(Veröffentlicht in: Politische Berichte Nr. 8, 1. August 2013, S.22f.)
Gerade ist die 148-seitige Dokumentation „Wahlkampf-Strategien 2013 – Das Hochamt der Demokratie“ Erfahrungs-Wissen und Kontext-Analysen aus Praxis und Forschung“ (www.Otto-Brenner-Stiftung.de) der gleichnamigen Fachkonferenz vom 11. bis 12.6.2013 in Berlin erschienen. Auf dieser Tagung, unterstützt von Heinrich Böll Stiftung, der Otto Brenner Stiftung und der Hans Böckler Stiftung, äußerten sich Wahlkampfmanager der wichtigsten Parteien. Ich hatte mir im Verlauf der Tagung folgendes notiert:
Die CDU sieht sich als einzig verbliebene Volkspartei. Daher ist deren programmatische Maxime: Keine Gruppe der Gesellschaft bei der Wähleransprache auslassen, allen etwas bieten. Gern auch Wahlversprechen und Geschenke.
Das begründet die Copy And Paste – Praxis der CDU. Es wird kein Thema ausgelassen. Asymmetrische Demobilisierung funktioniert also nicht nur durch das Vermeiden einer Stellungnahme zu kontroversen Themen, sondern durch Besetzen jedes Themas, wenn es keine kontroversen Themen gibt.
Werberisch hat sich CDU gestalterisch (Farben, Schrift, Bildsprache) eine Form gegeben, die alle und jede/n anspricht, Zugehörigkeit vermitteln soll.
Die Parteispitze sieht die Regierungszeit als Erfolgsgeschichte für Deutschland und Kanzlerin Merkel. Beide sind außerhalb Deutschlands respektiert und innerhalb beliebt wie nie.
Das Programm heißt „ Deutschland geht es gut“ und es heißt Merkel. Es gibt keine Alternative, keine ernsthaften Interessenkonflikte, es wird nicht gestritten, nicht zugespitzt – auch nicht gegenüber der SPD. Von daher wird es auch kein Negative Campaigning geben, man würde damit nur bestimmte Wählergruppen verprellen, an die SPD binden.
Das Momentum scheint sich aktuell auf Seiten der CDU zu befinden.
Statt auf das latente Wohlstands- und Sicherheitsgefühl der CDU setzt die SPD auf ein in der Bevölkerung ebenso vorhandenes latentes Ungerechtigkeitsgefühl.
Auf den Harmonie- und Volksgemeinschaftsstil der CDU-Kampagne kann die SPD aber nur reagieren. Sie versucht dies mit „maximaler Kontrastierung“ Auf der Tagung hörte sich das etwa so an:
Wir Sozialdemokraten wollen eine demokratiekonforme Marktwirtschaft. Das ist etwas anderes als das, was Frau Merkel will. Wir wollen das Primat der Politik und damit der Bürgerinnen und Bürger wieder herstellen. Wir wollen das Gemeinwohl vor den Profit des einzelnen stellen. Wir stehen für weniger Ellenbogenmentalität, weniger EGO. Wir stehen für mehr Zusammenhalt in dieser Gesellschaft. Kurz gefasst: Es geht um mehr Wir, weniger Ich.
Daher der Claim: Das Wir entscheidet!
Umgesetzt wird das in eine Art Vergleich der politischen Angebote: Zitat: Statt 5€ Pflege-Bahr eine bessere Pflege für alle. Oder: Statt Lohnuntergrenze ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn. Man will Unterschiede der vermeintlich baugleichen Produkte herausarbeiten. Kein Negative Campaigning gegen Merkel, aber gegen die 2. Reihe der Union – und thematisch.
Mein Kommentar: Das kann nicht aufgehen. Bei jeder Wahl muss man fragen: geht es um Change oder um Choice? Die SPD setzt auf Choice. Weder personell (Steinbrück oder Merkel) noch programmatisch (welches Thema bewegt und spaltet die Nation? Sie haben es nicht.) kann und will sie Change, selbst wenn sie es wollte, immer ist die SPD 2. Wahl.
Die Grünen werden zum ersten Mal einen Bundestagswahlkampf in die Breite der Wählerschaft führen. No Guts No Glory ist das (interne) Motto der Agentur. Das meint: Sie wollen Leute weit übers Potential, ihre tradierten linken Milieus hinaus ansprechen. Das Wahlprogramm dafür ist komplettiert, aber auch im einzelnen abgeschliffener als früher. Wer vielen was bieten will muss Kompromisse machen. Das ist das Risiko.
Was also tun? Der strategische Gedanke lautet: Politisierung! Die Grünen haben, anders als die SPD durch ihre Fesselung an die Regierungspolitik in allen strategischen Fragen, die Fähigkeit zum Agenda Setting. Sie werden versuchen Themen zu setzen, die breit diskutiert werden. So, wie es ihnen mit dem Thema Steuern gelungen ist. Das ist eine politische Kompetenz, die in ihren Milieus und darüber hinaus hoch im Kurs stehen dürfte. Wenn man so will die gehobene Version vom linken Den Finger in die Wunde legen. Das steht für Bewegung und damit sind sie die treibende politische Kraft gegen den Stillstand von Merkel, aber auch die Lahmheit der SPD.
Sie wollen, auch diese Fähigkeit dürften sie haben, kreativ und kommunikativ vorn sein mit ihrer Kampagne. Sie haben aus Fehlern (Künast in Berlin) gelernt. Abgefedert wird diese Strategie durch das starke partizipatorische Element, wie es sich bei der Festlegung der Agenda der politischen Vorhaben bewährt hat. Auch das eine Kernkompetenz der Grünen.
Negative Campaigning gegen Merkel und andere in der Union, gegen FDP und DIE LINKE.
Die FDP hat eine schlichte Strategie: Sie geht als Lobbyistenpartei für die Selbständigen und KMU in den Wahlkampf, stellt ihre lobbyistischen Leistungen der letzten Jahre heraus. Dazu kommt ihre Rolle als Funktionspartei, sie wird Rotgrün oder eine große Koalition verhindern wollen. Sie unterscheidet sich also von der CDU als programmatischer Partei, die im Wahlkampf zudem eine Art „Lobbyismus für jedermann“ pflegt durch klassischen Lobbyismus und als harmonisierender Partei durch lagerbezogene Polarisierung.
Negative Campaigning gegen Rot-Rot-Grün.
DIE LINKE muss neben dem Herausstellen ihrer eigenen Stärken den Angriff auf die Schwächen der andern Parteien wagen.
- Bei der Union sind dies, kurz gefasst, besonders die sozialen Kosten der Merkelschen Politik. Dafür steht die Person der Bundeskanzlerin, sie ist darum zu attackieren.[1]
- Die SPD sollte besonders für ihre Unfähigkeit, der unsozialen Politik von Merkel eine echte Alternative entgegen zu stellen, für die Unfähigkeit, als Partei und mit dem Kandidaten eine solche darzustellen, angegriffen werden.
- Die FDP ist als das, was sie ist, nämlich Lobbyistenpartei zu benennen. Allerdings ist der schöne Schein, sie setze sich nur und zuerst für die Masse der Selbständigen und KMU ein, zu zerstören. Das Großkapital findet in ihr eine willige politische Dienerin.
- Die Grünen haben ihre Achillesverse beim Thema soziale Gerechtigkeit. Sie besetzen das Thema, aber es wird mit ihnen nicht verbunden. Riskant ist für die Grünen, dass damit auch deren Verbindung zur Agenda 2010, Hartz IV, bei der Wählerschaft assoziativ wachgerufen wird. Darauf wäre seitens der LINKEN zu zielen.
Negative Campaigning wäre dies seitens der LINKEN alles nicht wirklich, eher aufklärerisch, protestierend, öffentlich machend, analytisch-argumentativ. Es ergäbe aber eine schöne Geschichte (Story Telling): Warum haben die andern Parteien ein Problem mit der sozialen Gerechtigkeit?
[1] Seit der Tagung haben sich zwei der Kanzlerin gefährlich werdende Entwicklungen ergeben: Erstens der Überwachungsskandal, das transatlantische Verhältnis, Außenpolitik generell galten als unbedingte Stärken des Systems Merkel. Zweitens die Verhöhnung und Vorführung von Deutschlands Regierung im öffentlich gewordenen Telefongespräch irischer Bankmanager. Auch dieses Feld, die Bankenkrise, galt als wohlbestelltes Merkelland.