Zur Wahlstrategie der Partei DIE LINKEN bei der Bundestagswahl 2009

Vortrag an der FU Berlin, November 2009

Zwei gravierende strategische Probleme in 2009:

Erstens veränderte das Ausbrechen der Finanzkrise die gesamte Wahrnehmung der politischen Landschaft. Während andere Parteien in einer plötzlich dramatisch und rasant, bedrohlich sich verändernden Welt verbalradikal, teilweise aber auch praktisch ihre Positionen, ihre politischen Doktrinen aufgaben, blieb DIE LINKE bei ihrer richtigen Linie. Bislang allerdings war DIE LINKE in der öffentlichen Wahrnehmung das politisch Neue, das Treibende: Links wirkte! Es war ein wenig so, wie im Zug: Die Landschaft raste vorbei, aber der eigene Zug stand. Die Anpassung an diese veränderte Situation gelang nur langsam und schwer.

 

Zweitens war die Partei politisch auf die Europawahl nicht so gut eingestellt, wie sie es für ein Erreichen ihres Wahlziels hätte sein müssen. Das ist bekannt, auch wenn die Plakate rot statt blau gewesen wären hätte das wohl kaum einen Unterschied gemacht.

 

Umso höher ist die Kraft der Partei und ihrer Führung zu bewerten, im Sommer 2009 konsequent auf ein “Kurs halten!” zu setzen und die Wahlstrategie weiter zu verfolgen.

Wahlziele

Erstens sollte ein zweistelliges Ergebnis erreicht werden: 10 Prozent plus. Dieses Ziel wurde mit 11,9 % erreicht.

Zweitens sollten Rechtsextreme und Neonazis aus dem Bundestag heraus gehalten werden, auch das wurde erreicht.

Drittens wurde als politisches Ziel formuliert, den erreichten bundespolitischen Einfluss  zu stärken und auszubauen.

Praktisch sieht sich die Partei DIE LINKE nach den Wahlen auf der einen Seite gestärkt, sie hat absolut und relativ Stimmen dazu gewonnen. Auf der anderen Seite ist eine Regierung an die Macht gekommen, die, einschließlich der Regierungsparteien und deren Mitgliedschaften (CDU/CSU und FDP), von den öffentlichen vorgebrachten politischen und sozialen  Forderungen der LINKEN nicht so zu beeindrucken sein wird, wie es eine erneute Große Koalition aus Union und SPD gewesen wäre.

 

Strategische Kommunikation/Themen

Erstens:  Klare Struktur von Wahlprogramm und Wahlkampagne zu geben: Soziale Frage/soziale Gerechtigkeit & Frieden. Politik dazu lohnt sich mit der LINKEN, Veränderungen sind möglich!

Zweitens: Unterscheidbarkeit der Partei DIE LINKE auf ihren zentralen Themenfeldern

o       inhaltliche Forderungen,

o       Entschiedenheit,

o       Vorgehen – Transparenz, Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger

Drittens sollten die Wählerinnen und Wähler das Angebot der Partei wirklich leicht verstehen können.

Sowohl Klarheit und Unterscheidbarkeit, Entschiedenheit und Verständlichkeit haben die gesamte strategische Kommunikation  der LINKEN im Bundestagswahlkampf 2009 ausgezeichnet.

Schlüsselbegriffe des Wahlprogramms: Soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden wurden durch die in der Plakatkampagne gesetzten Wahlkampfthemen präzisiert.

Grundlage: der Politischen Agenda der Partei (Cottbusser Parteitag 2008)

abgesichert durch eine eigene große repräsentative Wahlumfrage, wurden als Wahlkampfthemen bestimmt: Mindestlohn gerade jetzt! Mehr Geld für Bildung, nicht für Banken! Hartz IV abwählen! Raus aus Afghanistan! Gegen die Rente ab 67! Reichtum besteuern! Und: Schluss mit Atomkraft!

Werbekampagne, speziell die Plakate, Großflächen und Flyer, konsequent der Marke DIE LINKE entsprechend gestaltet.

Experten und politische Gegner mussten der Partei und ihren Agenturen DIG & TRIALON wieder einmal zugeben: An Eindeutigkeit der Botschaften und Aufmerksamkeit, Zuordenbarkeit und Unterscheidbarkeit war die Kampagne sehr professionell.

 

Personen. Erst- und Zweitstimmenwahlkampf

Wahlstrategie orientierte erstens auf entschlossenen Zweitstimmenwahlkampf

Grundgedanke der Strategie bestand schließlich darin, die seit 2005 gewonnene hohe Zustimmung zur Politik und zur Partei nun in Stimmen und Mandate umzusetzen.

Diese Orientierung wurde konsequent umgesetzt, die Themenplakate dominierten deutlich das öffentliche Bild der Partei.

Zweitens Orientierung darauf, im Bundestagswahlkampf Gregor Gysi und Oskar Lafontaine als die bekanntesten Politiker der Partei prominent einzusetzen. Das wurde durch alle Medien hindurch und bei der Veranstaltungsplanung konsequent und erfolgreich realisiert.

Drittens wies die Strategie auf die wachsenden Chancen für den Gewinn neuer Direktmandate hin und orientierte darauf, diese auch zu nutzen. Auch wenn fürs Wahlbüro das letztendliche Ausmaß der Einbrüche von CDU und SPD bei den Erststimmen auch überraschend war, muss post festum gesagt werden: mit einer konsequenteren Umsetzung der strategischen Orientierung in einigen Ländern hätte unser Erfolg noch größer sein können.

 

Zielgruppen

Die erste Orientierung der Wahlstrategie war die, dass DIE LINKE ein heterogenes Potential ansprechen sollte, dass Wählerinnen und Wähler aus allen Regionen, Altersgruppen und sozialen Milieus erreichbar sein würden. Dass genau darum die gemeinsame Wähleransprache, das alle diese Gruppen Verbindende, im Zentrum der Kommunikation stehen sollte. Darum wurden Soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden  nach vorn gestellt. Darum wurde eine einheitliche Kampagne in Ost und West realisiert. Und es wurde eine ausgewogene Mischung aus Protesthaltung und Konstruktivität, Gestaltungsanspruch, realisiert.

Eine zweite Orientierung war die auf drei Gruppen, die die Partei verstärkt wählen würden: die bedrohte Arbeitnehmerschaft, darin speziell das gewerkschaftlich/betriebsrätliche Milieu, die sozial Schwachen (speziell Arbeitslose, Alleinstehende und Alleinerziehende) sowie tradierte linkskulturelle Milieus. Nach der bereits o. g. Segmentierungsstudie unserer Wählerschaft waren wir sicher, dass diese drei Gruppen ebenso wie das ganze Potential der Wählerschaft durch dieselbe Themenagenda und dieselbe Art und Weise der Kommunikation anzusprechen sein würden. Diese Einschätzung hat sich bestätigt.

Die dritte Orientierung, wiederum aus dem Lager der Nichtwählerinnen und Nichtwähler Stimmen zu ziehen, was im Straßenwahlkampf von großer Bedeutung war, wurde auch erfolgreich umgesetzt. Das DIE LINKE diesmal per Saldo an die Nichtwähler deutlich verloren hat, verdeckt diesen Fakt.

Als vierte Orientierung galt es enttäusche SPD-Wählerinnen und -Wähler für die Wahl der LINKEN zu gewinnen. Auch das ist durch die Wahl genau der Themen, bei denen die SPD enttäuscht hatte und eine strenge Kommunikation am Markenkern, der Sozialen Gerechtigkeit, durch Klarheit der Botschaften und der ganzen Kampagne, die Glaubwürdigkeit des polirischen Personals, allen voran Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, außerordentlich erfolgreich umgesetzt worden.

Die Wahlstrategie orientierte auf eine sehr bewusste Ansprache der Frauen. In der Auswahl der Themen, der Formulierung derselben, der Gestaltung der Kampagne wurde versucht, dies umzusetzen. Der diesmal nur sehr knapp unterdurchschnittliche Frauenanteil an der Wählerschaft der LINKEN, sicher zuerst dem überdurchschnittlich hohen Anteil männlicher Wähler im Alter zwischen 45 und 59 Jahren geschuldet, lässt uns auch diese Orientierung als eine erfolgreich umgesetzte bezeichnen.

Erst- und Jungwähler wurden durch einen speziellen Jugendwahlkampf zusätzlich angesprochen, ebenso wie bei den Migrantinnen und Migranten lässt sich aber kaum ein strenger Zusammenhang zwischen diesen speziellen Wahlkampfformen und -Ansprachen und gestiegenem Zuspruch nachweisen.

 

Mobilisierung

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Mobilisierung vorhanden: Geschlossenheit und Motiviertheit der Parteibasis, Führung und prominentes Personal, gute Kandidatinnen und Kandidaten und die richtigen Themen.

Dennoch war der Abstrom vieler Wählerinnen und Wähler der LINKEN ins Nichtwählerlager, eine runde Dreiviertel Million, sehr schmerzhaft. Zwar hat DIE LINKE mit etwa 62 % etwa die gleiche Haltequote wie die Union, das ist unter den Parteien Spitze, aber es ist dennoch bedenklich zu nennen. Als Gründe werden sicherlich der Mangel einer realen Alternative, unter Einschluss der LINKEN, zu einer unionsgeführten Regierung einerseits, andererseits auch überzogene Erwartungen an die Möglichkeiten der LINKEN aus der Gründungsphase der Partei 2005  bis zur Bundestagswahl 2009 anzuführen sein. Aber gerade an dieser Stelle, beim Problem mangelnder Mobilisierung bisheriger Wählerinnen und Wähler, dürften wohl die anfangs genannten politisch-strategischen Schwierigkeiten der Partei im Kontext der Krise anzuführen sein.

 

Dramaturgie und Tonalität der Kampagne

DIE LINKE ging bekanntlich mit Themenplakaten (Typo rot – weiß, schwarze Schrift) und Personenplakaten (G. Gysi & O. Lafontaine) sowie 5 Großflächen (1. Welle G. Gysi, O. Lafontaine ; 2. Welle Typo rot ; 3. Welle G. Gysi & O. Lafontaine / Wahlaufforderung) in die letzen Wochen des Wahlkampfes.

Die Dramaturgie sah eine Verdichtung der Wahlkampfaktivitäten, besonders des Straßenwahlkampfes, der Verteilung des Materials (Wählerbrief, Wahlzeitung) bis zum 48 – Stunden – Wahlkampf zum Schluss vor.

Die ganze Kampagne setzte auf eine sehr direkte Kommunikation mit unseren Wählerinnen und Wählern, auf Kontinuität (= Verlässlichkeit) der politischen Agenda und auf die vertraute, gelernte Marke.

Unsere Themen drangen zunehmend durch, das Spitzenpersonal stand jederzeit klar für diese Agenda, diese Themen.

In der Tonalität der Kampagne wurden die Botschaften als Forderungen sehr apodiktisch, also bestimmt, alternativ zur herrschenden Politik und zugleich für uns als alternativlos, richtig, vorgetragen.

Im Ganzen setzte die Kampagne der LINKE auf eine hohe sachliche wie emotionale Identifikation der eigenen Anhängerschaft mit Politik und Spitzenpersonal der Partei, damit auch mit der Kampagne selbst. Das Wählerpotential der LINKEN war kleiner als das der Grünen oder der FDP, um das Wahlziel von 10% + X zu erreichen, musste DIE LINKE stärker mobilisieren und ihr Wählerpotential stärker ausschöpfen als die Mitbewerber. Darauf war die Kampagne ausgerichtet.

Die Analysen der Kampagnen der andern Parteien sowie die Analysen und Bewertungen der Kampagne der LINKEN durch Wissenschaftler und Praktiker auf dem Gebiet der politischen Kommunikation und Werbung legten während der eigentlichen Wahlkampfphase keine Korrekturen der Kampagne nahe. Die Partei hatte sich thematisch und personell klar positioniert.


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