen Wähler beeindrucken. Darum kommt ehrliche Freude und Hoffnung auf beim Betrachten von Entwürfen auf dicken Packen Hochglanzpapier.

 

c)      Neben dem Bedürfnis nach politischer Werbung und dem unbedingten Glauben an deren Omnipotenz lassen sich bei politischen Aktivisten auch kräftige Wettbewerbs- und Leistungsmotivationen entdecken. Mit größtem Eifer beobachtet man die Werbeaktivitäten der politischen Gegner. “Wir müssen unbedingt die besseren Werbemittel haben. Groß, bunt, schön, vor allem aber viel. Viel mehr als die anderen. ”

 

Täglich konnte ich vernehmen, mit welcher Begeisterung Aktivisten sich bei aller Wahlbürohektik mitteilten, wo sie welches Plakat und welchen Aufkleber “von uns” jüngst gesehen haben.

Dazu kommt, daß sich Wettbewerbs- und Leistungsmotive ge­rade auch beim Umgang mit Werbemitteln offenbaren. Wenn wir es mit engagierten Klebetrupps zu tun haben (bei be­zahlten Kolonnen ist das naturgemäß nicht so), so legen diese nächtlich ihren ganzen Ehrgeiz darin an, mehr zu kleben als die anderen (denen man gelegentlich begegnet und übliche Revierstreitereien austrägt – Plakate abrei­ßen, überkleben, und ab und an handfeste Auseinanderset­zungen) , am besten Ort zu kleben (wo die anderen nicht herankommen, wo es gut sichtbar ist) und vor allem auch so früh als möglich zu kleben. Mit Stolz und Freude stellt man am kommenden Tag fest, daß das Werk gelungen ist.

Darüber hinaus will ich noch anmerken, daß es spannend ist, wenn Macher unter den Aktivisten, also diejenigen, die das Sagen auf den verschiedenen Partei ebenen haben, die Entwürfe diskutieren. Da wird nicht nur mit einer wahren Verbissenheit diskutiert und gestritten. Da quält sich tausendfach die Phantasie. Kaum einer, der nicht einen eigenen Spruch oder Gestaltungshinweis bei tragen könnte.

 

In folgenden Statements faßt sich das in den benannten Beobachtungen äußernde Selbstverständnis der politischen Aktivisten und Macher zusammen:

1.     “Wir müssen uns unbedingt zeigen.”

2.     “Es ist unheimlich wichtig für unser Wahlergebnis, daß wir uns in der Öffentlichkeit zeigen.”

3.     “Wir müssen uns besser präsentieren als unsere Gegner.”

4.     “Wir müssen unsere Gegner in der Öffentlichkeit nega­tiv darstellen.”

 

Für mich war die Darstellung dieser an sich bekann­ten Tatsachen deshalb wichtig, um zu verdeutlichen, wel­ches die reelle Funktion der politischen Werbung aus psy­chologischer Sicht ist: Es ist die Funktion der Selbst­darstellung.

Selbstdarstellung ist hier als psychologischer Terminus gebraucht, er bezeichnet eine besondere Form der Ein­druckssteuerung. Eindruckssteuerung oder Eindruckslenkung ist ein Sachverhalt, der von der Sozialpsychologie im ebenso benannten Konzept (man kann auch Theorie sagen) beschrieben und analysiert wird. Freilich ist die Anwen­dung der Theorie der Eindruckslenkung auf die Phänomene der politischen Werbung nicht ganz problemlos. Wir haben es hier mit Gruppen- und Intergruppenphänomenen zu tun. Die Theorie der Eindruckssteuerung ist aber zu guten Tei­len Persönlichkeitspsychologie. Wenn wir hier im Zusammenhang mit den benannten Phänomenen der politischen Wer­bung etwa von einem zu erkennenden Bedürfnis nach Konsi­stenz und nach Anerkennung sprechen (1), dann ist das zu­nächst eine Analogie. Gruppen haben keine Bedürfnisse. Aber: es ist durchaus sinnvoll, diese Analogie aufzuhe­ben. Denn es gibt bei den genannten Aktivisten ein klar ausgeprägtes Bedürfnis, in der Gruppe bzw. Organisation (Partei) konsistent zu erscheinen und Anerkennung in die­ser Gruppe bzw. Organisation sowie Anerkennung als Grup­penmitglied von außen zu erhalten.

 

Kurz: die Anwendung der Theorie der Eindruckssteuerung auf die Phänomene der pol tischen Werbung sind einmal möglich bei der unmittelbaren Betrachtung der politischen Akteure und zum anderen bei der mittelbaren Betrachtung der politischen Akteure, bei der also der Gruppen- und Organisationsbezug des Handeins der Individuen expliziert wird.

Bekanntlich ist, wenn wir die sozialpsychologische Dimen­sion der Selbstdarstellung beachten, die Funktion der Selbstdarstellung wesentlich mit zwei angestrebten Vor­gängen verbunden: Einmal mit der Bestätigung des kollek­tiven Selbstbildes, zum anderen mit der positiven Beein­flussung des kollektiven Fremdbildes.

In unserem Falle der politischen Werbung kommt es den Ak­teuren also darauf an, das Bild von der eigenen Partei via politische Werbung sich selbst, d. h. parteiintern, zu bestätigen. Es kommt ihnen weiter darauf an, daß das Bild von der eigenen Partei, das die Wähler haben, ver­bessert wird.

 

Nun ist eine Merkwürdigkeit, daß die beiden Vorgänge bei den Aktivisten ganz unterschiedlich gewichtet werden. Selbstverständlich steht für alle die Beeinflussung der Wähler, also die Korrektur des kollektiven Fremdbildes, im Vordergrund. Das ist die erklärte Absicht der Werbe­rnacher und der Engagierten. Die beschriebenen Phänomene aber, die Begeisterung, ja Verbissenheit, der unbedingte Glaube an die Werbung in der Politik, das alles ließe sich so nicht erklären. Vielmehr ist wohl davon auszu­gehen, daß die Einstellungen zur politischen Werbung eher von der erlebten, also effektiven Wirkung dieser politi­schen Werbung, der Bestätigung kollektiver Selbstbilder, abhängen.

 

Hieraus erklärt sich auch, daß die bevorzugte Strategie der politischen Werber die der Idealisierung des eigenen politischen Selbstbildes ist. Zum Zwecke der Idealisie­rung werden vor allem Techniken der Symbolisierung und der Personalisierung verwandt. Man muß einmal erlebt haben, wie hartnäckig der Kult ums Logo betrieben wird und wie angestrengt nach den besten Photos der Kandidaten gesucht wird, um zu verstehen, daß die politische Werbung zuerst eine innerparteiliche Funktion hat. Sie dient, obgleich dies meist verleugnet wird, zuallererst der Formierung der eigenen Legionen und erst in zweiter Linie der Beeinflussung der potentiellen Wähler.

Dasselbe trifft auf die Formen der politischen Werbung zu, die mit der Herabsetzung des politischen Gegners zu tun haben. Gemeinhin ist die Funktion der politischen Werbung im sogen. Angriffswahlkampf dahingehend bestimmt, daß durch die Herabsetzung des politischen Gegners eine Motivationsstruktur “Meine Stimme gegen ••• ” bei den Wäh­lern erzeugt werden soll. Das ist die erklärte Absicht. Betrachtet man allerdings die Art und Weise des Erzeugens von Angriffsstrategien und auch die Materialien selbst, das Bild vom politischen Gegner, so ist klar zu erkennen, daß die Generierung von Bildern der anderen zuerst eine Funktion bezüglich der eigenen Partei, der eigenen Gruppe hat. Das ist aus der Sozialpsychologie des Intergruppen­verhaltens altbekannt.

 

Eine Gruppe, die sich in einer Konkurrenzsituation zu einer anderen Gruppe befindet, hat die Tendenz zur Di­stanzierung und Abgrenzung vom Gegner, der Aufwertung der eigenen Gruppe und der Abwertung des Gegners. Und diese Tendenz wird in der Regel symbolisch vermittelt. Insofern sind also auch die Materialien der politischen Werbung im Angriffswahlkampf daraufhin zu analysieren, welche Wirk­samkeit sie für die Integration und Mobilisierung der eigenen politischen Partei bzw. ihrer Anhänger haben. Erst in zweiter Linie wäre zu fragen, welche Wirkung die politische Werbung auf potentielle Wähler hat.

Ich habe bis hierher die Phänomene der politischen Wer­bung unter dem Aspekt ihrer Funktion der Selbstdarstel­lung, der Eindruckssteuerung betrachtet. Dabei ist hof­fentlich klar geworden, daß politische Werbung, soweit sie der Mobilisierung und Integration der eigenen Gruppe bzw. Organisation (Partei) dient, auf die Bestätigung des eigenen positiven kollektiven Selbstbildes und die posi­tive Korrektur des kollektiven Fremdbildes sowie auf die Schaffung eines negativen Bildes vom politischen Gegner abzielt.

 

Im Zentrum der psychologischen Betrachtung dürfte also die Betrachtung der politischen Selbstbild-Fremdbild-Pro­blematik stehen. Wenn das richtig ist, dann kann man wohl behaupten, daß politische Werbung auf die Manipulation von sozialen Stereotypen zielt. Auf jene internen Abbil­der, die sich auf den sozialen Bereich beziehen und die für die Wahrnehmung und Beurteilung, für das Verhalten der Individuen im sozialen Umfeld relevant werden. Die Manipulation, die gezielte Beeinflussung der sozialen Stereotype wird dadurch realisiert, daß man sich bestimm­ter Effekte bedient, die mit dem Wirken, mit dem Mecha­nismus sozialer Stereotype verbunden sind. Diese Effekte sind in der Sozialpsychologie untersucht. Ich will wich­tige Effekte nennen und schließe mich dabei der Argumen­tation von FRINDTE an (2).

1. Stereotype dienen der Orientierung im sozialen Umfeld. Dazu bedarf es des Wissens. Unwissen über den politischen Gegner führt mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Nutzung bereitgestellter Schemata als Orientierungshilfen. Undif­ferenzierte Stereotype und Manipulierbarkeit gehören zusammen.

2. Stereotype bewirken den sog. Negativitäts-Effekt. Ne­gative Informationen, die man zusammen mit indifferenten und positiven Informationen aufnimmt, werden im allgemei­nen stärker beachtet als andere. Das Urteil, das sich ein Mensch auf der Grundlage der Gesamtinformation bildet, wird vor allem von den negativen Informationen beein­flußt.

3. Stereotype sind mit einem Konsistenz-Effekt verknüpft. Menschen sind in der Regel bestrebt, ein (vermeintlich) geschlossenes Bild von der Welt zu erlangen. Gefahr: Man sieht nur das, was man kennt und was man sehen will!

4. Stereotype sind mit der sogen. Selbstbild-Fremdbild­-Verschränkung verbunden. Die individuelle Sicht auf die soziale Umwelt ist eng verknüpft mit dem Bild, das wir von uns selbst haben. Je differenter und realer unser Selbstbild ist, desto adäquater ist unser Bild von der sozialen Umwelt. Selbstüberschätzung erleichtert die Dis­kriminierung des Gegners.

5. Stereotype haben die Tendenz, sich selbst zu bekräfti­gen und zu bestätigen.

 

Die bisher mitgeteilten Beobachtungen haben einen großen Mangel: Sie folgen einem Trend in der Sozialpsychologie und der Politischen Psychologie, der darin besteht, daß die emotionale und affektive Seite politischen Verhaltens zuwenig thematisiert wird.

 

Gerade die Problematik des politischen Wahlkampfes zeigte im Jahre 1990 in der früheren DDR, wie wichtig die Emo­tionalisierung von Politik sein kann, wenn mit diesen Emotionen kulturvoll umgegangen wird. Ich meine die neu entdeckte politische Kultur gewaltfreier Auseinanderset­zungen.

 

Aus dieser Sicht scheint es mir angebracht, darauf hinzu­weisen, daß soziale und politische Stereotype unter­schiedlich stark emotional und affektiv geladen sein kön­nen. Die politische Werbung besorgt dieses Geschäft. Da­bei sind es nicht nur die Inhalte und Argumente, sondern es ist die Sprache und Symbolik, der Stil, der diese emo­tionalen und affektiven Aspekte transportiert.

 

Die Akzeptanz von Gewalt gegen den politischen Gegner ist über diese Aspekte der politischen Werbung steuerbar. Daß dies möglich ist, hat m. E. noch niemand bestritten. Die­se Möglichkeit hat ihre Voraussetzungen. Erstens wird po­litische Werbung im gewohnten sozialen Umfeld, im Alltag, rezipiert. Die unmittelbaren Auswirkungen sind gering. Zweitens ist festzustellen, daß gerade die politischen Aktivisten der verschiedenen Parteien im Wahlkampf kaum Gelegenheit zur direkten Kommunikation, zur unmittelbaren sachlichen politischen Auseinandersetzung haben. Man könnte fast von einem Abgrenzungssyndrom, von Berührungs­ängsten o. ä. sprechen. Die politische Auseinandersetzung der Aktivisten ist im Wahlkampf eher oder fast aus­schließlich eine symbolisch vermittelte oder über die Re­präsentanten laufende.

 

Daher ist die im Alltag durch aggressive Wahlwerbung in­duzierte Gewalt im massenhaften Vandalismus, in der Zer­störung gegnerischer Werbemittel zu finden. Und nicht zu­fällig richte t sich diese Gewalt weniger gegen Plakate schlechthin, sondern vielmehr gegen parteieigene Symbole und Bilder der Repräsentanten auf den Plakaten.

 

Ganz anders sieht es in nichtalltäglichen sozialen Situa­tionen wärend des Wahlkampfes aus. Die Frage, inwieweit aggressive Wahlwerbung, die emotional und affektiv stark geladenen Bilder vom politischen Gegner, die Feindbilder, zur Konsequenz physische Gewalt haben, hägt von den si­tuativen Bedingungen der jeweiligen Wahlveranstaltungen ab. Kundgebungen, Foren, Diskussionsrunden, Informations­stände u. ä. haben ihre eigene Logik. Diese zu beherr­schen ist ein autonomes Stück politischer Kultur.

 

Freilich, es ist sehr viel schwerer, sozialpsychologische Massenphänomene zu beherrschen und Gewalt auszuschließen, wenn im wahlpolitischen Alltag Aggressionen die politi­sche Szenerie, auch die politische Werbung, beherrschen. Aber selbst dann ist dies noch möglich.

 

1)    Forgas, Joseph P.: Sozialpsychologie. Weinheim 1987, 170 ff.

2)    Frindte, Wolfgang: Feindbilder aus der sicht des Psychologen. In: Wissenschaft und Fortschritt. Heft 3/1989.

Das Zitat, das ich als Motto verwandt habe, ist nachzulesen in der “Berliner Zeitung” vom 7.9.1990 (S. 13).


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