durchgeführt von Liljeberg Research International im Auftrag der LINKEN
(Gruppendiskussionen im März 2017 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg)
(Veröffentlicht in: Politische Berichte 6-7/2017, S. 18-20)
Wenn wir die eingeladenen Menschen, von denen wir annehmen, dass sie zu unserem weiteren Wählerpotential gehören, darüber diskutieren ließen, wie ihr persönliches Lebensgefühl und die Stimmung in der Region sei, welche Veränderungen sie in den letzten Jahren wahrgenommen haben, welche Problemlagen sie als relevant empfinden und wie sie Parteien und Politiker sehen, so ging es uns dabei keineswegs darum herauszufinden, wie unsere Wählerschaft „tickt“. Die Grundannahme der Untersuchung war und ist, dass sich in diesen Gesprächen etwas erfahren lässt über, sagen wir es einmal so abstrakt, das Weltverhältnis, über die Beziehungen der Befragten zu ihrer Region, zur Wirtschaft, zum Job, zu andern Menschen und eben auch zur Politik. Denn darauf kommt es uns ja an, dass wir das Verhältnis der Leute, denen wir zumindest eine potentielle Nähe zur LINKEN unterstellen können, besser verstehen und unsererseits dann im bevorstehenden Wahlkampf enger gestalten.[1]
Ist man erste einmal an diesem Punkt geistig angekommen, dass es um die Verhältnisse des Menschen, dass es den Menschen um die Qualität ihrer Verhältnisse geht, dann ist man auch soweit zu verstehen, dass damit eben auch gesagt ist: Es geht ihnen nicht zuerst um Ressourcen. Und ich meine: Politisch ist das nicht die Perspektive, aus der die LINKE ihre Angebote formuliert. Da geht es zumeist um die gerechte Verteilung von Ressourcen, zusammengefasst als „Reichtum der Gesellschaft“.
Dass die aktuellen Befunde soziologisch Informierte nicht überraschen werden darf nicht verwundern. Natürlich zeigen sich allgemeine Entwicklungstendenzen auch im Besonderen, in Erfurt, Leipzig, Prenzlau oder Hoyerswerda. Nur zeigen sie sich jeweils in, wie gesagt, ihrer regionalen und gruppenspezifischen Besonderheit in der größeren ostdeutschen Stadt, in der abgehängten Region. Diese Variationen sind selbst intendierter Output, wertvolles sprachliches und bildhaftes Rohmaterial für den Feinschliff politischer Werbung und Wahlkampfkommunikation. Das soll hier nicht diskutiert werden. Mein Punkt ist der: Hegel hat einmal, sinngemäß, gesagt, dass das Bekannte darum, weil es bekannt ist, noch nicht erkannt ist. Es gilt also, das Bekannte und in den Fokusgruppen Bestätigte, nunmehr auch in dem Sinne zu erkennen, dass es für den politischen Prozess, den Wahlkampf, nutzbar wird.
Meine Darstellung ist die folgende: Ich werde vier Befunde darstellen und jeweils eine entsprechende politische Reaktion der LINKEN darauf für den Wahlkampf vorschlagen, ich nenne diese Vorschläge Deals.
Erster Befund
Auch in unseren Gruppendiskussionen wurde, wie in anderen soziologischen Studien der letzten Jahre, immer wieder von dem wachsenden Leistungsdruck und einer Beschleunigung des Lebens berichtet. Es scheint, und das ist der für mich interessante Befund, eine geteilte Erfahrung zu sein, dass eine weitere Steigerung der eigenen Anstrengungen, besonders im Job, nicht weiter zu einer adäquaten Steigerung des eigenen Nutzens davon führt. Etwa so, wie wenn man erkennt, dass eine fortdauernde Steigerung der Düngung eines Ackers nicht zu einer Steigerung der Erträge führt. Man nennt das betriebswirtschaftlich einen negativen Skaleneffekt.
Hinzu kommt, was auch nicht neu, aber seit Beginn des Jahres 2016 deutlich stärker in der Bevölkerung, dabei besonders ausgeprägt in den Alterskohorten ab 45 Jahren ist: Man will den eigenen Wohlstand, materielle Güter usw. nicht weiter steigern, sondern lieber den Besitz erhalten und sichern.[2]
Was hier scheinbar nur als etwas konservative Lebenseinstellung daher kommt ist alles andere als das. Es ist ein gleich doppelter Resonanzverlust. Einmal in der Arbeitswelt, wo Leistungserwartungen, Lohnergebnis und Arbeitsbedingungen weder als so erstrebenswert noch als beeinflussbar erfahren werden. (Resonanz hat diese beiden Aspekte, das Berührt-Sein durch etwas und die Selbstwirksamkeit.) Dann aber auch, dass das gewünschte Ergebnis eigener Anstrengungen, Leistungsbereitschaft ist generell vorhanden, nämlich ein gesicherter Wohlstand in einem weiten Sinne, ein Synonym auch für Sicherheit, nicht in Reichweite kommt. Im Ergebnis wird dieser doppelte Mangel an Resonanz als eine tiefe Verunsicherung empfunden.
Auf der Rückseite des Mondes, im Schatten gewissermaßen, findet sich dieser Befund paradox verkehrt noch einmal. Ein Teilnehmer hat den Begriff von der „gesicherten Armut“ geprägt, aus der man heraus wolle. Wieder arbeiten, leisten und sich was leisten können. Es gibt eine Form von sozialer Sicherheit, die nur die allerwenigsten für erstrebenswert halten und die genauso von der LINKEN auch zu behandeln wäre.
Es ist schon so, dass hier ein Bruch mit der Logik des Kapitalismus erkennbar wird; Wachstum um jeden Preis, wirtschaftliche Effizienz, Profitmacherei stehen als Synonyme für jene resonanzlose Welt eingetrübter Erwartungshorizonte. Und es war interessant zu beobachten, dass dies tatsächlich ein Weltverhältnis ist, es wird diese Art der Interpretation der eigenen Beziehungen auch in anderen Lebens- und Gesellschaftsbereichen erkennbar. Etwa im Gesundheitswesen, von dem es hieß, dass die Steigerung der Wirtschaftlichkeit die negativsten Folgen habe, Pflegenotstand, Hygienemängel, Unterversorgung, Wartezeiten, Überlastung des medizinischen Personals usw. Oder der Ausbau der Innenstädte, Spekulation, Mietsteigerungen, Verknappungen und Gentrifizierung machen aus den ehemals vertrauten, zu einem sprechenden, selbst genutzten städtischen Räumen fremde Areale. Medien, Zeitungen werden durch wirtschaftlichen Interessen untergeordnete Redaktionen zu Objekten ohne Interesse, sie sagen einem nichts und man kann damit selbst nichts mehr anfangen.
Der Verlust von sogen Resonanzachsen, also von gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen man sich angenommen, berührt und als selbstwirksam erfährt, führt, so besonders in Hoyerswerda erlebt, in die Vereinzelung und zu einem allgemeinen Resonanzverlust, heißt: man wird tendenziell unfähig, selbst für sich Resonanz zu suchen, vorhandene Gelegenheiten, aktiv zu werden, sich affizieren zu lassen, zu nutzen. So klagte man hier darüber, dass die durchaus vorhandenen Kulturangebote kaum angenommen, Informationsquellen nicht genutzt werden.
Deal
Der erste Deal sollte für die LINKE darin bestehen, an Leistung gebundene Garantien für einen gesicherten Wohlstand in ihr politisches Angebot für die Bundestagswahl aufzunehmen: Das betrifft die Resonanzachsen Arbeit und Renten (Löhne, Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit, Mindestlohn und Grundeinkommen, Renteneintritt und –Niveau, beispielsweise keine Besteuerung der Renten), Bildung, Kinder und Familie (gleiche Chancen und beste Bildung, auch Erziehung (Werte), den Übergang ins Arbeitsleben, Vereinbarkeit von Familie und Beruf usw.) sowie Wohnen, Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge.
Man sieht hierbei bereits die Pointe der Deals: Es gilt, Resonanz zu erzeugen durch ein Resonanzversprechen. Dass die LINKE dabei mit der SPD konkurriert ist klar. Zwar stellt die SPD mit Martin Schulz auf eine Art Leistungsgerechtigkeit ab, bricht aber nicht mit der kapitalistischen Logik wirtschaftlicher Effizienz vulgo Profitmacherei in privater Wirtschaft wie bei der öffentlichen Daseinsvorsorge. Dafür tut sich die LINKE gelegentlich mit dem Leistungsbegriff schwer, Rechte und Ansprüche werden eher als voraussetzungslos zu gewährende formuliert. Beide Einseitigkeiten werden den Erwartungshaltungen, den Resonanzerwartungen in unserem Potential nicht voll gerecht.
Zweiter Befund
Unser zweiter Befund betrifft nun das Verhältnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den GD im Osten, noch einmal: LINKEN-Potential, zur Politik, zu Parteien und deren Personal.
Nehmen wir den politischen Raum einmal als einen Resonanzraum an, also einen Raum des Austauschs, der Beziehungen zwischen Bürgern und Politikern, dann lässt sich auf der Grundlage der GD sagen, dass darin eine beunruhigende Ruhe herrscht. Der politischen Öffentlichkeit als prominent geltende Personen der Politik „sagen mir nichts“, ebenso wenig wie die etablierten Parteien. Sie berühren mich nicht, man kann das beinahe im Wortsinne nehmen, sie sind unsichtbar und unnahbar; sie machen nichts mit mir.
Dem entspricht, dass der politische Raum als einer außerhalb seiner selbst und als durchdrungen von Selbstreferenzialität wahrgenommen wird; gefüllt mit Politikern die sich vor allem um sich selber kümmern.
Aber dagegen stehen wiederum jene Befunde einer ganz starken Resonanz, negativ oder positiv, die AfD natürlich, Politikerrinnen und Politiker wie Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht oder Oskar Lafontaine von der LINKEN, Frauke Petry und Björn Höcke von der AfD, der Freiherr zu Guttenberg, Hannelore Kraft, Ursula von der Leyen, Angela Merkel neben einigen wenigen anderen werden genannt.
Was löst genau diese Resonanzen aus? Im Bericht zu den GD heißt es, es seien die sogen. Soft Skills, also „…Ausstrahlung und die Vermittlung des Gefühls, sich auch tatsächlich für die Interessen der BürgerInnen einzusetzen/einer von „uns“ zu sein, Zuhören, Glaubwürdigkeit.“ Nahe kommen, Hingehen, aber auch eine Existenz als Paria, das Außenseiter-Dasein innerhalb der Eliten, das Zeigen menschlicher Schwächen und das rechtliche Fehlen; man verzeiht gern auch Kriminelles wie Plagiate.
Betrachtet man die genannten Gründe für eine Entfremdung der Politik von den Bürgern, dann stoßen wir auf den kollektiven Befund, dass diese Politik nicht der Rationalität des Handelns und Verhaltens unterliegt, welche von den Bürgern verlangt wird und der diese auch gern folgen. Der Vorwurf lautet, dass „die da“ in der Politik ein gänzlich anderes Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Kompetenz haben als man selbst; Politiker haften nicht wie sonst jeder für die Folgen eigenen Tuns, sie arbeiten zuvörderst in eigenem Interesse anstelle im Auftrag der Bürger, Transparenz ist ihnen ein Greul. Resonanz, so ließe sich daraus lernen, hat auch etwas mit Gleichheit der Maßstäbe des Handelns, mit Reziprozität zu tun.
Resonanzfreie, politikfreie Räume und der empfundene Mangel an Reziprozität in der Beziehung der Politiker zu den Bürgern werden als Verlust von gewohnter Ordnung, von Werten und Tugenden erlebt. Der Befund wird in andere Lebensbereiche übertragen, öffentliche Einrichtungen zumeist, besonders Schulen, Polizei und Behörden, dann aber gleich kommen die öffentlichen Räume, die als unsicher erlebt werden. Bei der Ursachenzuschreibung pendelt das linke Potential zwischen der Diagnose Autoritätsverlust und mangelnder Selbstverantwortung.
Deal
Parteien als Organisationen entziehen sich generell dieser Rationalität individuellen, personalen Handelns und es liegt daher nahe, in einem sich nicht nur bevölkerungsmäßig sondern auch politisch entleerenden Raum wie Ostdeutschland wieder für mehr Resonanz zu sorgen – durch die dafür infrage kommenden Personen der LINKEN. Diese könnten eben auch das Kunststück fertig bringen, die Sehnsucht nach Autorität zu befriedigen und den Impetus für eine stärkere Verantwortungsübernahme aufzunehmen und zurück zu geben. Repräsentation und Empowerment könnten Menschen aus unserm Potential in den Persönlichkeiten der LINKEN als politische Charakterzüge wahrnehmen. Personalisierung täte gut im Wahlkampf, es sollte dann aber auch genau diese Erwartung von Leistung und Kompetenz, Verantwortung und Transparenz „bedient“ werden; wir könnten beispielsweise für eine neuartige Haftung von Topmanagern in Wirtschaft und Politik plädieren.
Dritter Befund
Während in unseren GD im Herbst 2016 in NRW und Schleswig-Holstein die Erfahrung eines Rückzugs des Staates aus vielen Lebensbereichen artikuliert wurde und die entsprechende Forderung, der Staat solle sich wieder mehr kümmern, um Sicherheit, um Renten, Um Arbeitsplätze, Bildung usw., mit einer diffusen Erinnerung an „gute alte Zeiten“ (so der Bericht zu den GD) verbunden schien war bei den GDs im Osten so etwas wie eine „Systemdistanz“ zu spüren. Häufige Bezugnahmen auf einzelne Gegebenheiten der DDR (Bildung, Gesundheit, Autorität usw.) bei gleichzeitiger Distanzierung vom Ganzen korrespondierten mit entsprechenden Kritiken aktueller Zustände in Verbindung mit deutlich systemkritischen Urteilen zum Kapitalismus und zur EU, festgemacht an deren Profitorientierung, Defiziten gelebter Demokratie, der EU als Fehlkonstruktion, dem Euro usw..
Gerade Teilnehmer aus den Generationen, die die Wende bewusst erlebt haben, aber auch jüngere Pbn zeigten schwache Bindungen an das gegenwärtige Gesellschaftssystem in dem Sinne, dass man um seine Vorläufigkeit weiß. Schwache Bindung bedeutet also nicht einfach geringe Identifikation oder niedrige Zustimmungswerte zu Demokratie, Marktwirtschaft o.ä. Nachhaltige oder vielleicht auch nur langzeitige Erfahrungen mit mehreren Gesellschaftsordnungen lassen für manche ein „zweites Systemversagen“ durchaus als im Bereich des Möglichen stehend zu.
Deal
Eine Konsequenz dieser Vorläufigkeit im Osten scheint, dass jedes System, vulgo jede staatliche, politische und wirtschaftliche Ordnung durch Leistung überzeugen muss. Diese Leistungen erbringen in den Augen der Bürger immer Menschen, Politiker. Es wäre darum besonders im Osten naheliegend für die LINKE, die Neigung, sich eher an Personen als an Institutionen, Parteien etwa zu binden, durch verstärkte Personalisierung zu beantworten. Neben, so möchte ich es ausdrücken, die leistende Verwaltung sollten linke Politiker als „leistende Politiker“ treten. Im Wahlkampf könnte durch ein persönliches Leistungsangebot politische Resonanz erzeugt werden.
Vierter Befund
Der vierte Befund aus den GD im Osten ist ein markanter Mangel an Resonanz innerhalb der ostdeutschen Gesellschaft. Ich habe es spontan die „Unsichtbarkeit der Erfolgreichen“ im Osten genannt. In allen GD hatten wir auch Menschen, denen es nach eigenem Bekunden gut ging, die erfolgreich Beruf und Familie meistern, die zur ostdeutschen Mitte zählen. Im Fokus der Gespräche standen sie kaum. Die drehten sich vielfach um die Probleme der sogen. Modernisierungs- und Wendeverlierer, der Zurückgelassenen und die Schwächen der von Abwanderung und Deindustrialisierung betroffenen Regionen des Ostens. Es müsse doch auch Menschen geben, denen es gut ginge, irgendwer müsse sich doch die hohen Mieten in der Innenstadt und die neuen Häuser dort am Rande der Stadt leisten können, wurde sinniert.
Deal
Dieser Diskurs mangelnder ostdeutscher Solidarität und Resonanz, so scheint es mir, hat eine gewisse Entsprechung in unseren Politikangeboten bis zum Wahlprogrammentwurf. Die ostdeutsche Mitte wird kaum mit resonanzfähigen Angeboten bedient, die deren eigene unmittelbare Interessen berühren. Natürlich sind auch ostdeutsche Situierte im linken Potential mit Themen benachteiligter Regionen und Vereinigungsunrecht anzusprechen. Praktisch haben sie aber als KMU, als Start-ups, als Angestellte, Wissenschaftler oder Beamte mit eigenen Problemen und Hindernissen zu kämpfen. Breitband, Verkehrsverbindungen gen Osten, Arbeitskräfte, Nachwuchs, Infrastruktur in ländlichen Regionen, Bürokratie u. v. a. m. wird von einer leistenden Verwaltung und, hier käme die LINKE in Spiel, von leistenden Politikern erwartet. Hier, so scheint es, wäre im Wahlkampf ein Resonanzraum überhaupt wieder zu eröffnen.
[1] Ich verweise für den soziologischen Kontext meines Kommentars auf die Arbeiten von Hartmut Rosa (Jena), von dem ich das Resonanzkonzept übernommen habe. In aller Kürze: http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/beschleunigt-in-den-untergang/-/id=660374/did=16370138/nid=660374/394ndl/
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/allensbach-analyse-die-angst-vor-veraenderung-14035557.html
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