Für Gott, Bundespräsident und Vaterland!

Kurzanalyse des Bundesparteitages der CDU vom 14. bis 16. November in Karlsruhe

In: Politische Berichte 12/2010  PDF: http://www.gnn-verlage.com/PolBer/2010/2010-PB12.pdf, S. 9

 

Die Einschätzung des Ergebnisses des Parteitages durch die Presse ist übersichtlich: Angela Merkel hat ihre Gegenspieler verabschiedet und nun eine rundum loyale Führung um sich. (1) Sie hat, gleichermaßen emotional wie sachlich, der Partei einen klaren Kurs gewiesen, sie hinter sich vereint. (2)

Die politische Geschichte, die sie in ihrer Rede vortrug, hat es in sich. Sie beginnt mit der Erwähnung des Papstes Johannes Paul II, setzt mit der Würdigung des Altbundespräsidenten Horst Köhler fort, um innerhalb weniger Minuten zum deutschen Vaterland zu kommen. Dieser Dreiklang: das „C“, staatliche Autorität in Person und das Vaterland, bilden die Klammer der ganzen Erzählung von der CDU-Politik Angela Merkels. Das Muster ist bekannt, unter andern Umständen hieß es: Für Gott, Kaiser und Vaterland! Nun heißt es: Für Gott, Bundespräsident und Vaterland! Was damit erkennbar werden sollte ist ein deutlich autoritärer Politikstil. Respekt vor dem Staat, seinen Institutionen und Repräsentanten sei von größter staatspolitischer Bedeutung. Politisches Handeln sei „in sich begründet“, also vom christlichen Wertbezug, Glauben, von Gott her gedacht und habe ein klares Ziel: das Wohl des Vaterlandes. Der autoritäre, fast patriarchale Stil kommt auch darin zum Ausdruck, dass Merkel von ihrer Politik behauptete, sie sei zunächst umstritten, werde sich aber später als notwendig erweisen und die Menschen überzeugen. Man kann das schwerlich eine liberale demokratische Haltung nennen.

Hinzu kommt eine interessante Abgrenzung. Merkel hat die machtpolitischen Optionen der CDU auf die schwarz-gelbe reduziert, indem sie einer neuerlichen großen Koalition eine ebensolche Absage erteilte wie einer schwarz-grünen, auch „Jamaika“ komme nicht in Frage. Damit hat sie stark auf die von Grünen und SPD seit Monaten inszenierte Lagerdebatte geantwortet. Das wäre an sich nicht weiter spannend, könnte als machtpolitisches, taktisches Kalkül abgetan werden, wenn Merkel das gegnerische Lager nicht der Verantwortungslosigkeit geziehen und damit quasi als vaterlandsverräterisch bezeichnet hätte („Die SPD ist auf der Flucht“, „Die Grünen sind ständig gegen etwas … das Gegenteil von bürgerlicher Politik“). So aber ist diese Kritik an der Opposition ein weiterer Baustein und zugleich ein Beleg für den neuen autoritären Stil und Begriff von Politik, Merkel erhebt sich damit über die Parteien wie weiland Wilhelm II.

Dieser autoritäre Gedanke zieht sich durch die ganze Rede. Es ist von Kommentatoren richtig bemerkt worden, dass Merkel sich auf diesen Parteitag als Konservative inszeniert hat. Sie hat das getan, indem sie CDU-Politik als wurzelnd in der Geschichte der CDU einerseits, im Christentum andererseits beschrieb. Daran ist interessant, dass sie sich eben nur auf die eigene, gewissermaßen dynastische Geschichte beruft und eben nicht auf die des Landes oder gar der Republik.

Der autoritäre Gedanke prägt auch die gesellschaftspolitische Ordnungsvorstellung Merkels. Deutschland ruhe auf drei Säulen. Erstens auf einer zukunftsfähigen wirtschaftlichen Basis. Hier wird das Wohl des Vaterlandes klar an die wirtschaftliche Stärke in der globalen Standortkonkurrenz, an die Exportorientierung gebunden. Zweitens gehe es um die Sicherheit der Bürger. Drittens gelte es den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken: Volk und Familie, Gemeinschaft, die darüber hinaus auf dem Ehrenamt und auf den Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität basiert. Wobei Subsidiarität eben obrigkeitlich von Merkel so interpretiert wird, dass es darauf ankomme, die Entscheidungen nahe bei den Menschen zu treffen. Also nicht sie selbst, sondern für sie. Dass dies nicht nur Rhetorik ist zeigt der Antrag „Faire Chancen für jedes Kind!“, in dem gegenüber den sozial Schwachen eine patriarchale Haltung, die mehr Kontrolle und nicht Emanzipation beinhaltet, eingenommen wird.

Wenn die Beobachtung richtig ist, dass es eine länger andauernde Erosion der Bindungen von Wählerschichten zur CDU gibt, sich die emotionsgeladenen Konfliktlinien der Modernisierung quer durch die CDU ziehen, die Mittelschicht Tendenzen der Polarisierung, gar der ideologischen Spaltungen zeigt, Bürgerinnen und Bürger Orientierung und Engagement jenseits der Parteien suchen (und finden!), besonders etwa in Baden-Württemberg, wo der Modernisierungskurs stärker als anderswo die Konservativen verunsicherte, dann scheint die Belebung der großen autoritären Ordnungsvorstellung durch die CDU plausibel. Allerdings sollten gleichzeitig bei liberaler demokratisch Gesinnten die Alarmglocken läuten.

(1) Gewählt wurden als Vorsitzende A. Merkel, als Generalsekretär H. Gröhe, als StellvertreterInnen U. von der Leyen, A. Schavan, V. Bouffier, N. Röttgen. Dem Präsidium gehören an: E. von Kladden, W. Schäuble, Ph. Mißfelder, St. Tillich, K.-J. Lauermann, A. Kramp-Karrenbauer, J. Glöckner.

(2) Der Parteitag fasste folgende Beschlüsse:

  • Zukunft der Bundeswehr (Kern: Aussetzung der Wehrpflicht)
  • Faire Chancen – für jedes Kind! (Kern: Deutschland braucht jedes Kind)
  • Verantwortung Zukunft (Ein Beschluss zwischen Programm und Arbeitsplan, über 2013 hinaus weisend. Kernpunkte sind: Nachhaltiges Wirtschaften und Wachstum/Soziale Marktwirtschaft, Nachhaltige Energiepolitik, Nachhaltige Mobilität, Bildungsrepublik Deutschland, Förderung der Familien, Herausforderung Demographie annehmen, Stärkung Kommunen, Zuwanderungs- und Integrationspolitik, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Digitale Kultur)
  • Präimplantationsdiagnostik (Ablehnung PID)

Weitere Beschlüsse brachten die Aufnahme der Leiharbeit ins Arbeitnehmerentsendegesetz, Bekämpfung der Altersarmut durch Stärkung der Tarifautonomie, Allgemeinverbindlichkeits-erklärung von Tarifverträgen sowie Branchenmindestlöhne über das Arbeitnehmerentsendegesetz. „Und die Anhebung der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung darf nicht zu einer verdeckten Rentenkürzung führen.“


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