Mehr Europa, weniger Europa?

(Veröffentlicht in: FDS-Newsletter vom 5. Mai 2013)

 

Analytisch sehe ich eine doppelte Konfliktlinie. Einmal zwischen dem hegemonialen, neoliberalen Europaprojekt, dass ich als das rechte Projekt bezeichnen will und dem linken programmatischen Projekt für Europa. Beide Projekte haben einen grundlegenden Unterschied und eine ebenso grundlegende Gemeinsamkeit.

Der Unterschied besteht entlang der alten Konfliktlinie Markt – Staat. Die Gemeinsamkeit besteht im erstrebten „Mehr Europa”.

Das rechte, aktuelle Projekt will eine Homogenisierung der Gesellschaften als marktförmige, das linke Projekt will eine Homogenisierung der Gesellschaften als staatsförmige. Ich glaube, so kann man das ausdrücken. Das rechte Projekt will wie das linke die Ungleichheiten kontrollieren und in den Griff kriegen, allerdings will das linke Projekt das egalitärer, das rechte elitärer.

Beide Projekte wollen die politische Union, weisen dem Staat freilich unterschiedlichen Rang zu. Beide Projekte wollen die Wirtschaftsunion und die Sozialunion, interpretieren das jeweils, entsprechend des jeweiligen Fixpunktes Markt oder Staat, anders. Die Währungsunion und also der Euro ist dabei für beide Projekte alternativlos.

Um den zweiten Konflikt, der sich der Rechts-Links-Verortung entzieht, zu erkennen, bedarf es der Annahme, dass die rechte Strategie scheitern wird und die linke Strategie vollkommen chancenlos sein dürfte. Diese Annahme begründet den aktuellen Streit innerhalb der Linken wie der Rechten. Wie das? Die Annahme des Scheiterns der aktuellen Krisenbewältigungspolitik und damit des Ganzen führt einigermaßen folgerichtig zur Frage, ob denn ein geordneter Rückbau für Europa nicht die weniger riskante (wirtschaftlich, machpolitisch, kulturell aus der Sicht der Eliten) Strategie sein könnte. „Weniger Europa” ist der Code dafür. Diese Strategie ist breit aufgefächert auf der bürgerlichen Seite, das geht von rechtsextremen nationalistischen Varianten über konservative bis zu liberalen. Das begründet des aktuellen Sammlungscharakter der Bewegung.

Warum sollte diese Option uns als Linke etwas angehen, könnte man fragen. Nun, es ginge uns etwas an, wenn wir ebenfalls die linke Option als politisch unrealistisch bewerten würden. Genau das hat OL ja getan. Dann wäre „Weniger Europa” aber praktisch mehr Europa als im Falle des Crashs von Europa übrig bliebe. Soviel funktionierende Demokratie auf allen Ebenen noch da ist, jetzt, vor dem Crash, retten; Ungleichheiten nicht weiter wachsen lassen; Heterogenitäten bewahren und produktiv machen, gegen die Standortlogik der letzten 20 Jahre, Zeit und Handlungsfreiheiten für viel mehr soziale Subjekte zurückgewinnen – das wären so in etwa die linken Bestimmungen des „Weniger Europa”. Der Umbau des Währungssystems bevor es zusammenfällt scheint aus dieser Perspektive fast eine evidente Sache zu sein.

Innerhalb der Linken ist es in letzter Instanz der Blick in den Abgrund, den einige tun, andre nicht, der die politische Entscheidung bestimmt. Ich registriere auch die diffuse Hoffnung, es könnte eine dritte Variante geben, mit Rotgrün etwa in Deutschland: Wird schon nicht so schlimm werden, warum denn vom Worst Case ausgehen und damit politisch alles riskieren? Am Ende als Defaitisten und Looser dastehen?

Wie gesagt, ich mag das alles gar nicht politisch bewerten und weiß nicht, was davon anzunehmen ist. Versuche nur die Struktur der Auseinandersetzung, der Fraktionierung der Herrschenden und der linken Reaktionen darauf zu beschreiben.


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