Mit LINKS regieren? Eine Rezension

(veröffentlicht in: Disput Oktober 2015, S. 9)

 

Bodo Ramelows einleitender Beitrag in »Mit LINKS regieren? Wie Rot-Rot-Grün in Thüringen geht« ist mehr als ein Grußwort. Der linke MP beschreibt mit Beispielen aus den ersten Monaten r2g (Rot-Rot-Grün) und er begründet zudem systematisch, warum es nicht egal ist, wer regiert. Dass man nicht alles anders, aber manches besser mache, dass es einen Dreiklang gebe von Gestalten, Vorsorgen und Konsolidieren, dass wieder regiert werde usw. – Derartiges mag man auch von Politikern anderer Couleur schon gelesen haben. Neu ist, zumindest für die Länderebene, erstens der Anspruch des Regierens aus einem politischen Programm heraus: »Regieren als Teil eines politischen Konzeptes« (S. 15). Als Juniorpartnerin war DIE LINKE zwar für ihren Part in der Lage, diesen Anspruch zu behaupten, nicht jedoch für eine Landesregierung. Überraschend auch, zweitens, der hohe Anteil symbolischer Politik. r2g will Zeichen setzen, Signale aussenden, wo die Möglichkeiten zur Veränderung nicht in der eigenen Hand sind, die Macht nicht hinreicht. Man will, drittens, so eine stark diskursive Politik machen; intern einen vertrauensvoll-kooperativen Politikstil pflegen und in der Gesellschaft Diskussionen befeuern, ja den »Kampf um die Grundgewissheiten einer Gesellschaft« führen (S. 15) Wobei bei mir die Frage bleibt, wie sich mit einem solchen Politikstil der Parteienwettbewerb auf kommende Wahlen hin organisieren und führen lässt.

Liest man dann die Berichte über die Tolerierung in Sachsen-Anhalt (das sogenannte Magdeburger Modell), die erste und zweite Koalition in Mecklenburg-Vorpommern, die knapp zehn rot-roten Berliner Jahre und den Brandenburger Weg von Rot-Rot, so wird erstaunlich klar, dass in Thüringen alle Parteien von r2g ihre Lektionen gelernt haben. Und anders herum: Matthias Gärtner für Sachsen-Anhalt, Peter Ritter für Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Falkner für Brandenburg, Carola Bluhm und andere für Berlin sowie Janine Wissler für Hessen beschreiben jeweils schmerzhafte Lernprozesse mit Erfolgen und Niederlagen und doch stets demselben Ausgang: Der Herausforderung einer Regierungsbeteiligung als Option kann und muss sich DIE LINKE in den Ländern stellen. Dieses Buch über die Thüringer Erfahrung wird allen helfen, diese Aufgabe zu lösen.

Die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger hoffen auf vagabundierende revolutionäre Situationen in Europa, wo, gestern in Griechenland, morgen vielleicht in Spanien und übermorgen dann, vielleicht, auch mal in Deutschland, die Mehrheit der Bevölkerung der kapitalistischen Gesellschaft ihre Zustimmung entzieht und in einer Massenmobilisierung die Linke an die Regierung bringt. Und solange die revolutionäre Situation ante portas ist, sollte DIE LINKE für soziale Besserungen und Demokratisierungen arbeiten, in Opposition oder in Regierung. Sie ist dazu prädestiniert, ja, so Kipping und Riexinger, DIE LINKE ist heute die einzige demokratische Partei innerhalb der deutschen Postdemokratie. Ihr obliegt es also, nach Besetzung der Kommandobrücke die Demokratie auf neue Weise aufzurichten.

Der nd-Chefredakteur und bekennende r2g-Fan Tom Strohschneider sieht am Horizont eine fünfte Phase dieser Beziehung, die mal Tragödie, länger Komödie, gar Farce war. Dazu müssten, so lese ich das, sich die politischen Kräfte aller Parteien und auch der Gewerkschaften entlang der tatsächlichen gesellschaftlichen Konfliktlinien neu gruppieren – jenseits der alten Gehäuse. Gabi Zimmer diagnostiziert das ähnlich für die europäische Ebene linker Kooperation, speziell im Europäischen Parlament.

Aber all das über r2g, in Europa, im Bund und auf Länderebene, hat man schon irgendwann einmal irgendwo gelesen. Dafür muss man das Buch nicht lesen. Das wirklich Spannende sind die Selbstauskünfte derer, die seit Jahren auf dem »Thüringer Weg«, der zur Regierung Ramelow führte, vorn unterwegs waren. Ehemalige Landesvorsitzende wie Dieter Hausold und Knut Korschewsky, die amtierende Chefin Susanne Hennig-Wellsow, souverän Abläufe und Vorgänge schildernde AktivistInnen der LINKEN liefern ein einmalig so zusammengestelltes, dabei knapp gefasstes Material zur Entwicklung der Thüringer Politik, der Geschichte der LINKEN im Land, zum parlamentarischen Geschäftsbetrieb, zur Rolle der Medien und zu vielem anderen mehr.

Der Ton durchs Buch hindurch ist durchweg hoffnungsvoll, auch bei den prominenten Stimmen aus SPD und den Grünen, das Ganze ist freilich eine lustvolle Apologie von r2g. Da tut der kritische Beitrag des Gewerkschafters Sandro Witt regelrecht gut, ihm ist dafür zu danken.

Ein gelungenes Buch zur Zeitgeschichte, zugleich ein Dokument derselben. Empfehlenswert.

 

 

Mit LINKS regieren? Wie Rot-Rot-Grün in Thüringen geht

Herausgegeben von Susanne Hennig-Wellsow

VSA Verlag, 2015

208 Seiten

16,80 Euro


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