Vortrag auf der Internationalen Konferenz „Parteientwicklung in der KP Chinas und in linken Parteien Europas”, Peking, 05./06. November 2009
Das Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa – Luxemburg – Stiftung hat in einer neueren Studie die These aufgestellt, dass die Linke in Deutschland gegenwärtig kein hegemoniefähiger Akteur ist.[1] Diese These teile ich. Es ist eine Tatsache dass, wie Professor Michael Brie und andere in der Studie schreiben, die politischen Linken erstens kein gemeinsames politisches Projekt, keine Idee für eine andere Politik, eine andere gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland haben und dass sie zweitens fragmentiert und ohne die Fähigkeit zu kooperativem Handeln ist.
Aber das ist ja nichts Neues. Ein solches gemeinsames politisches Projekt fehlt der deutschen Linken nicht erst seit dem Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Und dass diese ökonomische Krise auch in Deutschland die Interessen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen aus der Balance bringt, ein Klima der Konkurrenz und der Angst erzeugt, in dem die Tendenz zur gruppenegoistischen Verteidigung der eigenen sozialen Rechte und Ansprüche sich verstärkt, kann ebenfalls nicht überraschen.
So gesehen scheint die deutsche Linke bereits vor der Krise in der Defensive gewesen zu sein und, das ist ja das paradoxe Ergebnis der Bundestagswahl vor wenigen Wochen, sie ist, trotz des Wahlerfolges der Partei DIE LINKE, durch den Regierungswechsel weiter geschwächt worden.
Es scheint also keine oder nur sehr wenig Entwicklung der deutschen Linken zu geben. Ist das aber wirklich so? Oder bereiten sich, unter der Oberfläche, bei einzelnen politischen Akteuren der Linken, Entwicklungen vor, die in den kommenden Jahren zu einer neuen Qualität der politischen Linken in Deutschland führen könnten?
Ich werde am Beispiel der Partei DIE LINKE zeigen, dass die erste Frage, ob es Entwicklungen innerhalb der Linken gibt, zu bejahen ist. Die Antwort auf die zweite Frage, ob daraus in einigen Jahren ein hegemoniefähiger Akteur werden könnte und ob die Partei eine reale Machtoption bekommen wird, muss ich schuldig bleiben, das ist heute eine offene Frage.
Ich werde meinen Vortrag in drei Teile gliedern:
- Die Entwicklung der Partei DIE LINKE im Parteienwettbewerb
- Die politische Situation für DIE LINKE nach der Bundestagswahl 2009
- Perspektiven der Partei DIE LINKE
1. Die Entwicklung der Partei DIE LINKE im Parteienwettbewerb.
Die Parteien stehen in Deutschland in einem Wettbewerb. Will eine Partei für längere Zeit erfolgreich sein, dann muss sie in allen Regionen Deutschlands über eine gewisse Zahl von Mitgliedern und über Organisationen verfügen. Da die politische und organisatorische Arbeit der Parteien heute sehr stark professionalisiert und, speziell in Wahlkämpfen, kommerzialisiert sind ist es für sie auf Dauer unverzichtbar, hauptamtliche Parteiapparate, also Funktionäre zu haben, die von der Partei bezahlt werden. Man kann sagen, dass weder die PDS noch DIE LINKE bis 2007 in den alten Bundesländern, also im größten Teil Deutschlands, über entsprechende Mitgliedschaften und Parteiapparate verfügten. In diesen Ländern war DIE LINKE bis dahin kein Konkurrent der andern Parteien und das ist auch der Grund, warum die Partei auf Bundesebene immer in Gefahr war, aus dem Bundestag, damit aus dem Parteienwettbewerb, auszuscheiden. Diese Situation hat sich für die Partei DIE LINKE seit 2005 grundlegend geändert, die Partei DIE LINKE ist zu einem stabilen Teil des Fünfparteien – Systems geworden.
Die Parteien sind in Deutschland sehr stark von der staatlichen Parteienfinanzierung abhängig. Sie bekommen jährlich 133 Millionen € aus Steuermitteln; wie viel jede einzelne Partei bekommt, das hängt von der absoluten Anzahl der Wählerstimmen ab, die sie bei Wahlen gewinnen kann. Im vergangenen Jahr bekamen CDU und SPD jeweils rund 43 Millionen €, CSU, FDP, Grüne jeweils rund 10 Millionen, DIE LINKE etwa 9, 5 Millionen € staatliche Mittel.
In diesem Wettbewerb um Wählerstimmen und damit um finanzielle Ressourcen konnte die Partei DIE LINKE seit 2005 bei zwei Bundestagswahlen (2005 als DIE LINKE.PDS, 2009 als DIE LINKE) und bei der Europawahl 2009 ihre Position gegenüber den andern Parteien deutlich verbessern. Seit 2007 konnte die Partei bei Landtagswahlen in sechs alten Bundesländern (Bremen 2007, Hamburg und Niedersachsen 2008, Hessen 2008 und 2009, Saarland und Schleswig-Holstein 2009) erstmals Abgeordnete und Fraktionen in die Landtage schicken.
Man kann diese Wahlerfolge für die Entwicklung der jungen Partei (gegründet im Sommer 2007!) nicht hoch genug einschätzen. Denn neben den finanziellen Ressourcen geht es beim Wettbewerb um Wählerstimmen auch um personelle Ressourcen der Parteien. Die SPD erlebt gerade, was eine Wahlniederlage für schwerwiegende Folgen hat. Sie wird 2010 rund 3,5 Millionen € weniger staatliche Mittel bekommen. Der Verlust einer beachtlichen Teil ihrer Abgeordneten bedeutet, dass viele Mitarbeiter entlassen werden und Büros geschlossen werden, so dass in manchen Regionen Deutschlands sogenannte „weiße Flecken” entstehen könnten, also Gebiete, in denen die SPD nicht mehr präsent ist.
DIE LINKE macht die positive Erfahrung, dass sie ihre Präsenz bundesweit immer mehr verstärken kann. Natürlich ist der politische Markt der Parteien in Deutschland, gemessen an andern Märkten, nicht sehr groß. Allein die Geschäftsstelle des Fußballvereins Bayern München hat wohl mehr Mitarbeiter als manche Parteizentrale. Das ist nicht der Punkt. Nehmen wir zum Beispiel Hessen. Ein kleineres Flächenland mit rund 6 Millionen Einwohnern. Heute sitzen vier hessische Abgeordnete für DIE LINKE im Deutschen Bundestag und sechs Abgeordnete im hessischen Landtag. Alle Abgeordneten haben Wahlkreisbüros und Mitarbeiter, die Landtagsfraktion hat einen Stab von Mitarbeitern, die hoch qualifiziert sind. Der Landesverband verfügt über mehr als 2.600 Mitglieder, von denen ein Teil in die Kommunalvertretungen gewählt worden ist. Und es gibt eine Landesgeschäftsstelle der Partei mit zwei hauptamtlichen Mitarbeitern.
Vergleichbar ist die Entwicklung in andern Bundesländern, in denen die Partei DIE LINKE neu in die Landtage gewählt worden ist. Die Entwicklung der Partei in einigen süddeutschen Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz) sowie im größten deutschen Bundesland, Nordrhein-Westfalen, ist noch nicht so weit, die nächsten Landtagswahlen sind in Nordrhein-Westfalen Anfang Mai 2010, dann wird DIE LINKE auch dort in den Landtag einziehen.[2]
NRW ist nicht nur das einwohnerreichste deutsche Bundesland, sondern auch eine der bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten Regionen Europas. Gemessen an politischem Gewicht und ökonomischer Leistungsfähigkeit fände man einen souveränen Staat NRW im oberen Drittel der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. DIE LINKE startete nach ihrer Gründung November 2007 mit 2.500 Mitgliedern, 52 Kreisverbänden, einem ehrenamtlichen Landesvorstand aus 24 Mitgliedern, einem hauptamtlichen Landesgeschäftsstellenleiter und einem bezahlten Mitarbeiter für die Finanzen der Partei. 2009 hat die Partei DIE LINKE in NRW 8.500 Mitglieder. Der Landesvorstand arbeitet weiterhin ehrenamtlich. In der Landesgeschäftsstelle sind 3 ½ bezahlte Stellen besetzt.
Die personelle Ausstattung des Landesverbandes steht in einem Missverhältnis zur Mitgliederentwicklung. Allein die Verwaltung der Partei ist kaum gewährleistet. Der Landesverband kann allerdings nach der Bundestagswahl eine verstärkte politische Arbeit leisten, weil nun 11 Abgeordnete der LINKEN im Deutschen Bundestag sitzen. Damit gibt es in 11 Städten Wahlkreisbüros mit Beschäftigten der MdBs. Zusätzlich gibt es zwei Regionalbüros, die von der Linksfraktion direkt unterhalten und finanziert werden.
DIE LINKE hat heute in NRW rund 360 Kommunalmandate errungen, dadurch werden für die kommunalpolitische Arbeit in diesem wichtigen Land weitere finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen.
Man kann sagen, dass dieser Landesverband heute in seiner Entwicklung an der Schwelle steht zu einer Landespartei, die die Fähigkeit besitzt, am Parteienwettbewerb in NRW dauerhaft teilzunehmen. Aber, wie gesagt, ob dieser Entwicklungsschritt, der für die ganze Linkspartei von großer Bedeutung wäre, stattfindet, wird sich bei der kommenden Landtagswahl am 9. Mai 2010 entscheiden.
In den neuen Bundesländern war die PDS traditionell stark und in den Landtagen vertreten. Obwohl die Entwicklung bezüglich der Mitgliederentwicklung und der Wahlergebnisse hier differenziert einzuschätzen ist gilt, dass diese Landesverbände insgesamt stabil sind.
Im Ergebnis sehen wir erstens, dass die Partei DIE LINKE seit ihrer Gründung ihre Position gegenüber den konkurrierenden Parteien im Parteienwettbewerb überraschend schnell und überraschend stark ausbauen konnte. Die Existenz der Partei ist auf absehbare Zeit gesichert und eine solide Basis für die weitere Entwicklung ist vorhanden.
Zweitens gilt es für die Einschätzung der weiteren Entwicklung zu beachten, wie sich die Partei durch ihr Wachstum und ihre Ausbreitung in allen Regionen Deutschlands innerlich verändert. Das politische Gewicht der schnell wachsenden und erfolgreichen Landesverbände, wie NRW, innerhalb der Partei wächst, das anderer verringert sich. Diese dynamischen und erfolgreichen Landesverbände bringen viele neue Mitglieder mit verschiedenen sozialen, kulturellen und politischen Erfahrungen und Ansprüchen mit in die Partei. Die Zusammensetzung der Fraktionen im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag, in den Führungsgremien der Partei, der Bundesparteitage und Vorstände, ändert sich. Ostdeutsche Landesverbände wie die Thüringens oder Brandenburgs stehen an der Schwelle zur Macht, andere (Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern) werden 2011 um die Macht im Land kämpfen. Bei den Bundestagswahlen hat DIE LINKE 16 Direktmandate gewonnen, das ist nicht nur eine quantitative Veränderung gegenüber den 3 Direktmandaten vorher, sondern eine neue Qualität für die Position der Partei in den Regionen.
Es gibt also viele einzelne sehr unterschiedliche Entwicklungen innerhalb dieser Gesamtentwicklung. Alle haben unterschiedliche Geschwindigkeiten. Diese Entwicklungen wie auch die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedschaften der Partei müssen innerhalb der Partei verarbeitet und demokratisch in Balance gebracht werden. Das wird (1) auf den nächsten Parteitagen bei der Wahl der politischen Führung, (2) in der beginnenden Debatte zu einem neuen Parteiprogramm und (3) der breiten Diskussion über die weitere politische und strukturelle Entwicklung der Partei, die gerade beginnt, zu leisten sein. Ich komme im dritten Teil meines Vortrages darauf zurück.
2. Die politische Situation für DIE LINKE nach der Bundestagswahl 2009
In Gesellschaften wie der deutschen, die ökonomisch als Marktwirtschaften und politisch als Demokratien funktionieren, haben Parteien die Funktion, die vielfältigen Interessen der Bevölkerung zu aggregieren und im freien Wettbewerb der Parteien zu entsprechenden Machtverhältnissen in den Parlamenten und Regierungen werden zu lassen. Die Offenheit der Demokratie wie der Marktwirtschaft führen zu relativ stabilen Balancen der Interessen und damit zu einer Stabilität der Gesellschaft.
Eben diese Offenheit der wichtigsten Bereiche oder Subsysteme der Gesellschaft sorgt auch dafür, dass keine Interessengruppe auf Dauer diese Offenheit, den freien Zugang zu Politik und Medien, zu den Märkten begrenzen und so für sich Privilegien und Vorteilen, also auch Renten, exklusive Einkommen, generieren kann.
Natürlich ist das Modell unvollkommen, es geschieht immerzu, dass gewisse einflussreiche Interessengruppen sich bei der Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums Vorteile verschaffen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht seit Jahren in Europa, aber auch in den USA, immer weiter auseinander und der Reichtum wird immer mehr in den Händen kleinerer Gruppen konzentriert. Und der Zugang zu den Medien ist etwa in Italien, aber auch in Deutschland, durch die marktbeherrschende Stellung weniger Medienkonzerne stark beingeschränkt. Es ist aber auch zu beobachten, dass, wenn bestimmte Gruppen der Gesellschaft ihre Interessen zu sehr gefährdet sehen, sie die Offenheit der Gesellschaft, also die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit, benutzen und sich organisieren und die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen suchen. Die Ungerechtigkeit des Versuchs der Privilegierung der einen auf Kosten und durch Unterprivilegierung der andern wird solange skandalisiert, bis die entsprechenden Akteure, in der Regel die Parteien, reagieren und einen Ausgleich versuchen herzustellen.
Der Vorteil dieses Modells besteht darin, dass die Konfliktlösungen innerhalb des bestehenden Gesellschaftsmodells gesucht werden. Die Grundüberzeugungen, die innerhalb dieser offenen Gesellschaften wie der deutschen vorherrschen und die Bedingungen für deren Funktionieren sind, Gleichheit, Inklusion und Teilhabe am (ökonomischen) Wachstum, werden dadurch aufrechterhalten und eine Mobilisierung radikaler Kräfte, die ein anderes Gesellschaftsmodell favorisieren, wird in Grenzen gehalten. Man könnte auch sagen: Das System besitzt mit der Offenheit die grundlegende Eigenschaft, sich selbst zu reparieren.
Die Entstehung der neuen Linkspartei ist exakt als eine solche Mobilisierung von Gruppen zu verstehen, die durch die Politik der damaligen, von SPD und Bündnis 90/Grüne gebildeten Bundesregierung in eine prekäre soziale Situation gebracht wurden. Diese Gruppen, Arbeitslose, Alleinerziehende, traditionelle Arbeitnehmer in der Industrie vor allem, fürchteten zu Recht nicht nur den sozialen Abstieg in die Armut, sondern auch den Ausschluss vom Arbeitsmarkt und damit von weiten Bereichen der Gesellschaft (Kultur und Kunst, Wissenschaft und Bildung, Freizeit und Erholung, Konsum, usw.). Sie eruierten zunächst die Möglichkeiten bestehender Organisationen und Zusammenschlüsse, etwa die Gewerkschaften und linken Parteien, ihre Interessen zu vertreten. Diese Sondierungen waren im Ergebnis negativ und so wurde eine eigene Partei, die WASG, gegründet.
Die PDS erkannte nach einer kurzen Zeit der Konkurrenz, die bei den Wahlen beiden Parteien Niederlagen brachte (NRW – Landtagswahl 2005: PDS 0,9 %, WASG 2,2 %) die Chance, sich durch eine Reihe von Veränderungen als Partnerin dieser neuen Partei attraktiv zu machen und zu kooperativem Verhalten überzugehen. Das Ergebnis ist bekannt, ein erfolgreicher gemeinsamer Wahlantritt bei der Bundestagswahl 2005 und einigen Landtagswahlen und die Vereinigung im Sommer 2007 zur Partei DIE LINKE.
Das politische Agieren der Partei DIE LINKE bestand im Wesentlichen genau in der Vertretung dieser Gruppen, deren Interessen nicht nur nicht respektiert worden waren, sondern die, eben weil ihre Interessen berechtigte waren, auch für das Allgemeininteresse, für die Prinzipien und das Funktionieren dieses deutschen Gesellschaftsmodells (Marktwirtschaft und Demokratie) kämpften.
Die politische Position, das Programm für die Bundestagswahl 2009 war im Kern das, was bereits bei der Wahl 2005 zum Erfolg geführt hatte. Dennoch sieht sich die Partei DIE LINKE nach den Wahlen paradoxerweise auf der einen Seite gestärkt, ich habe das im ersten Teil meines Vortrages erläutert, auf der anderen Seite ist eine Regierung an die Macht gekommen, die, einschließlich der Regierungsparteien und deren Mitgliedschaften (CDU/CSU und FDP), von den öffentlichen vorgebrachten politischen und sozialen Forderungen der LINKEN nicht so zu beeindrucken sein wird, wie es eine erneute Große Koalition aus Union und SPD gewesen wäre.
Dieses Ergebnis ist durch die generelle Schwäche der beiden großen Parteien, vor allem durch die Schwäche der SPD zu erklären. Die großen Parteien wie die Union und die SPD haben in einem Parteiensystem wie dem deutschen die Aufgabe, in einer Koalition mit kleineren Parteien die Interessen der Gesellschaft in Balance zu halten und politisch zu moderieren. Das gelingt ihnen seit Jahren immer weniger, sie verlieren Mitglieder, können also selbst innerhalb der eigenen Parteien nur schwer divergierende Interessen ausgleichen und Milieus integrieren und werden von weniger Menschen gewählt. Diese Entwicklung wird in der Politikwissenschaft als Verfall der Volksparteien beschrieben.
Die SPD hatte neben diesem Problem des zunehmenden Verlustes ihres Charakters als Volkspartei und dem Problem der Existenz der Linkspartei noch ein drittes Problem, das sie nicht lösen konnte. Schon vor Ausbruch der Finanzkrise war dem großen Teil der traditionellen SPD – Wählerschaft, für die SPD mit Sozialstaatsorientierung verbunden war, klar, dass ihre Parteiführung nicht nur diese Sozialstaatspolitik nicht mehr wollte. Der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder hatte ja 2003 mit der Umsetzung der sogenannten Agenda 2010, dem Abbau des Sozialstaates, begonnen. Das führte, ich habe das beschrieben, zur Abspaltung von Teilen der SPD und zur Gründung der WASG, dann der Partei DIE LINKE. Mit der wirtschaftlichen Krise wurde einem Teil der verbliebenen SPD _ Anhänger klar, dass der neue SPD – Vorsitzende Müntefering und der Kanzlerkandidat Steinmeier beim besten Willen kaum noch klassische SPD – Politik würden machen können: Schrumpft die Wirtschaft, sinken die Steuereinnahmen und die steuerfinanzierten Sozialprogramme und sozialen Sicherungssysteme würden ein schier unlösbares Finanzierungsproblem haben. Kurz: für ehemalige sozialdemokratische Wähler war 2009 klar, dass die SPD weder Deutschland politisch führen und die Interessen der Gesellschaft würde ausgleichen können und dass sie wegen der Wirtschaftskrise auch keine attraktive steuerfinanzierte Sozialstaatspolitik würde machen können. Im Ergebnis blieben die SPD – Wähler im Herbst 2009 der Wahl fern.
Was folgt daraus für DIE LINKE?
Erstens gibt es wegen des föderalen Charakters der deutschen Politik einige Möglichkeiten, politisch Einfluss auf die Politik zu nehmen. Dies wird im Wesentlichen eine Obstruktionspolitik im Sinne sozialer Abwehrkämpfe sein. Um die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zu verändern wird DIE LINKE versuchen, in einzelnen Bundesländern Machtoptionen aufzubauen und sich an Regierungen zu beteiligen. Es wird um die Verteidigung des Sozialen, des Öffentlichen sowie der Menschen- und Bürgerrechte gehen. Zweitens wird sie in den Kommunen höchst verantwortungsvoll gegen eine noch verschärfte Politik der leeren Kassen zuungunsten der Schwächsten der Gesellschaft ankämpfen müssen. DIE LINKE hat viele Kommunalvertreterinnen und Kommunalvertreter, es wird für sie nicht leicht und es ist eine große Herausforderung für die ganze Partei, sie unter allen Umständen im Widerstand gegen die zu erwartenden Folgen der Umverteilungspolitik neuen Bundesregierung zu unterstützen
Drittens geht es um Solidarität. Die Regierung Merkel/Westerwelle wird die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft nicht auf einen Schlag belasten, sondern sehr unterschiedlich und auf subtile Art belasten. Auf diese Umwälzung der Krisenfolgen und gegen die damit beabsichtigte Entsolidarisierung der Menschen kann und muss DIE LINKE, gemeinsam mit anderen Organisationen und Verbänden, zuerst den Gewerkschaften und Betriebsräten, mit verstärkter Solidarität antworten.
Bei alledem scheint DIE LINKE wegen der notorischen Krise der SPD auf absehbare Zeit parteipolitisch auf sich selbst verwiesen und ohne bundespolitische Machtoption. Wie wird sie mit dieser Situation umgehen?
3. Perspektiven der Partei DIE LINKE
Es liegt auf der Hand, dass die deutsche Linke, will sie zu einem hegemoniefähigen Akteur werden, ein breit akzeptiertes und weit über die Linken hinaus in der Bevölkerung attraktives Projekt entwickeln müsste. Und, das ist ebenfalls klar, dass die Fragmentierung und Zersplitterung der Linken überwunden werden müsste.
Für die Partei DIE LINKE hieße das: sie müsste ein dem entsprechendes Parteiprogramm erarbeiten und in Bund und Ländern in Politikstil und Politikinhalten andern linken Akteuren als attraktiver Partner, andern (linken) Parteien als attraktiver Koalitionspartner erscheint.
Ich habe zu zeigen versucht, dass DIE LINKE durch die Verbesserung ihrer Position im Parteienwettbewerb und durch die vielfältigen inneren Entwicklungen durchaus über entsprechende Entwicklungspotentiale verfügt. Dennoch bin ich skeptisch, ob sie diese Entwicklungspotentiale auch in wirkliche Entwicklung wird umsetzen können. Es gibt gute Argumente für die Vermutung, dass sie die beiden genannten Probleme, also ein Parteiprogramm zu erarbeiten und sich als attraktiver Koalitionspartner zu positionieren, mittelfristig, d. h. bis 2013, dem Datum der nächsten Bundestagswahl, nicht wird lösen können.
Um es auf einen Punkt zu bringen: Es fehlen für die entsprechenden Anstrengungen der innerparteilichen Akteure die nach der Logik der Organisationsentwicklung notwendigen Anreize.
Im Parteienwettbewerb ist es erforderlich, konkurrenzfähige Vorstellungen, Visionen über die Lösung grundlegender Probleme der Gesellschaft zu erzeugen. Das erfordert zum einen eine gewisse Kreativität, die Fähigkeit zu sozialer und politischer Innovation. Zum andern bedarf es der Fähigkeit, gesellschaftliche Interessen unterschiedlicher Art zu vermitteln, zu moderieren. Koalitionen basieren nicht immer auf gemeinsamen Visionen und Projekten, aber immer auf Kompromissen. Will eine kleinere Partei wie DIE LINKE also als attraktiver Koalitionspartner auftreten, dann muss sie zu solchen Kompromissen bereit sein. Diese Bereitschaft, die Fähigkeit zum Kompromiss im interparteilichen Wettbewerb, entsteht nur dann, wenn die Partei zu Konsens und Kompromiss im intraparteilichen Wettbewerb unterschiedlichster innerparteilicher Interessengruppen und Akteure bereit und fähig ist.
Ich sehe aber aktuell die entsprechenden Anreize für ein solches Verhalten der Partei DIE LINKE nicht. Der Anreiz für Parteien zu programmatischen Innovationen kommt zum einen aus schweren Wahlniederlagen und dem folgenden Machtverlust. Wenn es eine Partei versäumt, in absehbarer Zeit eine neue, konkurrenzfähige Vision zur Lösung grundlegender gesellschaftlicher Probleme zu erzeugen, dann droht dieser Partei für lange Zeit der Verlust der Machtoption. Das ist die Situation der SPD heute. Der Anreiz kann aber auch dadurch erzeugt werden, dass eine Partei unter den andern Parteien einen sehr starken Konkurrenten hat, mit dem sie sich aktuell auseinandersetzen muss. Oftmals ist es so, dass genau der Mangel einer bedrohlichen Konkurrenz dazu führt, dass eine Partei intellektuell träge wird und programmatisch wenig innovationsfreudig ist. Das scheint mit die aktuelle Situation der Partei DIE LINKE zu sein. Und eine dritte Möglichkeit ist die, dass es eine konkrete Machtoption gibt, die eine programmatische Klärung durch die Erzeugung einer großen neuen sozialen Idee für die ganze Partei und damit für viele Kräfte innerhalb der Partei attraktiv erscheinen lässt. Oder anders herum: Der Mangel einer akuten Machtoption lässt die programmatische Innovationsfreudigkeit einer Partei erlahmen. Auch das scheint mir, wegen der noch Jahre andauernden Schwäche der SPD, für DIE LINKE heute eine zutreffende Diagnose zu sein.
Zusammengefasst lässt sich also sagen: Obwohl die Notwendigkeit einer programmatischen Neupositionierung durch die Arbeit an einer neuen Vision für die Lösung großer gesellschaftlicher Probleme erkant ist und auch klar ist, dass es keine Machtoption für die Partei DIE LINKE ohne die Fähigkeit zu interparteilichen und intraparteilichen Kompromissen geben kann, fehlen heute die Anreize für die innerparteilichen Akteure, sich entsprechend zu verhalten: eine scharfe, bedrohliche Konkurrenz einer andern linken Partei und eine reale bundespolitische Machtoption.
Das ist natürlich eine skeptische Sicht, die nicht von allen geteilt wird. Eine pessimistische Perspektive aber ist das nicht. Denn es gibt, auch darauf habe ich verwiesen, in der Partei sehr differenzierte Entwicklungen. Nicht nur in den politischen Strömungen, sondern durch regionale Gliederungen, Landesverbände, durch Basisinitiativen wird eine Programmdebatte geführt und es werden Ideen entwickelt und diskutiert. In verschiedenen Bundesländern werden Machtoptionen ausprobiert, die Möglichkeiten der ganzen Partei zu intra- und interparteilichen Kompromissen, zur demokratischen Ausbalancierung von Interessen erweitern sich auf diesem Wege erheblich.
[1] Institut für Gesellschaftsanalyse: Die gesellschaftliche Linke in den gegenwärtigen Krisen. In: Kontrovers 02/2009
[2] Im Folgenden beziehe ich mich auf ein Papier des Landesvorstandes der LINKEN.NRW für die Strategieberatung am 25. 10. 2009 in Düsseldorf.