J. Thompson: Nukleare Bedrohung – Psychologische Dimensionen atomarer Katastrophen. (Rezension)

(Veröffentlicht in: Psychol. Prax. (Berl. DDR) 6 (1988) 2, S. 191f.)

 

Der Autor wurde 1983 von der Britischen psychologischen Gesellschaft gebeten, einen Bericht über den Forschungsstand zu psychologischen Dimensionen atomarer Katastrophen zu erarbeiten. Im März 1985 vorgelegt, gilt der Bericht als offizielle Stellungnahme des Vorstandes der Gesellschaft. Seinem wissenschaftlichen Gehalt nach ist das Buch ein außergewöhnlicher Beitrag eines Psychologen, das schon jetzt seine Wirkung in der internationalen Bewegung der im Friedenskampf und in der psychologischen Friedensforschung engagierten Psychologen hat.

Thompson beginnt damit, dass er den möglichen atomaren Krieg als Katastrophe bestimmt, Erkenntnisse über zu erwartende physische Zerstörungen, klimatische Veränderungen usw. referiert und dann nach den wahrscheinlichen Reaktionen der Menschen und psychischen Schäden fragt. Dazu zieht der Autor Analysen des 2. Weltkrieges, von Naturkatastrophen, technischen Havarien und Zivilschutzübungen heran. Interessanterweise beginnt er die Analyse in der Phase der Bedrohung (in der wir uns nach Thompson befinden), dann folgen Vorwarnung, Eintreten der Katastrophe, unmittelbare Auswirkungen und Spätfolgen.

Einige Grundaussagen: Die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges wird in der Öffentlichkeit höher eingeschätzt als oft vermutet. 35 bis 50 % halten einen solchen Krieg für wahrscheinlich. Unter jungen Menschen liegt der Prozentsatz höher. Die häufigste Reaktion darauf ist das „Verleugnen“, Nicht-Akzeptieren der Gefahr. Diese Haltung werde auch in der Vorwarnphase bestehen bleiben. Thompson fand darüber hinaus eine starke Tendenz zur Priorisierung familiärer gegenüber offiziellen Verpflichtungen. Nach der Explosion bestehe die generelle Reaktion nicht, wie weithin angenommen, in einer Massenpanik, sondern in anfänglicher Euphorie der Überlebenden, die rasch dem Katastrophen-Syndrom weicht. Die Erweiterung der Sichtweise auf die Phase der Bedrohung drängt dem Leser Fragen nach dem generellen politischen Verhalten der Bevölkerung zu Problemen der Rüstung und Kriegsvorbereitung, nach den Möglichkeiten der Psychologie, breiteste Kreise der Öffentlichkeit für ein Engagement in Sachen Frieden und Abrüstung zu aktivieren, auf.

Im zweiten Teil seiner Arbeit befasst sich der Autor mit den Risiken des atomaren Friedens. In seiner Analyse von Unfällen, nuklearem Terrorismus, von Problemen der Befehlsgewalt und Kontrolle über Atomwaffen und der Schwierigkeiten der militärischen und politischen Führungsgremien in Krisensituationen kommt er zu folgenden Ergebnissen: Die Möglichkeit menschlichen Versagens besteht im zivilen wie militärischen Bereich bei denjenigen, die unmittelbaren Umgang mit der Technik haben (Bedienungspersonal) ebenso wie bei denjenigen, die über den Einsatz entscheiden. Im Atomzeitalter sind auch aufgrund psychischer Faktoren Entscheidungen in Krisensituationen sehr riskant. Seine Schlussfolgerung, Psychologie könne durch Testen des militärischen Personals, durch Training der vernünftigen Funktionsweise von entscheidungsfähigen Gruppen (zum Beispiel die eines „Kriegskabinetts“) die Risiken minimieren zu helfen, ist sicher keine zwingende Konsequenz der dargelegten Tatsachen. Diese kann doch nur darin bestehen zu fragen, welchen Beitrag Psychologie leisten kann, das Risiko wenigstens im militärischen Bereich endgültig zu beseitigen.

Im dritten Teil wird die Frage der psychologischen Risikominimierung weiter verfolgt. Nach der Analyse bisheriger Verhandlungen, Krisen und Konflikte bietet Thompson einen Katalog von Vorschlägen zur Verbesserung der Verhandlungsführung und Konfliktlösung. Seine Zielgruppe sind die Politiker und besonders jene „kleine Gruppe von Menschen“, die in Krisenzeiten zu entscheiden haben und deren psychische Verfassung daher „unverhältnismäßig wichtig“ ist. „Die größte Herausforderung der Krisenprävention liegt in der Verbesserung der Verhandlungen, mit dem Ziel, Krisen gar nicht erst entstehen zu lassen. Obwohl psychologische Techniken die historischen und kulturellen Faktoren nicht überdecken können, so können sie doch zur Konfliktlösung beitragen.“ (S. 179) Dem letzteren ist sicher zuzustimmen. Doch die größte Hoffnung liegt für uns darin, dass sich die „kulturellen und historischen Faktoren“ ändern, dass immer mehr Menschen für Frieden und Abrüstung aktiv werden und dass die Psychologen auf diese Veränderungen aktiv Einfluss nehmen können. Thompsons Buch ist objektiv ein solcher Beitrag.

J. Thompson: Nukleare Bedrohung – Psychologische Dimensionen atomarer Katastrophen. Psychologie Verlags Union, München/Weinheim 1986, 291 Seiten, 7 Abbildungen, Paperback.

 


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