Vortrag auf einer Arbeitstagung des Kurt-Eisner-Vereins – rls in Bayern: Der Israel/Palästina-Konflikt als Thema der politischen Bildung am 18. April 2009
(Veröffentlicht in: rls Bayern, Studienreihe Heft Nr. 10/2009)
Als ich vor wenigen Tagen, am 14. April um 18:40 Uhr im Deutschlandfunk den Beitrag von Dorothea Jung zum Thema „Antisemitismus der politischen Linken. Ressentiment mit Tradition” hörte, steckte ich mitten in meinen Vorbereitungen auf diese Tagung. Ich denke, dass wir, damit meine ich die Partei DIE LINKE, das Thema gerade im Superwahljahr nicht los werden. Es wird instrumentalisiert werden gegen uns. Dagegen werden wir uns wehren.
Wir haben damit schließlich reichlich Erfahrungen:
- Die Antisemitismusdebatte innerhalb der deutschen Linken reicht, wenn man so will, bis in Marxens Zeit zurück. Ich erinnere an die Debatte um die sogen. „Judenfrage” und die bis in die Jetztzeit andauernden Deutungsversuche Marxscher Texte und Briefe, und sie hält bis heute an – ob wir das wollen oder nicht.
- Die Debatte um die Haltung der deutschen Linken zum Israel – Palästina – Konflikt wurde geführt seit es diesen Konflikt gibt, also rund 60 Jahre, wobei nicht nur Historiker umgehend auf die Vorgeschichte des Konflikts, die Auseinandersetzungen innerhalb der Linken über den Zionismus usw. verweisen werden.
- Die Partei DIE LINKE besteht seit knapp zwei Jahren und in diesen zwei Jahren war sie gefordert, nicht im Israel – Palästina – Konflikt, sondern zu diesem Konflikt politisch eine Haltung einzunehmen und innen – wie außenpolitisch zu agieren. Die Partei hat das parlamentarisch wie außerparlamentarisch getan und was sie auch tat, das gilt für die Partei wie für die Bundestagsfraktion, tat sie mit Mehrheit und es war dennoch umstritten. Auch hierzu wäre anzumerken, dass es ein reiches Erbe der Quellpartei PDS gibt, das die neue Partei sich erst langsam erschließt. Es reicht in die Wendezeit zurück, in der die Regierung Modrow eine grundlegende Revision des Verhältnisses der DDR zu Israel einleitete und die erste frei gewählte Volkskammer die bekannte Resolution „Zur Verantwortung der Deutschen in der DDR für ihre Geschichte und ihre Zukunft” verabschiedete, mit Zustimmung aller Fraktionen, also auch der der PDS, welche die Passage enthielt:
„Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDRPolitik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Land (…) Wir erklären, uns um die Herstellung diplomatischer Beziehungen und um vielfältige Kontakte zum Staat Israel bemühen zu wollen.”[1]
Womit darauf verwiesen sei, dass die Auseinandersetzung um die Rolle der DDR im (!) Israel – Palästina- Konflikt zu diesem Erbe der Partei DIE LINKE gehört.
Spätestens seit der massenmedialen Inszenierung des „Falls Dierkes”,[2] eigentlich seit Gregor Gysis großer Rede zum 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels und den Auseinandersetzungen um die Teilnahme und die Reden von Politikerinnen und Politikern der LINKEN an Protestdemonstrationen gegen den Gazakrieg, ist uns in der LINKEN nur zu klar, dass die Auseinandersetzung darum, wie sich die Partei als Partei zum Israel – Palästina – Konflikt konkret politisch verhalten soll, alle die angeführten Diskussionen virulent werden lässt. Sie sind darum, ob uns das gefällt oder nicht, nicht nur der Hintergrund, sondern genuiner Teil dieser aktuellen politischen Debatte. Und innerparteilich hängt diese Virulenz sicherlich damit zusammen, dass es das Privileg „ewiger” Oppositionsparteien ist, ideologische Debatten zu pflegen, deren Protagonisten ihre Annahmen nicht dem Praxistest, einer Verifikation oder Falsifikation unterziehen brauchen. Ich werde darum im ersten Teil meines Beitrages über die Frage der Art und Weise der Legitimierung des Israel – Palästina – Diskurses der Linken und die Notwendigkeit, allen Versuchen der Delegitimierung linker Kritik an der israelischen Palästinapolitik entgegenzutreten, sprechen. In einem zweiten Teil will ich zeigen, dass und warum sich symbolische Politik für diesen Konflikt nicht unbedingt als Mittel anbietet und welche politischen Handlungsformen und Mittel sich wahrscheinlich eher anbieten.
1. Über Legitimation und Delegitimation
Wir werden uns auf einige Tatsachen, Fakten und Hintergründe der aktuellen linken Debatte verständigen können:
- Die israelische Palästinapolitik ist menschenverachtend, achtend, inhuman, verletzt elementare Menschenrechte und ist unmoralisch. Darum ist sie, auch von links, zu kritisieren und zu verurteilen.
- Die Kritik und Verurteilung der aktuellen israelischen Palästinapolitik ist als solche nicht automatisch antizionistisch und auch nicht antisemitisch.
- In der Bevölkerung sind antiisraelische, aber eben auch antizionistische und antisemitische Einstellungen weit verbreitet. Die Linken sind davon nicht frei.
- Die deutschen Massenmedien sind proisraelisch parteiisch in ihrer Berichterstattung über den Israel – Palästina – Konflikt.
- Die deutsche Außenpolitik ist in diesem Konflikt ebenso proisraelisch parteiisch.
Unter diesen Umständen muss linke Kritik an der israelischen Palästinapolitik damit rechnen, umgehend und öffentlich als antizionistisch und antisemitisch denunziert zu werden. Das heißt, das Umfeld zwingt uns, diese Debatte zum Israel – Palästina – Konflikt umgehend zu legitimieren. Aber wie? Einmal geschieht das mit Verweis auf ein Allgemeines, durch den Verweis auf die Menschenrechte und deren Unteilbarkeit. Für uns ist dann dieser Konflikt einer von vielen, an sich nichts Besonderes. Ein Menschenrechtsdiskurs also.
Dann aber gibt es die Legitimation des Diskurses durch ein Einzelnes, den Verweis auf die Tatsache, dass wir Deutsche sind. Für uns ist der Konflikt ein einzigartiger wegen des besonderen deutsch – israelischen Verhältnisses. Das ist der Rekurs auf die deutsche Geschichte, der Verantwortungsdiskurs.
Beide Diskurse sind sicher notwendig zur Legitimation unserer Kritik. Aber sind sie schon hinreichend? Sind sie links? Müssten wir nicht eine Legitimation finden für uns als Menschen, als Deutsche und als Linke?
Hier stecken wir vermutlich in einem gewissen programmatischen Dilemma. Zwar verfügt DIE LINKE über ein Parteiprogramm, dieses ist aber nicht ohne Grund „Programmatische Eckpunkte” benannt. Darin ist auch der zum Erbe der neuen Partei gehörige Begriff des Demokratischen Sozialismus aufgenommen, bestimmt als Wert, Ziel und Bewegung. Der taugt gut zur Orientierung innerhalb der eigenen Gesellschaft, die damit verbundenen Vorstellungen von Politik und Gesellschaft scheinen mir allerdings nur eingeschränkt tauglich
zum Verständnis der Entwicklung anderer Gesellschaften, gar solcher außerhalb des eigenen Kulturkreises. Welche normative Vorstellung von der Zukunft der palästinensischen und der israelischen Gesellschaft haben wir eigentlich? Müssten wir darüber nicht Auskunft geben, wenn wir eigene außenpolitische Ziele im Israel-Palästina-Konflikt formulieren wollen?
Die ganze Programmdebatte liegt derzeit noch brach. Ob und wie sich die neue Partei dazu verhält, dass es eine Vielfalt historisch- kultureller Entwicklungen von Gesellschaften und deren Ordnungen, Organisationen und Institutionen gibt, welche Politik- und Gesellschaftsvorstellungen sie in einem Parteiprogramm fixieren wird – der programmatische Mangel sollte behoben werden, auch weil es sonst an Orientierung für die Analyse und Bewertung eines konkreten Konflikts weiterhin mangeln würde. Ich komme darauf zurück.
Soweit zur Frage der Legitimierung des Diskurses.
Ich habe darauf hingewiesen, dass es in Deutschland einerseits einen durchaus verbreiteten Antisemitismus und andererseits eine solide massenmediale Praxis einseitiger proisraelischer Parteinahme gibt. So richtig es ist, dass sich der Antisemitismus nach Ende des Dritten Reiches in subtilere Gewänder transformierte und in der Kritik an der israelischen
Palästinapolitik eine scheinbar unverdächtige Ausdrucksform fand -den Versuchen der Delegitimierung (linker) Kritik an der israelischen Palästinapolitik durch die bloße Behauptung, diese sei antisemitisch motiviert, muss entschieden entgegen getreten werden.
Im „Fall” Hermann Dierkes machten etwa die prominenten Politikerinnen und Politiker der Linkspartei, die sich in der Erklärung vom 1. März von jeglichem Antisemitismus (und damit natürlich von ihrem Genossen Dierkes) distanzierten, den Fehler, nicht genauer analysiert zu haben.
- Man hätte die „öffentliche Empörung” auch als Inszenierung entlarven müssen, insoweit sie den Antisemitismusvorwurf interessiert nach vorn spielte.
- Man hätte zwischen Absicht und Wirkung der Äußerungen von Hermann Dierkes einen klaren Unterschied machen und so den eigenen Genossen schützen müssen.
Bei der Abwehr des unbegründeten Antisemitismusvorwurfs sollte uns bewusst sein, dass die widersprüchliche Geschichte des Umgangs der deutschen Linken mit diesem Konflikt, der SED und DDR wie der in der alten BRD, einschließlich jener der DKP, ein eigenständiges Feld der politischen Auseinandersetzung darstellt.
Kleiner Exkurs zur innerparteilichen Debatte zum Thema Antisemitismus in der DDR
Innerhalb der LINKEN findet, gewissermaßen in Fortsetzung der Debatte aus der PDS, ein beharrlicher Kleinkrieg um die Frage statt, ob es in der DDR Antisemitismus gegeben habe oder nicht. Scheinbar wird dieser Streit nur von wenigen, darum aber umso unbeugsamer, geführt. Er berührt aber insofern das Selbstverständnis der neuen Partei als damit die Haltung der LINKEN zur DDR – Geschichte an einem neuralgischen Punkt berührt wird.[3]
Ich will hier das ganze historische Material nicht ausbreiten, an der Debatte scheint interessant, dass die Relativierer des Antisemitismus in der DDR in der Behauptung, es hätte einen relevanten Antisemitismus in der DDR gegeben, einen weiteren Versuch der Delegitimierung der DDR selbst sehen, was insofern ganz richtig beobachtet ist, als der antifaschistische Gründungsmythos in der Tat betroffen ist und der kommunistische Egalitarismus als antisemitisch erkannt wird.
Das ist für die Generationen, die die DDR getragen haben, ich zähle mich dazu, keine akademische Frage, sondern eine der eigenen Identität. Genau aus diesem Grund hatte ich mit meinem Forschungsbereich Politische Psychologie an der Berliner Humboldt-Universität nach der Wende ein Projekt, das sich mit dem Verhältnis der DDR- Bürgerinnen und -Bürger zu Israel und den Juden beschäftigte, begonnen. Ich denke, wir waren damals unter den ersten, die sich damit wissenschaftlich befassten. Und ich kann sagen, dass die hasserfüllten Reaktionen auf die Presseveröffentlichung der Ergebnisse nicht ausblieben.[4]
Ich bin heute der Meinung, dass gewisse Leute nicht zu belehren sind und dass es dennoch ein Auftrag politischer Bildung ist, diese Geschichte immer wieder zu erzählen. Und ich bin weiterhin der Meinung, dass die ganze Subtilität des Antisemitismus noch weitgehend unbekannt ist und mein Freund und Kollege, der Jenaer Sozialpsychologe Prof. Wolfgang Frindte recht damit hat, jedes Kapitel seines Buches „Inszenierter Antisemitismus” mit dem stereotypen Satz zu beschließen: „Ceterum censeo: Der Antisemitismus muss vernichtet werden.”[5]
2. Was sollten wir lassen, was können wir tun?
Zunächst einmal behaupte ich, dass symbolische Politik nicht für eine wirksame Einflussnahme auf die israelische Palästinapolitik taugt, wenn sie (das ist in der Regel der Fall) mit Vereinfachungen und Polarisierungen arbeitet. Symbolische Politik ist immer der Versuch, politischen Einfluss über die Beeinflussung der sogen. Öffentlichen Meinung zu gewinnen. (Ist nicht zu verwechseln mit strategisch angelegten Versuchen politischer Subjekte, durch systematische Aufklärung und Information gegen Propaganda vorzugehen oder mit strategisch angelegten Aktivitäten zur Herstellung/Erlangung der Hegemonie im Sinne Gramscis)
- Singuläre Aktivitäten werden in der Regel symbolisch aufgeladen, was in manchen Fällen so gewollt ist, in andern beklagt wird. So waren die Protestdemonstrationen gegen den Gazakrieg zweifellos bewusst inszenierte symbolische Politik, die Gastauftritte von Politikerinnen und Politikern der LINKEN von diesen selbst eher nicht so gewollt:
Geht man auf die Demo der einen oder der andern Konfliktpartei – es ist fast gleichgültig, was man dort sagt, der Kontext bestimmt die Wahrnehmung als Parteinahme, hier für die palästinensische Seite. Zugleich wird DIE LINKE auch künftig kaum umhin kommen, zu und auf derartigen Veranstaltungen sich zu äußern.
- Die symbolische Politik ist für Deutsche problematisch, wenn sie mit Tabubrüchen arbeitet. Die Aufforderung zum Boykott israelischer Waren im Gefolge des internationalen BDS – Bewegung verletzte natürlich ein Tabu, insofern der Zusammenhang zwischen dem Judenboykott im Dritten Reich und dem Boykottaufruf gegen Israel geleugnet wird. Die Infragestellung eines solchen Tabus wird sozialwissenschaftlich als sogen. „sekundärer Antisemitismus” = Infragestellung der besonderen deutschen Verantwortung gegenüber den Juden bezeichnet. Doppelt problematisch wird, wenn Repräsentanten der LINKEN symbolisch derart Partei ergreifen, weil sie unter medialer Beobachtung in der Öffentlichkeit stehen.
Was also können wir als Linke tun und tun wir bereits?
1. Zunächst einmal eine ewige Aufgabe: Konkret und entschlossen jede Form von Antizionismus und Antisemitismus bekämpfen – auch in den eigenen Reihen. (Das klingt gut, schon bei der Frage des Antizionismus, etwa nach dem Existenzrecht des Staates Israel, ist es mit der Gewissheit gelegentlich vorbei …)
2. Die ganze Geschichte erzählen, also die Komplexität des Konflikts z. B. nicht auf ein Freund – Feind – Schema oder das Opfer – Täter – Schema reduzieren. (Das ist unbeliebt, weil es die einfache Parteinahme auf der politischen Ebene immer an konkrete Bedingungen knüpft …)
Was ist unter der Komplexität des Konflikts zu verstehen?
Die ist einmal eine objektive: Raum und Zeit, Bedingungen, Geschichte, Interessen, Strukturen, Akteure, der internationale Kontext usw. Was die Geschichte des Konflikts betrifft, so herrscht an Sach- und Fachwissen auch unter Linken kein Mangel. Komplexitätsreduktion allerdings ist das Problem, nicht genuiner Mangel an Komplexität im Sinne fehlender Sachkenntnis, etwa wenn Die Geschichte derart (re-)konstruiert wird, dass eine Seite von Anbeginn die Schuld an der ganzen Entwicklung bis heute hat. Nicht nebenbei will ich anmerken, dass wir unser christliches Erbe in dieser Angelegenheit ruhig annehmen sollten. Der Begriff der Compassion, wie ihn der Politische Theologe Johann Baptist Metz formuliert, also den Blick nicht auf die Sünde des andern, sondern auf sein Leiden zu richten, könnte hier heilsam wirken. Wer Leid wahrnimmt, wird friedensfähig.
Ich habe vorhin über programmatische Defizite der Partei DIE LINKE gesprochen und behauptet, dieser Mangel an Orientierung würde unsere Fähigkeit zur Analyse und Bewertung des Israel – Palästina – Konflikt erschweren. Ich will das kurz begründen. Als ich im vergangenen Jahr im Rahmen eines Projekts zur Stärkung der Demokratie zweimal im Westjordanland war und dort in verschiedenen Städten Workshops mit palästinensischen Linken durchführte, fragte ich mich im Nachhinein, welche Vorstellung von gesellschaftlicher und politischer Entwicklung dem Ganzen eigentlich ursprünglich zugrunde lag. Und welchen Ansatz zur Analyse der Entwicklung von Gesellschaften wie der israelischen und der palästinensischen haben wir in der LINKEN eigentlich? Mit welchen sozialwissenschaftlichen Konzepten arbeiten wir, wenn wir Staaten wie Mexiko, Russland, Syrien oder Venezuela politisch analysieren? Oder, um es einmal etwas hart zu formulieren: Was ist an die Stelle der marxistischen Gesellschaftstheorie und des entsprechenden Fortschrittsglaubens getreten?
Es gibt eine breite Diskussion über die Grundlagen von Entwicklungs- und Demokratisierungshilfe, die wir vielleicht bei nächster Gelegenheit zum Gegenstand einer Arbeitstagung machen könnten. Ein interessanter Ansatz neben anderen für mich ist der von Douglass C. North und Kollegen zur Verfasstheit sozialer Ordnungen[6].
Es gibt andere Theorien und Ansätze. Welche wir auch für ertragreicher halten, immer sind doch Fragen danach zu beantworten, wie sich Gesellschaften und deren Ordnungen und Institutionen entwickelt haben und wie sie sich weiter entwickeln können. Ohne derartige Grundierung bleibt unser politisches Bild vom Israel – Palästina – Konflikt grau.
Soweit die objektive Seite der Komplexität des Konflikts. Andererseits ist diese Komplexität eine subjektive, die beständig durch den Reduktionismus der sozialen Konstruktionen der eigenen Gesellschaft als guter und der andern als feindlicher, schlechter, reduziert wird. Es sind nicht zuletzt psychische Faktoren, die den Konflikt als Paradox erscheinen lassen. Daniel Bar-Tal, jüdisch-israelischer Psychologe, beobachtete ein schwieriges Paradox in den Beziehungen zwischen jüdischen Israelis und Palästinensern: „Einerseits ist die Mehrheit in beiden Gesellschaften bereit zu weit reichenden Kompromissen zur friedlichen Lösung des Konflikts. Andererseits schreibt die Mehrheit in beiden Gesellschaften dem Gegner in stereotyper Weise extrem negative Züge zu und verharrt in umfassender Furcht und einem tiefen Misstrauen, das jeder Verhandlungslösung entgegensteht. Hinzu kommt, dass die Mehrheit in beiden Gesellschaften Gewalthandlungen gegen den Gegner unterstützt. Das besagt, dass psychologische Faktoren in der gegenwärtigen Phase des israelisch-palästinensischen Konflikts eine zentrale Rolle spielen. Aufgrund dieser psychologischen Barrieren, die von diversen politischen Kräften bewusst ausgenutzt werden, erscheint der der Konflikt den Mitgliedern beider Gesellschaften in naher Zukunft schier unlösbar.”[7]
Ist dieser Bestand an psychologischen Barrieren bei den Konfliktparteien nicht anders als tragisch zu nennen, so müsste man die Übernahme derartiger Muster oder das Einfügen in diese Schablonen durch deutsche politische Akteure als verantwortungslos bezeichnen. Für die einseitige proisraelische Parteinahme von Massenmedien und des politischen Establishments habe ich das bereits getan, es gilt aber wohl ebenso für die einseitig propalästinensischen Akteure. Man wird so Teil des Problems, Partei im Konflikt und das scheint mir nicht der richtige Weg, zur Konfliktlösung beizutragen. Aber es ist nicht nur jede linke Interpretation des Konflikts als (immer noch) Bestandteil einer vermeintlich bipolaren Welt, als eine Episode des einen großen historischen Weltkonflikts (zwischen Arm und Reich, Nord und Süd, Kapital und Arbeit, also zwischen Gut und Böse usw.), womit wir es zu tun haben. Zur Untauglichkeit antiimperialistischer Theorien hat Gregor Gysi m. E. alles in der erwähnten Rede gesagt.[8]
Auch die Wahrnehmung und Beschreibung des Konflikts als eines regionalen Konflikts, deren Protagonisten allein nicht in der Lage sind, diesen zu lösen, führt möglicherweise auf Abwege. Sei es, dass dafür das gegebene Kräfte – Ungleichgewicht angeführt wird oder die innere Verfasstheit Israels – es läuft auch diese Interpretation politisch auf die Begründung einer Art Intervention hinaus. Soweit es sich um die Durchsetzung der Kernbeschlüsse der UNO zu Israel und Palästina betrifft (Zwei-Staaten-Lösung, die Grenzen von 1967 und Gewaltverzicht) ist das unter Führung des Sicherheitsrates wohl auch notwendig. Alles Weitere aber, also die Ausweitung der bisherigen Entwicklungs- und Demokratisierungshilfe zu einer Art Marshallplan für Palästina, bedarf für die Linke m. E. einer gründlichen Diskussion mit den Beteiligten – und den Betroffenen. Ich habe das oben begründet.
3. Konkrete Oppositionsarbeit gegen die einseitig proisraelische Außenpolitik der Bundesregierung.
4. Konkrete Unterstützung für Projekte, Personen und Institutionen, die sich an der Herstellung von Gegenöffentlichkeiten, die für eine realistische Berichterstattung über den Konflikt sorgen, beteiligen.
5. Natürlich konkretes Engagement vieler Mitglieder und Sympathisanten in Projekten der Zusammenarbeit mit israelischen und palästinensischen Linken.
6. Humanitäre, zivile Hilfsaktionen für die Menschen in Gaza und im Westjordanland
Abschließend möchte ich sagen: Ich bin kein Politiker und stehe persönlich nicht in deren Handlungszwängen und habe auch nicht deren Erklärungsnöte zu ertragen. Ich habe palästinensische und jüdische Bekannte und weiß daher, wie schwer es ist, sich der Logik meiner Bekannten: „Du kannst nur auf einer Seite der Mauer stehen!” zu verweigern. Ich halte es dennoch, nicht aus Selbstschutz, sondern aus Einsicht heraus, für notwendig.
Am Grab des palästinensischen Nationaldichters Mahmoud Darwish war ich und eines seiner Gedichte ist mir besonders nahe:
An einen anderen Mörder
Hättest du das Kind im Mutterleib
Noch dreißig Tage leben lassen, hätten sich
Alle Wahrscheinlichkeiten geändert: Vielleicht
Endet die Besatzung. Vielleicht
Erinnert sich der Säugling nicht an die Zeit
Der Belagerung. Vielleicht
Wächst gesund das Kind auf und wird
Zum Mann. Vielleicht
Studiert er an einem Institut
Die alte Geschichte Asiens
Gemeinsam mit deiner Tochter. Vielleicht
Fallen sie beide ins Netz der Liebe. Vielleicht
Bekommen sie dann eine Tochter, die der Geburt nach
Jüdin ist.
Was hast du bloß getan?
Deine Tochter ist jetzt verwitwet
Und deine Enkelin verwaist
Warum hast du deine Familie auseinander gerissen?
Und warum trafst du drei Tauben
Mit einem einzigen Schuss?
[1] Stenografisches Protokoll der 2. Tagung der Volkskammer der DDR vom 12.04.1990
[2] Hermann Dierkes, ein politisch sehr erfahrener Gewerkschafter und Genosse, Fraktionsvorsitzender der linken Stadtratsfraktion in Duisburg, hatte in einer Versammlung eines Ortsvereins der Partei auf den Aufruf sozialer Bewegungen beim Weltsozialforum von Belém verwiesen. Daraufhin begann eine massenmediale Verleumdungskampagne gegen ihn und die Linken, prominente Genossinnen und Genossen distanzierten sich vom angeblichen Israel-Boykottaufruf und von jeglichem Antisemitismus. Dierkes trat als Kandidat für DIE LINKE zu Duisburger OB-Wahl zurück. In einem klärenden Gespräch im Geschäftsführenden Parteivorstand wurden gegenseitige Fehler eingeräumt und festgestellt, dass es in der Partei keine Zweifel an der moralischen und politischen Integrität des Genossen gibt.
[3] Stellvertretend sei auf die Beiträge von Horst Helas und Detlev Joseph in den Rundbriefen der AG Rechtsextremismus der Partei DIE LINKE, 1 – 2/08, 4/08 und 1/09 verwiesen
[4] Krise der Nationalen Identität der Ostdeutschen. Teilprojekt 1: Das Bild Israels und der Juden bei den Ostdeutschen; Studie 1: Das Bild Israels und der Juden als soziale Repräsentationen. Studie 2: Das Bild Israels und der Juden als politischer bzw. ethnischer Stereotyp. Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Interdisziplinäre Zivilisationsforschung, Berlin 1991
[5] Frindte, Wolfgang (2006): Inszenierter Antisemitismus, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften
[6] North, Douglass C., Wallis, Joseph John & Weingast, Barry R.(2009): Violence and Social Orders: A Conceptual Framework for Interpreting Recorded Human History; Cambridge Univ Pr
[7] Bar-Tal, Daniel (2005), In: Wissenschaft & Frieden, 2005-2
[8] Gysi, Gregor (2008), Die Haltung der Deutschen zum Staat Israel; rls, Tel Aviv