(Veröffentlicht in: Politische Berichte, Zeitschrift für linke Politik Nr. 4 vom 5. April 2012, S.22)
Zur Frage, ob die SPD uns gegenüber, also mit ihrer „Ausgrenzungs- und Vernichtungsstrategie”, ich würde eher von einer Strategie nichtkooperativen Verhaltens sprechen, in den Ländern, aber auch im Bund (siehe das Interview mit A. Nahles) irrational, d.h. gegen ihre eigenen Interessen handelt oder oder eben nicht.
Meine Auffassung ist dazu kurz zusammengefasst die folgende:
Um diese Frage zu entscheiden, sollten wir uns die Struktur und Dynamik der großen Konfliktlinien (Cleavages) in Deutschland anschauen. Da sieht man einerseits, dass der Sozialstaatskonflikt (Frage der sozialstaatlichen Umverteilung) hinter den Standortkonflikt (Deutschland im globalen Wettbewerb) zurückgesetzt bleibt und die SPD wie Die Linke darum in der Defensive bleiben. Das kann Merkel besser.
Andererseits ist die Cleavage libertär – autoritär nach wie vor stark.
Neu ist, dass seit Mitte 2011 die Grünen sich das entsprechende Potential mit den Piraten teilen.
Beide zusammen ziehen jedoch nach wie vor ca. ein Viertel der Stimmen.
Die SPD ist nicht in der Vorhand, kann die soziale Karte nicht spielen.
Es kommt hinzu, dass zwei weitere rotrote Landesregierungen bundespolitisch auf 2013 hin Druck aufgebaut hätten, diese Option nach der Bundestagswahl zu ziehen.
Aber diese Option hätte es in sich. Ein tatsächlicher Richtungswechsel würde erstens bedeuten, den Sozialstaatskonflikt aufzuwerten. Das aber wäre zwingend verbunden mit einem Schwenk im Standortkonflikt, also in der Europa-, Wirtschafts- und Finanzpolitik und das dürfte hochgradig riskant sein. Eine Destabilisierung der Lage, der Verlust der deutschen Position wären zu befürchten, negative Folgen für die deutsche Beutegemeinschaft, eine formidable Herrschaftskrise.
Also wartet man auf die rotgrüne Chance für sanfte Modifikationen (die möglicherweise wirklich zu begrüßen wären) und verschafft sich Ressourcen in Form von Ämtern und Mandaten. Dafür reichen Juniorpartnerschaften allemal. Und dafür braucht es keine personelle Entscheidung an der Spitze und keine politische Einengung im Wahlprogramm.
Dass die SPD auch Chancen nutzen kann, hat die Frankfurter OB-Wahl gezeigt.
Warum, bitte schön, sollte die SPD sich also auf uns einlassen?
1. Hat sich die Ausgangslage für Die Linke durch den Wechsel der SPD von der Regierung in die Opposition, also seit Herbst 2009, verändert?
2. Hat sich die Lage der Linken, im Vergleich zur Zustimmung 2009, durch ihr eigenes kritikwürdiges Verhalten verschlechtert?
These: DL und SPD gehören im deutschen Parteiensystem zu einem Lager, einer Parteienfamilie. Social Democrats and Radical Lefts. Potentiale haben eine große Schnittmenge. Logik oszillierender Röhren: Rückt die SPD nach rechts, was beim Eintritt in eine Regierung der Fall sein kann, aber nicht muss, gibt sie Platz auf der Linken frei, den DL besetzen kann. So geschehen seit 2003 bis 2009. Andersherum: Rückt sie wieder nach links (praktisch politisch oder symbolisch) erobert sie linke Räume zurück. DL verliert Anhänger an die SPD.
These: Die Stärke der Dynamik hängt davon ab, auf wessen Seite das historische Momentum ist. Wird eine der beiden Parteien von einer aus der Gesellschaft kommenden Bewegung angestoßen und nimmt sie diese auf, wird sie temporär Bewegungspartei. Dann beschleunigt sich die Landnahme. So geschehen der SPD W. Brandts und für DL 2005 bis 2009. Geht das Bewegungsmoment, das historische Momentum verloren (was in der Natur desselben liegt), wird man auf seine Stammländereien zurückgeworfen, die es selbst noch zu verteidigen gilt. Das dürfte die Lage der Linken seit 2009 sein.
These: Der Verlust des historischen Momentums ist für jede Partei nur schwer zu verkraften, bringt Irritationen, Verwerfungen, personelle Auseinandersetzungen mit sich. Suche. Gelingt es nicht, rasch zu neuer Identität zu finden (Identität ist das gelungene Resümee, das eine Partei aus den Erfahrungen der vergangenen, abgeschlossenen Periode politischen Wirkens zieht), entsteht ein Bild der Zerrissenheit, wird sie Anhänger nicht nur an die Konkurrenz, sondern auch ans sogen. Nichtwählerlager verlieren. So geschehen der Linken seit 2009.
Das alles geschieht freilich nicht nach Art von Naturgesetzen oder schicksalhaft, sondern das sind Ergebnisse kollektiven Handelns und sozialer Entscheidungsprozesse der politischen Akteure einerseits, der Bürger andererseits. Auf die Bürger als Wähler komme ich gleich. Zunächst zu den Akteuren, den Parteien.
Aus Sicht der Linken ist die Frage, inwiefern diese Vorgänge, das Verhältnis zur SPD einerseits, das zur Wählerschaft andererseits, durch eigenes politisches Handeln verursacht und also auch zu verändern sei, vollkommen richtig gestellt.
These: Verkennt man den Verlust des historischen Momentums oder glaubt, ihn (jederzeit) von sich aus, also aus der Partei heraus, wieder erzeugen zu können, erzeugt man in der Beziehung zur Anhängerschaft möglicherweise Dissonanzen, schreckt eventuell Wähler ab, die selbst vom Bewegungsmodus aus Nutzenskalkül umgeschaltet haben. Voluntarismus. Positiv gewendet wäre diese Auffassung strategisch nützlich, wenn sie damit rechnete, dass aus den vielfältigen, überall in der Gesellschaft steckenden Bewegungsmomenten unter entsprechenden Umständen eine größere, weit überregionale Bewegung sich ergeben könnte, vergleichbar mit S21. Darauf sollte DL vorbereitet sein durch engste Beziehungen zu vielen solcher Problemorte.
These: Akzeptiert man den Verlust des Momentums und anerkennt dass, trotz allen eigenen Zutuns, die SPD durch ihre Verweigerungsstrategie die Linke in eine parteipolitische Isolation (= keine Machtoption) gedrängt hat, bleibt nur die klassische Minderheitenstrategie: „Wir gegen Alle”, um die eigene Anhängerschaft zu binden. Zugleich soll diese durch Protestwähler, die DL als den Knüppel sehen, mit dem der Esel SPD geschlagen werden kann, erweitert werden.
These: Zur Wählerschaft. Ist das historische Momentum erstorben, das Bürger und Partei in einer Bewegung, also kollektiv, miteinander verband, fallen sie in ihre individuellen Lebenslagen zurück und bringen, soweit sie nicht in enger Parteibindung sind, bei der Entscheidung für eine Partei das Nutzenkalkül in Anwendung.
Dabei werden erwartete Nutzengröße und Wahrscheinlichkeit des Nutzeneintritts abgeschätzt.
DL wird dabei deutlich mehr in ihrer instrumentellen Funktion, Druck auf die andern Parteien zu machen, wahrgenommen und „benutzt”. Soziale Probleme klarer benennen und konsequenter verfolgen, unabhängig, nicht korrumpiert zu sein, auf der Seite der kleinen Leute zu stehen.
Fazit: Die Antwort auf beide Fragen lautet: Ja!