»Immerwährendes Dilemma linker Politik«: Harald Pätzolt über Harald Wolfs selbstkritische Bilanz der rot-roten Regierungszeit in Berlin
Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/1007498.man-hatte-fertig.html
Harald Wolf, von 2002 bis 2011 Senator in Berlin, legt im Jahr, in welchem, ginge es nach der LINKEN, im Herbst das Rot-Schwarze Intermezzo in Berlin enden soll, seine »(selbst-)kritische Bilanz« rot-roten Regierens vor. Man kann, dies vorab, das Buch als ebenso profundes wie leicht lesbares Werk nur wärmstens empfehlen.
Wolf gibt seine Denkart im Vorwort zu Protokoll. Er benennt als »immerwährendes Dilemma linker Politik« die »Gefahr der Integration in den bürgerlich-parlamentarischen Betrieb und den gesellschaftlichen Mainstream auf der einen, die notwendige Autonomie gesellschaftsverändernder Bewegungen auf der anderen Seite«. Und er spricht von den »Dilemmata einer linken Regierungsbeteiligung, den Zwängen und Mechanismen einerseits und den andererseits damit verbundenen (begrenzten) Chancen gesellschaftlicher Veränderung, der Transformation und Demokratisierung von Institutionen…«. Den Staat sieht Harald Wolf als ein »Terrain sozialer Kämpfe und Konflikte« und weist die Idee, man könne die Staatsmacht einfach an sich reißen, ebenso zurück wie die Vorstellung, man sei in Regierung auch schon an der Macht. Für entwickelte bürgerlich-demokratisch organisierte Gesellschaften, hier spricht der geschulte linke Theoretiker, gelte dies jedenfalls nicht.
Kapitel 1 beschreibt den Verlust des Metropolencharakters Berlins durch Krieg und Teilung sowie den typisch Westberliner (d.h. fremdsubventionierten und überambitionierten) Versuch der Rückgewinnung des Metropolenstatus nach der Wende. Das ist völlig überzeugend – nur fragt man sich, warum Wolf mit keinem Wort auf den Boom der letzten Jahre eingeht und auch nicht auf die von Gregor Gysi 2002 vorgetragene Vision von einem Berlin, das von Deutschlands Rand in die Mitte Europas rückt. Warum kam diese nicht zum Tragen?
Kapitel 2 ist dem legendären Papier von Carola Freundl und Harald Wolf »Vor der Kür kommt die Pflicht« vom Jahresanfang 2001 gewidmet. Die PDS in Berlin entwarf darin ein mehrjähriges Szenario zur Gewinnung von Regierungsfähigkeit für die eigene Partei, wobei SPD und Grüne wohl als potentielle KoalitionspartnerInnen, aber nach aktuellem Status als noch nicht akzeptabel für die PDS eingeschätzt wurden.
Kapitel 3 und 4 geben einen großartigen Überblick über das politische Ende des »Systems Diepgen-Landowsky«, eines Systems der »Subventions- und Vetternwirtschaft, der Verquickung von öffentlichen und privaten Interessen und neoliberaler unternehmerischer Stadtpolitik« und dem wirklich spektakulären Berliner Bankenskandal. Wenn man als Berliner das heute, nach 15 Jahren, so liest, weiß er nicht, ob er weinen oder lachen soll, diese Niedertracht und Gier, dieses böse Geschick und was für eine Verblendung! Und wie nüchtern, sachlich, professionell die Bankenkrise vom rot-roten Senat bewältigt wurde! Man kann es nun endlich im Kapitel 6 nachlesen.
Kapitel 5 schildert die kurze Zeit der von der PDS geduldeten SPD-Grüne-Übergangsregierung, des Wahlkampfes und der Koalitionsverhandlungen im Herbst 2001. Noch heute klingt die Verwunderung eines Politikers nach, dem gute Verwaltung, »Good Governance« wichtiger ist als linke Ideologien und Utopien: »Die bittere, graue Wirklichkeit einer finanziell und wirtschaftlich am Abgrund stehenden Stadt bildete nur den Hintergrund, vor dem sich die Vision der vereinten europäischen Metropole…umso strahlender abhob.« Dabei sprach das Wahlprogramm doch eine deutliche Sprache: Es war ein Sanierungs- und Konsolidierungsprogramm, das schmerzhafte Einschnitte erfordern würde, die aber gerecht zu setzen seien. Sparen war angesagt – auch von der PDS. Wolf spricht von einer »euphorischen Aufbruchsstimmung, die in merkwürdigem Kontrast zu den real existierenden Problemen stand.« (S. 76) Gregor Gysi habe unhaltbare Versprechungen gemacht und, aus Unwissenheit, leichte Lösungen offeriert. Spätere Enttäuschungen und beschädigte Glaubwürdigkeit der PDS führt Wolf darauf (mit) zurück. Und überhaupt sei das gute Wahlergebnis der PDS ein einmaliges, auf das Zusammentreffen besonderer Entwicklungen und Ereignisse, etwa auch der deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg, zurückzuführendes Ereignis gewesen. Für Wolf, den guten Verwalter, ist derartiges, ebenso wie die aufgeregte Debatte um die Präambel des Koalitionsvertrages, eher misslich, man spürt es »zwischen den Zeilen«.
Äußerst instruktiv ist das Kapitel 7 über die »Politik der Haushaltskonsolidierung«. Diese Politik war strategisch darauf ausgerichtet, vom BVerfG die Haushaltsnotlage feststellen zu lassen und so einen Teil der Altschulden los zu werden. Dafür musste gespart und gekürzt werden, buchstäblich an allen Ecken und Enden, man musste sich an den durchschnittlichen Standards von Leistungen, Ausgaben, Stellen usw. anderer Bundesländer, bevorzugt Hamburg, orientieren. Und man investierte weniger.
Musste man das wirklich? Die Sache ging bekanntlich schief, das Gericht wies die Klage ab, Berlin blieb auf seinen Schulden sitzen. Weiter musste das Land sich neu verschulden, um die Zinsen zahlen zu können. Dafür hatte man es sich mit so ziemlich allen Klientelen verscherzt. Aber nach Wolfs Logik, dass man der richtigen Strategie gefolgt sei, wäre das hinzunehmen gewesen, hätte man nicht einige Fehler gemacht (Kürzungen des Blindengeldes, der Ostgehälter im ÖD sowie das Taktieren um Studiengebühren). Das ist eine offene Frage.
Nun erfolgte ein Paradigmenwechsel, eine neue strategische Orientierung setzte fortan auf die Verbesserung der Einnahmenseite, auf Wirtschaftswachstum, mehr Steuereinnahmen und mehr Geld aus dem Länderfinanzausgleich. Dabei kam die 2004 beginnende Konjunktur der Stadt zu Hilfe.
Kapitel 8 widmet sich der Wirtschaftspolitik, dem Kernressort Harald Wolfs. Beeindruckend ist nachzuvollziehen, mit welcher Konsequenz die Wirtschaftsförderung konzentriert und auf zukunftsträchtige Cluster ausgerichtet wurde. Später kamen die Nutzung kompetitiver Vorteile Brandenburgs und West-Polens hinzu, ebenso eine durchaus nicht im Trend Berliner Selbstgewissheiten liegende Stärkung der Industriepolitik. Mit beginnender Konjunktur griffen diese Maßnahmen dann erfreulicherweise.
Kapitel 9 befasst sich mit dem »Ausstieg aus der Anschlussförderung im Wohnungsbau«, einem schwierigen Erbe Westberliner Geschichte. Fast behutsam nähert sich Wolf dem Versagen der SPD in der Wohnungsfrage bereits in einer Zeit, als diese noch nicht virulent, der Wohnungsmarkt reineweg entspannt war. So habe man wohl die alte Subventionspraxis beenden können, aber nicht zu einem neuen Modus sozialer Wohnungspolitik gefunden. Auch die eigene Partei nicht, wie Wolf im Kapitel 12 anhand der Privatisierung der GSW beschreibt. Diese sei der »Sündenfall« der Partei gewesen.
Wer wissen will, was es mit den von Harald Wolf im Vorwort benannten Dilemmata linken Regierens konkret auf sich hat, der kann dies in den Kapiteln 10 und 11 über die Sanierung der Berliner Eigenbetriebe, der Auseinandersetzungen um die Folgen der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe eindrucksvoll nachvollziehen.
Für seine Verhältnisse geradezu mürrisch referiert Wolf im Kapitel 13 die Nöte der Umsetzung von Bundesrecht (Hartz-Gesetze) in Berlin durch den rot-roten Senat. Die Spielräume waren eng und der ÖBS, das arbeitsmarktpolitische Prestigeprojekt der PDS, wurde nach dem Ende der Regierungsbeteiligung sang- und klanglos abgewickelt. Wesentlich lustvoller schildert Wolf im Kapitel 14 die Erfolge linker Schulreformen, ohne den bleibenden »alltäglichen Ärger« aufgrund mangelnder Investitionen in die Bildung zu unterschlagen.
Zum Ende hin birgt das Buch noch Erstaunliches, die durch PDS/DIE LINKE gestärkten Möglichkeiten direkter Demokratie und Volksgesetzgebung werden auf anderthalb Seiten abgehandelt, dem erreichten Wandel der Kultur der inneren Sicherheit, im Umgang mit Migration, in der Gleichstellungsfrage, den Bürgerrechten wird nicht viel mehr Raum gelassen.
In der abschließenden Bilanz fragt Wolf nach Maß und Maßstäben von Erfolg in Regierung. Er nennt den Legitimitätsgewinn der Partei (Gysi), die erfolgreiche Sanierungsarbeit und das neue Entwicklungsmodell Berlins. Aber die Entwicklungsrichtung wird extern bestimmt. Da bleibt nicht viel mehr als »Kontrapunkte…zu setzen« und »Elemente einer anderen…Entwicklungslogik« zu stärken, etwa durch »Stärkung des Öffentlichen«. Enttäuschte Erwartungen scheinen Wolfs Trauma und verantwortlich dafür ist ihm wieder Gregor Gysi. Dazu die schlechte Performance der Bundespartei 2011. Und es gingen von Rot-Rot in Berlin keine Impulse mehr aus, das Momentum war verloren an Grüne und Piraten. Man hatte fertig. Dagegen ist alles Weitere, sind die »strukturelle Dominanz« des größeren Partners, die Konflikte zwischen »Partei im Staatsapparat« und der außerhalb, wohl eher Nebensache, schlussendlich noch zu erwähnen, wie Wolf es pflichtgemäß tut.
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