(Veröffentlicht in: Disput 1, Januar 2016, S. 34)
»Opposition ist Mist!«, meinte einst der SPD-Politiker Franz Müntefering. Man hat diesen Satz vielfach nicht richtig verstanden, was wohl auch mit der typisch Sauerländer Art des sprachlichen Ausdrucks zu tun gehabt haben mag. Nein, dass Regieren schöner, besser, lukrativer, wirkungsvoller, also auf alle Fälle hochwertiger als Opponieren sei, das allein steckte nicht in dem knappen, drögen Hauptsatz. Denn es hat ja mit einer langen Entwicklung von Form und Funktion parlamentarischer Opposition in Deutschland zu tun, dass, ja dass heute Opposition halt Mist ist. Um nur einige Entwicklungen zu nennen verweist der Rezensent auf den die Öffentlichkeit regelmäßig demoralisierenden Vorgang, dass sich die Parteien in Wahlkämpfen als zueinander im schärfsten Gegensatz stehend präsentieren, um tags darauf händeschüttelnd Koalitionsvereinbarungen zu unterzeichnen. Derartiges Oppositionsgetue bringt immer wieder und mittlerweile nachhaltig die Bevölkerung in Opposition zu ihren politischen Institutionen selbst.
Auch führt die Tatsache, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, in der es der breiten Mehrheit der Bevölkerung mit Blick auf die Wahlen im Grunde allein darum geht, dieser eine »reichlichere Ausstattung mit den gewünschten Lebensgütern« zu sichern, die Parteien also mitteilen müssen, wie der nationale Kuchen geschnitten und verteilt werden soll, nicht nur dazu, dass die des Brotes Bedürftigen jedes Interesse am Parlamentarismus verloren haben, sondern auch zum offenbaren Verlust von Spielräumen, die ernsthaft durch politische Alternativen ausgefüllt werden könnten.
Nimmt man als Phänomen hinzu, dass das Grundgesetz Opposition ausschließlich den Parteien zubilligt, indem es das Parlament, den Bundestag, durch Ausschluss der Möglichkeit der Direktwahl eines Gegenspielers, des Bundespräsidenten, arg erhöht, so versteht man: Münteferings vermeintlich übellauniger Ausspruch enthält auf kongeniale Art und Weise eine Kritik des Zustandes parlamentarischer Opposition hier und heute.
Nun also eine Festschrift anlässlich einer 25 Jahre währenden Opposition der sächsischen LINKEN im nämlichen Landtag.
Knapp einhundert Beiträge von halb so vielen Autorinnen und Autoren füllen den bebilderten Band, der Almanach, Lesebuch und Chronik gleichermaßen ist. Es gibt darin Interviews mit den bisherigen Fraktionsvorsitzenden, gelungene Porträts linker Parlamentarier/innen, und es wird erinnert: »Die nicht mehr sind« lautet die Überschrift des Kapitels. Lesenswert auch die Selbstauskünfte, die Bernd Rump 2004 zur PDS einholte und die Auskunft geben über verschiedene Wege nach der Wende 1989 hin zur und in der PDS. Interessante Reden eines Vierteljahrhunderts linker parlamentarischer Opposition finden sich versammelt, ebenso Einblicke ins Innenleben einer Landtagsfraktion.
Dem eigentlichen Herausgeber Bernd Rump ist es zu verdanken, dass ein kleines Kapitel zu Kulturprojekten Platz in der Festschrift gefunden hat. Der sächsischen PDS war und der LINKEN ist eigen, dass sie sich auch als ein kulturelles Projekt verstehen wollte und will. Parlamentarische Opposition als Teil einer breiteren politischen Kulturbewegung zu praktizieren war und ist eine angemessene Antwort auf Münteferings Kritik kujonierter und kupierter Opposition in Deutschland. Die andere Antwort der sächsischen Genossinnen und Genossen liefert die im Band enthaltene Erinnerung an einen grundsätzlichen Text von 1999: »Opposition richtig machen«. Im Kern wird darin der Anspruch an eine linke Opposition formuliert, einer Regierung ebenbürtig zu sein – und das nicht nur im Einzelnen, sondern dadurch, dass man einen Sinn fürs Ganze entwickelt und »eine alle einzelnen Maßnahmen lenkende Generalkonzeption vom Gemeinwohl«[1] formuliert. Erinnert sei an ein Papier mit dem etwas wunderlichen Namen ALEKSA (Alternatives Landesentwicklungskonzept für den Freistaat Sachsen, 2004). Beiträge zum eigentlichen Geschäft parlamentarischer Opposition bieten Gelegenheiten zu prüfen, inwieweit man den eigenen Ansprüchen gerecht geworden ist.
Der Rezensent bedankt sich für die Festschrift, gratuliert zum Anlass und wünscht für das nächste Vierteljahrhundert ein gutes Gelingen.
Opposition im Wandel, Herausgeber: Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, 2015, 408 Seiten
[1] Landshut, Siegfried: Formen und Funktionen der parlamentarischen Opposition (1955). In: Ders., Politik, Grundbegriffe und Analysen, Verlag für Berlin-Brandenburg 2004, Band 1, S. 461
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