(Partei-)Politik als Marke? 2. Parteiensymposium der Rosa-Luxemburg-Stiftung, 19. November 2009, Berlin
I.
Im Fraktionssaal der Linksfraktion im Deutschen Bundestag hängt ein großes Poster:
Heiner Müller: Wir stecken bis zum Hals im Kapitalismus.[1]
In der Mediengesellschaft. In der schönen Markenwelt. Im Konsumismus.
Naomi Klein berichtet in ihrem Buch „No Logo!” von einer Kollegin, die ihre Workshops damit zu beginnen pflegte, dass sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Etiketten aus den Klamotten schneiden ließ und diese dann auf einer Weltkarte platzierte.[2]
Was ich damit sagen will ist: Wir sind alle Marktteilnehmer, mittendrin im Hyperkonsumismus, wie Benjamin R. Barber es nennt.[3] Barber selbst meinte, er habe ein typisch amerikanisches, pragmatisches Verhältnis zu der Sache. Er liebe Pop und Pommes.[4] Aber er wolle eben auch andre Dinge tun und zwar nicht des Geldes wegen: spielen, beten, Sport treiben usw.[5]
Aber was sage ich denn damit über Politik, über Demokratie und Parteien aus? Wie verhalte ich mich denn politisch unter diesen Umständen?
Genau das ist die Frage.
II.
Wann hat das eigentlich angefangen? Dass wir uns gegen den Konsum, den wir doch lieben, wehren müssen?
Ökonomisch hat das Problem wohl als erster John Kenneth Galbraith in seinem 1958 erschienenen Buch Affluent Society benannt:
„Mit der Entwicklung der Industrie, so hatte ich aufgezeigt, verlagerte sich die Initiative im wirtschaftlichen Leben vom Konsumenten, der klassischen Quelle aller ökonomischen Entscheidungen, auf das produzierende Unternehmen. Nachdem der wachsende Wohlstand die Bedürfnisse vom Status elementarer physischer Notwendigkeit befreit hat, passen die Produzenten den Geschmack und das Verhalten der Verbraucher mittels Werbung und Verkaufstechnik ihren Bedürfnissen an. Die Ziele der Gesellschaft werden weitgehend zu denen der Produzenten. Die Lebensqualität des Verbrauchers gerät gegenüber der Produktionssteigerung, dem Hauptinteresse des Produzenten, ins Hintertreffen.”[6]
Und Galbraith hatte auch das Subjekt dieses Prozesses benannt, den modernen Großkonzern.
III.
Die politische Linke in Deutschland reflektiert und thematisiert diese Tatsache ökonomisch und sozial, auch kulturell. Klar ist sie gegen Ausbeutung und Kinderarbeit. Aber sie stellt die Verteilungsfrage eben auch so, dass die Arbeitnehmer bei den großen Marken, Opel, Quelle und Lidl weiter Arbeit haben. Dass alle sich Markenartikel leisten können und alle den Zugang zu den privaten Markenwelten, den Malls haben und die Binnennachfrage steigern. Man könnte auch sagen, sie steht auf der Seite der Arbeitnehmer und Konsumenten: Reichtum für alle, Konsum für alle, Marken für alle.
Auf der anderen Seite aber verteidigt die politische Linke eben auch die öffentlichen Räume gegen Privatisierung und öffentliche Gebäude und Plätze, Schulen und Universitäten gegen Werbung und Sponsoring.
Das, so scheint es mir, ist also die politische Grundkonstellation, sie ist es bei Benjamin R. Barber und sie ist es bei der politischen Linken.[7]
IV.
Die Frage, die sich nun ergibt, ist folgende:
Wie ist unter diesen Bedingungen Politik möglich? Einerseits auf Seiten der Bürger – wie politikfähig sind sie, dem Hyperkonsumismus und der Markenmacht ausgeliefert, infantilisiert und privatisiert (Benjamin R. Barber) noch? Andererseits die Demokratie selbst, die Institutionen und Organisationen, der Staat, die Parteien – was setzen sie der Privatisierung, der Totalisierung entgegen?
Über die Mediatisierung der Politik, die Inszenierung von Politik durch Eventmanager und Imageberater, den entsprechenden Wandel der Politikertypen ist schon alles gesagt und geschrieben worden. Dito über die Rolle der Meinungsforschung und der sogen. Rapid – Response – Strategien.
Politische Werbung gibt es seit langem und spätestens seit Vance Packards Bestseller von 1957 Die geheimen Verführer. Nun also auch Politikmarketing, politische Marken.
Eine interessante Geschichte wäre darüber zu erzählen, wie Linke seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer auch sich selbst inszenierten, Marken kreierten und ohne professionelle PR keine Revolution und kein Putsch mehr zu machen war: Branding the Revolution überschrieb Holm Friebe seinen schönen Artikel über die Linke und ihr Marketing.[8]
Aber das ist ja heute nichts, was irgendwie noch interessant wäre. Interessant ist für mich, worin die Eigenarten, auch die Grenzen der Mediatisierung, der Vermarktung, der Infantilisierung des Politischen liegen. Ich werde dazu nur einen Blick auf die Parteien und die parlamentarische Demokratie werfen.
V.
Parteien haben nur ein begrenztes Potential an Professionalität in Sachen Marketing.
Zitat Patrick Donges:
“Marketing bezeichnet nach Lehrbuchdefinition eine umfassend markt- beziehungsweise absatzorientierte Ausrichtung organisationalen Handelns und Kommunizierens. Dem stehen Beschreibungen politischer Parteien als fragmentierte, lose verkoppelte Handlungssysteme oder gar “Anarchien” (so Lösche 1993) gegenüber, die “nicht einmal entfernt etwas mit jenen Eigenschaften zu tun (hätten), die gewöhnlich mit durchstrukturierten und -rationalisierten Organisationen assoziiert werden” (so Wiesendahl 1998). Gerade im Hinblick auf die Parteikommunikation und das politische Marketing ist es sinnvoll, eine Parteiorganisation nicht mit ihrem Parteizentrum (party central office) zu verwechseln. Das Parteizentrum kann sein organisationales Handeln im Sinne des Marketingbegriffs absatzorientiert ausrichten, die Parteiorganisation als Ganzes nicht. Parteiorganisationen sind, gerade bei traditionellen Volksparteien, kaum zentral steuerbar. Die Partei selbst ist der “Markt”, an dem sich das Marketing des Parteizentrums in erster Linie orientiert.”[9]
Die eigene Marke erscheint also, das ist auch meine Erfahrung, als Instrument der Disziplinierung nach innen und als Korsett nach außen zugleich. Man hat Kontur, kriegt aber schwer Luft und bewegt sich kaum.
Die innerparteiliche Demokratie, immerhin vom Parteiengesetz vorgegeben, organisiert zwar einen organisationsinternen Wettbewerb, aber keinen politischen Markt. Grundgesetz und Wahlrecht organisieren den Parteienwettbewerb, auch der ist kein (politischer) Markt, es werden nirgendwo Kaufverträge geschlossen.
Dass wir es eben nicht mit klassischen Märkten, sondern bestenfalls mit „Märkten”, also mit einem Verhalten der politischen Wettbewerber zu tun haben, die sich am Marktverhalten ökonomischer Subjekte orientieren, zeigt sich in diversen Schwierigkeiten des Politikmarketing der Parteien:
– Parteien haben, jedenfalls stößt DIE LINKE gerade auf dieses Problem, den kreativen, oft von den Parteimanagern als destruktiv erlebten, Prozess der regionalen, lokalen und teilweise persönlichen Verfremdung der Parteimarke, des Logos insbesondere, als potentiellen Bottom – Up – Prozess der kollektiven Gestaltung und Entwicklung der Parteimarke zu begreifen. Gelänge dies, wäre es ein deutlich anderer Vorgang als der, den Naomi Klein beschreibt, wenn sie über das Einbrechen von Nike oder Coca Cola in die Schulräume berichtet, über Wettbewerbe um neue Werbeclips usw. Denn der öffentliche Raum der Partei bleibt dabei erhalten, der Schulraum wird dagegen privatisiert.
– Politische Marken, speziell Parteien, sind sehr unattraktiv. Aktuell scheint das Wachstumspotential gering. Für die Bürgerinnen und Bürger gibt es neben den Freizeit- und Konsumptionsangeboten jede Menge alternativer sozialer, öffentlicher, politischer Möglichkeiten des Engagements. Gerade in dem, was Marken heute bringen: Lustgewinn, Identität, Zugehörigkeit, also Sinn, sind Parteien besonders schlecht. Warum ist das so? Der Sinn des Habens, des Konsumierens, kommt in der Politik irgendwie nicht zum Zuge, das Dingliche fehlt.
– Vielleicht wird das auch darin erkennbar, dass das Potential für Merchandising für Parteimarken rudimentär ist. Das Angebot der Parteien in Deutschland ist zum Erbarmen. Man sehe sich die Onlineshops an. Es werden aber eben auch keine Parteiwelten geschaffen. Die traditionellen Orte (Büros) der Parteien erscheinen lebensweltlich schrecklich unwirtlich. Da mag man nicht sein.
– Der Schlüssel liegt vielleicht darin, dass das Geld im Verhältnis von Mitgliedern und Wählern und den Parteien in Deutschland keine Rolle spielt. In den USA scheint das anders zu sein, da konnte man für Obama spenden, ein „Stück”, einen „Anteil” am Triumph erwerben.[10]
– Politische Marken, besonders Parteimarken, werden (Ausnahmen: Che, Subcommandante Marcos, RAF, Mao oder aktuell Barack Obama) kaum benutzt, sich öffentlich zu bekennen. In bestimmten Phasen des Aufstiegs aber geht das mal: Siehe die holländische SP oder DIE LINKE mit ihren Westen und Taschen: Hier ist DIE LINKE. Ja, sogar Kragen mit dem Logo der LINKEN habe ich schon gesehen.
– Parteien machen etwas, was Markenkonzerne nie machen: Sie reden immerzu über die Konkurrenz und über sich und über die Welt, den Staat, die Zustände und die Umstände. Marken dagegen reden nur über die Konsumenten. Marken sind Lifestyle. Parteien sind das nicht. Wir haben das für DIE LINKE versucht zu ändern: Plakate als Ausdruck des Lebensgefühls, der Wut, der Hoffnungen unsrer Zielgruppen. Ich erinnere an die kleine Geschichte, die Oskar Lafontaine auf einem Parteitag erzählte und die zum Running Gag wurde: Trifft einer seinen Kollegen in der Kneipe und der sagt: Was, Du bist bei der LINKEN? Er antwortet: Was, Du noch nicht? Da klingt etwas wie Lifestyle an. Und wenn es irgend ging wurde Negative Campaigning verhindert.
– Und was auch nicht funktioniert (in Deutschland): Die wechselseitige Durchdringung privater und öffentlicher (politischer) Marken. G. Schröders Armani – Photos, die Havanna, das war sensationell, weil die Ausnahme. Ansonsten machen Politiker keine kommerzielle Werbung und halten sich auch vom Entertainment fern. Mal Wetten, dass…, mal kurz im Big Brother – Haus, mal eine Serie – das war’s dann aber.
Soweit zu den Parteien.
VI.
Was ist eigentlich das ureigenste Produkt von Politik? Gesetze. Gesetze aber sind Texte. Literalität, um endlich auch Neil Postman ins Spiel zu bringen[11], ist also der Politik wesenseigen. Das kann keine “Optische Revolution”, keine Verschiebung vom Wort zum Bild ändern.
Dazu kommt, dass Gesetze im Parlament diskutiert werden, das öffentlich-diskursive Element, die Argumentation und Begründung, sind unverzichtbar.[12]
Die PDS hatte immer den, Neil Postman würde ihn aufklärerisch nennen, Hang zum Wort, zum Text. Typoplakate mit Argumentationen prägten die Wahlkampagnen. DIE LINKE hat das übernommen.
Gefahr droht allerdings hier durch den Lobbyismus, die Konzerne schreiben bereits die deutschen Gesetzestexte selbst. Am Kern meines Arguments, der genuinen Literalität parlamentarisch-demokratischer Politik, ändert das nichts.
VII.
Aber es gibt ja diese politische Kommunikation über Politik. Die Inszenierungen, die Bilder und diese Kreationen von Nachrichten, Statements und Talkshow-Blabla. Tatsächlich ist das für die Images der Parteien und Politiker sehr wichtig und einflussreich. Aber wenn man genau hinschaut, dann haben TV und Video und Kino mit Politik bis heute wenig bis nichts anfangen können – und umgekehrt. Natürlich gibt es diese Berichterstattung über einige inszenierte Ereignisse (Parteitage, Treffen, Staatsbesuche usw.) Aber was sehen wir? Eigentlich gibt es nur Politiker, die in die Kamera reden. Was für ein Unterschied zur Welt der Videoclips, der TV-Serien und Filme. Was für ein Irrtum. Das alles scheint vergeblich und verzichtbar.
Noch etwas scheint für die beharrliche Literalität der Politik in der Demokratie zu sprechen: Es sind die Sprachbilder, die wirkmächig werden: Heuschrecken (direkter Verweis auf einen der Urtexte der Menschheit!).
Und wir haben das Beispiel des sogen. Lissabon-Vertrags. Ein Volk liest und diskutiert. Und stimmt ab.
Andererseits bemerken wir ein Phänomen, das wir aus der kommerziellen Markenkommunikation kennen: Sobald Parteien zu stark als Marken auftreten, etwa im Bundestagswahlkampf 2009, rufen sie heute reichlich Menschen auf den Plan, die mit den Kampagnen furchtbar respektlos und subversiv, ähnlich wie die Culturejammer, umgehen. Und wer die sehr persönlichen ironisierenden Plakate von Vera Lengsfeld oder Halina Wawzyniak gesehen hat wird sich an das aus dem Kommerz bekannten Spiel mit karnevalesken Elementen erinnern.
VII.
Fazit: Es scheint so zu sein, dass sowohl der Markenhype bei den Parteimanagern und Agenturen als auch die Befürchtungen der Kritiker politischer Markenkommunikation unangemessen sind. Die größten Markenfreaks der jüngeren deutschen Parteiengeschichte, Gerhard Schröder und Jürgen Möllemann, haben ihre Parteien jeweils schwer beschädigt – allerdings zuerst durch ihr politisches Handeln. Andererseits haben neue Parteien wie die Grünen oder heute DIE LINKE gezeigt, dass Parteien als politische Marken durchaus erfolgreich geführt werden können.
Am Ende bleibt wohl die Einsicht, dass Markenkommunikation als erfolgreiche, aggressive Strategie in der Wirtschaft, auf echten Märkten, zuhause ist und im politischen Wettbewerbssystem der Demokratie nur eingeschränkt wirksam werden kann. Soweit das Öffentliche gegen die Privatisierungsbestrebungen verteidigt wird scheinen die politischen Institutionen und Organisationen und die Bürgerinnen und Bürger über eine gewisse Autoimmunisierung gegenüber einer Tendenz zu besitzen, die die Marke über das Produkt stellt.
[1] Natürlich kein einfacher Satz, sondern ein echter Heiner Müller: Bis zum Hals – das hört sich schlimm an. Aber man kann es anders lesen: Der Kopf immerhin ist draußen, frei. Oder auch: Vorher steckten wir im Sozialismus – nur bis zum Hals?
[2] Klein, Naomi: No Logo!Bertelsmann 2001, S. 357
[3] Barber, Benjamin R.: Consumed! C.H.Beck 2007
[4] Interview mit Barber auf „Welt online”, 21. April 2008
[5] Interview mit Barber in der taz vom 12. April 2008
[6] Galbraith, John Kenneth: Leben in entscheidender Zeit, Bertelsmann, München 1982, S. 360
[7] Nebenbei: In der Wendezeit gab es die Idee, den Vorschlag einer 100%igen Werbesteuer. Die Einnahmen sollten
für Verbraucherschutz und Aufklärung eingesetzt werden.
[8] Friebe, Holm: Branding the Revolution. In: Jungle World 17/2004
[9] Donges, Patrick, Thesenpapier für das Symposium „(Partei)Politik im Zeichen des Marketing”, PRuF, Düsseldorf 18./19.April 2008
[10] Die PDS hat gelegentlich mit „Anteilsscheinen” in ihren Spendenkampagnen gearbeitet – sehr erfolgreich, aber nur aus der Not heraus, als Ausnahme von der Regel.
[11] Postman, Neil: Die zweite Aufklärung, Darmstadt 1999
[12] ebenda, S. 184: „Die Demokratie ist auf den öffentlichen Diskurs angewiesen…”