Die Grünen nach der Bundestagswahl 2013 und der Bundesdelegiertenkonferenz

(Veröffentlicht in: Politische Berichte 11/2013, S. 18f.)

 

B90/Die Grünen haben während der letzten Wahlperiode ein dramatisch zu nennendes Auf und Ab der Zustimmung der Bevölkerung, gemessen mit der Sonntagsfrage, erlebt. In nicht einmal zwei Jahren, zwischen Oktober 2009 und April 2011, veränderten sich die Umfragewerte je nach Institut um 15 bis 20%. Hintergrund waren gesellschaftliche Veränderungen: Einmal eine fast flächendeckende libertäre Rebellion gegen Groß- und Kleinprojekte aller Art, die tief in die Lebenswelt des Bürgertums hinein drangen, Stuttgart 21 war dafür Symbol wie Katalysator. Es war eine bemerkenswerte doppelte Vielfalt in dieser Rebellion zu bemerken: Da war die Vielzahl der Kristallisationspunkte, lokaler Initiativen einerseits und das Zusammenkommen vielfältigster Interessenlagen, Milieus und Individuen an einem Ort andererseits. Das verstärkte einander in der öffentlichen Wirkung. Ein diskursiver Politikstil war gefragt, der autoritäre desavouiert.

Hinzu kam die atomare Sicherheitskrise. Fukushima explodierte am 11. März 2011. B90/Grüne stiegen in Umfragen auf über 20%. Das war allerdings nur ein Bonus. In den Tagen beschloss Angela Merkel das Aus für die deutschen AKWs. Die Sicherheitsrendite dafür sollte sie dann zur Wahl kassieren. Dennoch: Der Parteienwettbewerb fand in dieser Zeit stärker als gekannt entlang der gesellschaftlichen Konfliktlinie (Cleavage) Grün-Libertär/Autoritär statt und die grün-libertären Politikangebote hatten Konjunktur.

In dieser Zeit gewannen die Grünen Wahlen, Mandate und Ämter – und Macht. Sie regieren in sechs Bundesländern und sind in allen Landtagen vertreten. Damit verfügen sie heute über mehr Ressourcen als je in ihrer Geschichte. Fakt ist: B90/Die Grünen stehen heute, was ihre Ressourcen betrifft, bestens da.

Diese Erfahrung möglicher Wirkung und Reichweite in den Köpfen, mit dem neuen Gewicht der süddeutschen Grünen um MP Kretschmann und weil sie seit zwei Jahren auf dem Niveau von 15% stabil waren, begannen die Grünen, sich für den Bundestagswahlkampf breiter denn je aufzustellen. Grün wollten sie sein, sozial und liberal. Sie griffen über ihre Milieus und bisherigen Wählerschaften weit hinaus.

Aber die Bindungen zwischen Wählerschaft und den Grünen sind etwas speziell. Die Grünen sind, wo sie an die Macht kommen, durchaus Klientelpartei und können darüber hinaus auch handfeste materielle Interessen breiterer Kreise bedienen. Das haben sie in Kommunen und Ländern, auch auf Bundesebene, unter Beweis gestellt. Aber dazu braucht es eben diese konkrete, realistische Machtperspektive. Und die gab es bei der Bundestagswahl 2013 nicht, das war ab August ziemlich klar.1 Somit wurden diese interessenbasierten, „harten” materiellen Bindungen nicht wahlwirksam. Teile der Wählerschaft orientierten sich diesbezüglich auf die beiden großen Parteien, die sich praktisch in die Macht teilen würden (und wohl auch werden).

Die softeren Bindungen zwischen Grünen und Wählerschaft hatten mit dem zu tun, was Franz Walter die „Aura der Grünen” genannt hat. Gegen die Grünen sprach fast nichts. Mit ihnen war man irgendwie auf der Seite der Guten. Wie verletzlich diese Aura war zeigte sich, als von interessierter Seite das Thema Pädophilie gespielt wurde. Da hielten die auf Werte, soziale Identitäten, geteilte Erfahrungen und Personen basierten Bindungen nicht stand. Wenn die Grünen nicht die Guten waren – was sprach dann noch für ihre Wahl? Dass nach Joschka Fischer die Grünen keine ähnlich charismatische Figur an ihre Spitze gelassen haben, die das hätte kompensieren können, kam hinzu.

Nimmt man in die Betrachtung des Wahlausgangs noch hinein, dass (1) die Piraten, eine zweite linkslibertäre Partei, den Eintritt in die bundespolitische parlamentarische Arena klar verpassten und (2) die rechtslibertäre AfD überraschend knapp scheiterte, so ergibt sich eine für die Grünen heute und perspektivisch relevante zweifache Verschiebung im politischen Koordinatensystem der Republik. Einmal verschoben sich die Gewichte, wie bereits benannt, vom Grün-Libertären hin zum Autoritären. Dann aber gibt es diese Verschiebung auf der libertären Seite vom Grün/Linkslibertären hin zum Rechtslibertären. Die Grünen, so wäre zu resümieren, finden sich im Parteiensystem auf Bundesebene mit guten Ressourcen versehen, aber ob der Stärke ihrer Antipoden dennoch strategisch geschwächt.

Wie verarbeitete die Partei das Ganze nun auf der jüngsten BDK?

Nüchtern betrachtet haben die Grünen zunächst erst einmal registriert, was der Stand der Dinge ist: Das Ergebnis, die miese Kampagne, die vermeintlichen Fehler. Dass die Fixierung auf Rotgrün allein nun perdu ist und am Ende die Partei immer noch die ist, die sie vor der Wahl war – gewissermaßen. Analytisch war das wenig gehaltvoll.

Zweitens scheint bemerkenswert: Die breite programmatische Aufstellung bleibt wohl erhalten. Zwar wolle man die Energiewende wieder zentral setzen, aber doch auch weiterhin die sozialere Partei als SPD und Linke sein und zudem den politischen Liberalismus als Erbe der versunkenen FDP übernehmen, nebst Wirtschaftsnähe, wofür MP Kretschmann & Co. stehen. Grün, sozial und liberal – das alles sei ökologisches Denken. Da ist die Partei, was ihre politische Positionierung angeht, noch nicht weiter als am Wahlabend.

Drittens, das scheint der bemerkenswerteste Aspekt der Wahlnachlese der Grünen, wurde ein Generationswechsel vollzogen. Vielleicht kommt man einem tieferen Verständnis für das Beharren der Partei auf der programmatischen Verbreiterung der Grünen etwas näher, wenn man annimmt, dass diese Generation nicht mehr vom Band einer Politischen Ökologie als Weltrettungsidee umschlungen ist, sondern von Anbeginn ihrer politischen Sozialisation einer Idee universeller Nachhaltigkeit im Ökologischen, Sozialen und Politischen anhängen. Kleinteilige Verbesserungen, Rationalität des Technischen, Verrechtlichungen universeller Ansprüche – das geht überall und am besten durch Beteiligung am Verwalten und Regieren. Das sind die Grünen, die schon aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Nicht mehr die, die sich da hinein aufgemacht hatten und irgendwann angekommen waren, die Fischer, Trittin, Roth usw. Emanzipationshoffnungen gründen bei den Neuen Grünen, so wird man sie vielleicht nach einigen Jahren nennen, eher im Appell an die Habenden als auf der Aufforderung zur Rebellion, dem „Empört Euch!”. Links ist das nicht, jedenfalls nicht mehr als Vergleichbares aus den Sozialethiken der drei monotheistischen Religionen.

Abschließend sei angemerkt, dass, nachdem Schwarzgrün abgehakt war, die Partei sich wieder mit bekannter Hingabe der Moralisierung der Politik widmete und Aura zu schaffen suchte. Lampedusa wurde skandalisiert. Flüchtlinge wurden auf der BDK- Bühne aufgereiht. Was bekanntlich, darin liegt das Verwerfliche, in keinem Verhältnis zur bisherigen Europa- und Außenpolitik der Grünen stand.

Es wird interessant, ob und wie sich Die Grünen aus diesem Zustand, den eine gewisse Offenheit charakterisiert und der zugleich auch etwas Lähmendes hat, nach vollendeter Regierungsbildung werden befreien können.


[1] Dass sie zudem mit dem Steuerthema gewisse Irritationen auslösten sei nur nebenher erinnert. Zunächst als Beleg für die Fähigkeit der Grünen zum Agenda Setting gefeiert zeigte sich, dass die Möglichkeiten, ein solches Thema gegen die Grünen zu wenden, auf der politischen Gegenseite deutlich größer waren. Blieb auch der Wählerstamm davon unbeeindruckt, erschreckte es doch relevante Teile des weiteren Potentials der Grünen.


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