Kurzanalyse der AfD

(Veröffentlicht in: Politische Berichte, Zeitschrift für linke Politik  Nr. 5 vom 10. Mai 2013, S.6f.)

 

Fakten

Die Alternative für Deutschland (AfD) ist eine von vielen sogenannten „Kleinen Parteien” in Deutschland. So nennt man Parteien, die bei Landtags- oder Bundestagswahlen bislang die Fünf-Prozent-Hürde deutlich verfehlen.

Die AfD wurde am 6. Februar 2013 gegründet und hielt am 14. April 2013 ihren Gründungsparteitag ab. Sie verfügt über ca. 8 000 Mitglieder. Die Partei hat bereits einige Landesverbände gegründet. Ihr Hauptthema ist ihre Ablehnung der gemeinsamen europäischen Währung, des Euro. Sie kann daher als eine Ein-Punkt-Partei bezeichnet werden.

Anders als alle Parteineugründungen in jüngster Zeit, WASG, Die Linke und Piraten ausgenommen, kann die AfD einen Gründungserfolg verzeichnen. Sie kann Spendengelder, Mitglieder, Führungspersonal akquirieren und sich parteiförmig organisieren. Vor allem aber gelingt es ihr, Aufmerksamkeit in den Medien zu erringen. Man kann von einem Medienhype sprechen, die großen Massenmedien wollen dieser Partei Aufmerksamkeit verschaffen. Das dürfte auch an der Tristesse liegen, die den Bundestagswahlkampf prägt, seitdem Angela Merkel beschlossen hat, die Wählerschaft dadurch zu demobilisieren, dass die Union der SPD wirklich jedes Thema wegnimmt, was zur Konfrontation, einem „Lagerwahlkampf”, also zur Mobilisierung taugen könnte.

Bei der Landtagswahl in Niedersachsen Anfang 2013 trat mit der „Wahlalternative 2013″ eine Gruppierung an, die personell weitgehend identisch mit dem Kreis jener politischen Unternehmer ist, die heute die AfD führen und unterstützen. Gemeinsam mit den Freien Wählern erreichte man 1,1%, seitdem weiß man in der CDU und in der FDP, dass diese Gruppierung leicht eine knappe Mehrheit bei Wahlen kosten kann. Allein die Drohung politischen Erfolgs zwingt diese Parteien zu Reaktionen. Warnungen an die Wählerschaft, Drohungen, Bagatellisierungen, Herabsetzungen des Personals werden bemüht, um die Gefahr klein zu machen.

Der nicht ungewöhnliche Versuch, die Freien Wähler gewissermaßen als Wirtspartei zu benutzen, wurde nach der Niedersachsenwahl rasch aufgegeben. Nach der Gründung als selbständige Partei stehen nun ein entscheidender Schritt bevor: Die Teilnahme an der bayerischen sowie der hessischen Landtagswahl und an der Bundestagswahl im September 2013.

Das Programm

In ihrer Selbstdarstellung liest sich das so:

„Deutschland ist reif für die Alternative!

  • Jedes Volk muss demokratisch über seine Währung entscheiden dürfen.
  • Wir fordern eine geordnete Auflösung des aktuellen Euro-Währungsgebietes.
  • Wir bejahen ein Europa souveräner Staaten mit einem gemeinsamen Binnenmarkt.
  • Eine Transferunion oder gar einen zentralisierten Europastaat lehnen wir entschieden ab.
  • Wir wollen Volksabstimmungen nach dem Schweizer Vorbild einführen.
  • Eine Demokratie muss auch unkonventionelle Meinungen aushalten.
  • Wir fordern eine drastische Vereinfachung des Steuerrechts.
  • Die Schulden der Eurokrise dürfen nicht zu einer Rente nach Kassenlage führen.
  • Deutschland muss kinder- und familienfreundlicher werden.
  • Wir fordern bundesweit einheitliche Bildungsstandards.
  • Wir fordern ein nachhaltiges Energiekonzept für bezahlbare Energie.
  • Wir fordern ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild.”

Zum Charakter der AfD

Ein Gedankenexperiment: Nehmen wir einmal an, die AfD hätte ihre Ziele erreicht. Wir würden in einem Europa der Nationalstaaten leben, wie es vor der Euro-Einführung bestand. Deutschland wäre ein bürgerlicher Staat, der Familien, Kinder und Bildung staatlich stärker fördern würde. Er würde steuerpolitisch wie ein „guter Haushalt” funktionieren, also sparsam und schuldenfrei. Es wäre ein nationaler Staat, der ein liberales Asylrecht hätte und eine qualitätsvolle, also Deutschland nützliche Zuwanderung. Und es wäre ein bürgerlicher Staat mit mehr Mitsprache der Bürger, der Bürgerstand, nicht Parteien und Politik, soll entscheiden.

Dies kann man nur als eine rückwärts gewandte Utopie bezeichnen. Es schwingt darin die verklärte Erinnerung an „bessere Zeiten” mit. Nun haben Utopien stets nur den einen Zweck, nämlich Kritiken der gegenwärtigen Gesellschaft zu sein. Nie sind sie ernsthaft gemeinte Entwürfe gewesen. Das Programm der AfD ist es auch nicht. Es ist, das macht die Schlichtheit des Forderungskatalogs ganz klar, bloße Protestation (Missfallensbekundung, Protest).

Gerade die Tatsache, dass keine differenzierte Kritik der Politik vorliegt (was anders bei der Ansammlung von professoralem Personal ein Leichtes gewesen wäre), sondern die Kritik global, allgemein bleibt, spricht dafür, dass sich hier auch weniger konkrete Interessen und Sorgen, gar Ängste bestimmter sozialer Gruppen artikulieren. Es sind eher Ängste apokalyptischer Art, der Untergang von Vertrautem, Überschaubarem, der eigenen bürgerlichen, nationalen, staatlichen Welt und Ordnung wird sorgenvoll antizipiert, wenn der Euro und wenn Europa scheitern. Darum handelt es sich bei der AfD nicht um eine Interessenspartei, sondern um parteiförmigen politischen Expressionismus (Ausdruck).

Das bedeutet, diese Partei ist nicht angetreten, ihre Ziele durchzusetzen. Sie will ein tiefes kulturelles Unbehagen öffentlich ausdrücken und in die politische Arena tragen. Die führenden Akteure, die politischen Unternehmer dieses Projekts sind gewiss auch Wohlstandschauvinisten. Aber sie haben, dem gehobenen Bürgertum zuzuordnen, für sich selbst mit Sicherheit längst materiell vorgesorgt, Immobilien erworben, ihre Spareinlagen gesplittet und auf die Familie verteilt. In der Krise wirklich alles verlieren zu können – diese Sorge ist es nicht, die sie treibt.

Anders steht es da schon mit dem in Umfragen ausgemachten großen Potential dieser Partei. Die unzufriedene untere Mittelklasse plagt ganz reale Verlustängste, es droht immer der Absturz ohne Wiederkehr. Von den „Modernisierungsverlierern”, die längst nicht einmal mehr Hoffnungen zu verlieren haben, ganz zu schweigen. Und erst damit haben wir eine möglicherweise explosive Mischung beisammen. Gelänge es der AfD, dem einen kohärenten und organisatorischen Ausdruck zu geben, was sonst unvollständige, fragmentarische Überzeugungen, Werte und Erfahrungen von Mitgliedern verschiedener sozialer Gruppen wäre, dann wäre das ein kultureller Bruch, eine Linie, entlang derer sich Protest und Widerstand gegen die herrschende Politik und deren Repräsentanten und Parteien formieren könnten.

Ein gewisses Potential dafür scheint gegeben, wirtschaftliche Verunsicherungen und kulturelle Verluste, besonders von Zusammenhalt, Sinn und Gemeinschaft, Orientierung suchen nach adäquaten und lauten Ausdrucksformen. Sie machen zugleich aber auch offen für populistische Schuldzuweisungen und einfache Lösungen. Da tummeln sich dann gern und leicht rechtsextreme Brandstifter. Eine rechtskonservative Partei ist das heute nicht. Ob sie eher seriös konservative Mitte sein wird oder nach rechts abdriftet, das wird sich rasch herausmendeln.

Chancen

Die hohe Ungewissheit über die Entwicklungen im krisengebeutelten Europa macht es schwer, über die Wahlaussichten der AfD zu urteilen. Entscheidungen der EZB können Legitimationsprobleme verschärfen, Problemzuspitzungen in Zypern, Slowenien oder anderswo, Frankreich rutscht in die Krise, können weitere Fragen aufwerfen, die Konjunktur, der Weltmarkt… Deutschlands Stabilität ist trügerisch. Die Drohung des Super-Gaus ist im politischen Raum präsent. Und die Deutung der Euro-Krise, die Frage, ob das sogenannte Muddling Through (Sich-Durchwursteln) die richtige Strategie für Europa ist, könnte noch zum Megathema des Wahlkampfes werden. Die dahinter liegende Frage, ob es mehr oder weniger Europa sein soll, ist es bereits durch die AfD geworden.

Käme die AfD in den Bundestag, dann ließe sich heute bereits vorhersagen, dass die Union mit ihrer traditionellen Strategie, nichts an ihrem rechten Rand zuzulassen, diese Partei vereinnahmen würde. Die AfD hätte freilich auch nur die Union als theoretische Partnerin, seit der FDP klassischer Liberalismus abhandengekommen ist.

Und DIE LINKE?

Die Linke sollte die Protestation, die kulturelle Verunsicherung von Teilen der deutschen Eliten und der unteren Mittelklasse ernst nehmen. Zumindest in letzterer finden sich bislang viele Wählerinnen und Wähler der Linken. Sie sollte sehr deutlich machen, dass Protest nicht reicht. Aber in der Stärke wäre hinter diesen Ausdruck von Europaskepsis nicht einfach zurück zu bleiben. Und wenn konkrete Lösungen vorgeschlagen werden, dann sollten sie geeignet sein, die Verunsicherungen und Ängste auch in der linken Wählerschaft abzubauen. Dabei wäre es sicher nicht die Radikalität des AfD-Programms und dessen Kosten, die von uns zu kritisieren wären. Unser Programm ist nicht weniger radikal und expensiv. Wir sollten es populärer, als besseren „Plan B für Europa”, unter die Leute bringen.


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