Der CSU-Parteitag: die Union vor den Sondierungsgesprächen

(Gemeinsam mit Martin Fochler, München; veröffentlicht in: Politische Berichte 1/18, S. 20/21)

I. Die CSU hat auf ihrem Parteitag am 15./16. Dezember in Nürnberg die Führungsfrage neu geregelt und einen Generationenwechsel eingeleitet. Horst Seehofer ist im Amt als Parteivorsitzender bestätigt worden, Markus Söder ist der Nachfolger als Regierungschef. Zu stellvertretenden Parteivorsitzenden wurden erstmals drei Frauen, Melanie Huml (42), Dorothee Bär (39) und Angelika Niebler (45) sowie Kurt Gribl (43) und Manfred Weber (45) gewählt.

Man missversteht diese Lösung an der Spitze der Partei gründlich, wenn man sie, wie es medial gern getan wurde, auf einen schlichten Machtkampf zwischen zwei Alpha-Tieren reduziert. Die CSU war immer die Bayernpartei, seit den 60er-Jahren allein regierend, mit einer Unterbrechung 2008 bis 2013, als sie auf die Hilfe der FDP angewiesen war. Das politische System im Freistaat hatte sich entsprechend in Richtung einer Mehrheitsdemokratie entwickelt. Was eben auch bedeutete, dass politisch ausgehandelt wurde innerhalb der CSU, nicht zwischen den Parteien.

So hatten sich in Bayern in letzter Zeit jene Konfliktlinien, die in ganz Deutschland und darüber hinaus auch quer durch Europa erkennbar wurden, umschrieben mit Begriffspaaren wie: Modernisierungsgewinner und -verlierer, Kosmopolitiker und Kommunitaristen, Globalisierungsbefürworter und -skeptiker, in Spannungen zwischen verschiedenen Milieus und Regionen manifestiert, für die dann eben auch Seehofer und Söder standen. Seehofer, Katholik, hat eher christlich soziale Wurzeln, Söder ist eher zum protestantisch-nationalistischen Lager zuzurechnen. Auch wenn sich einfache Zuordnungen und entsprechende politische Ableitungen verbieten, so ist doch von unterschiedlichen Haltungen etwa zu Europa, zu Fragen der sogenannten Leitkultur usw. auszugehen. Man darf die kulturell-historischen Bezüge der jeweiligen Politiker aber auch nicht gering schätzen in einer Partei, die gern und ernsthaft von den „vier bayerischen Stämmen“ redet.

II. Die CSU hat sich mit ihrem Parteitag ebenso für die Sondierungen mit der SPD wie für die kommende Landtagswahl aufgestellt. Horst Seehofer wird als ausgewiesener Sozialpolitiker versuchen, mit der SPD in Berlin zurechtzukommen. Für Bayern hat man mit Markus Söder einem völkisch orientierten Mann das Ruder in die Hand gegeben. Beide sind, das ist zu beachten, dabei auf Bewährung: Kann der Verhandler Seehofer die CSU in eine Regierungskoalition führen? Kann Söder Landtagswahlen gewinnen? Vom Erfolg des einen hängt der des andern ab. Sie sind aufeinander angewiesen wie bislang nie. Der Charakter einer Volkspartei in einer mehrheitsdemokratischen Gesellschaft wie der Bayerns prädestinierte deren politische Unternehmer immer für einen speziellen Realismus und Pragmatismus, wozu auch die Fähigkeit zum innerparteilichen Konsens gehörte, auch wenn das regelmäßig unter derber Folklore männlichen Fingerhakelns verborgen wurde.

III. Die CSU ist die letzte wirkliche Volkspartei in Deutschland. Sie ist immer noch in den verschiedenen Schichten, Generationen und Regionen tief genug verankert, um hinreichend Kenntnis von Problemen und Stimmungen zu haben. So sucht die CSU aus guten Gründen nach Rückbindung bei den christlichen Glaubensgemeinschaften. Sie weiß, dass solidarische Bestrebungen tief verwurzelt sind und die Menschen so leicht nicht nach ethnischen und/oder staatsrechtlich-bürokratischen Kategorien Mitmenschen sortieren mögen. Andererseits fürchten viele die weltlich-kriegerischen Bedrohungen und sind daher bereit zu weitergehenden Ermächtigungen der Exekutive, was den Parteirechten in der CSU in die Hände spielt. Gerahmt werden die Erwägungen der Parteioberen dabei durch die beiden großen christlichen Kirchen in Bayern, die in Sachen Leitkultur und Menschenrechte schon eher links von der Partei stehen und deren Hirten die Funktionäre gelegentlich mit klaren Worten zur Sache Menschlichkeit bedenken.

IV. Nun ist ein Ergebnis des Parteitages, dass sich die Partei wohl nicht länger schicksalhaft an das Ziel der Erringung einer absoluten Mehrheit bei der kommenden Landtagswahl im Herbst 2018 bindet. Das scheint uns nur realistisch, haben doch Grüne einerseits, modern ökologisch ländliche und kosmopolitisch urbane Milieus bindend, sowie die AfD, dem sogenannten rechten Rand der Gesellschaft Heimat gebend, sich ihr politisches Terrain in Bayern dauerhaft gesichert.

V. Die CDU geht, mit der Kanzlerin an der Spitze, in gewohnt ruhigem Gang in die neuen Sondierungen mit der SPD. Für Kommentatoren ist das wieder mal Anlass, das nahe Ende der Ära Merkel und des „Merkelismus“ zu beschwören, was nach so langer Regierungszeit relativ risikofrei und daher billig scheint. Natürlich ist das so, und selbstverständlich warten die um Erbe und Nachfolge Bemühten erst einmal in Geschlossenheit mit Angela Merkel ab. Angela Merkel ist noch mächtig und so folgt sie ihrem politischen Pfad weiter. Das wurde nirgends so deutlich wie bei ihrer Rede auf dem CSU-Parteitag. Sie knüpfte nahtlos am CDU-Wahlkampf an, das Motto ist immer noch, dass man in Deutschland gut und gerne leben können soll. Dafür wolle man sich um die Zukunft von Wirtschaft und Arbeit kümmern und um die Sicherheit der Menschen, die soziale wie die innere. Dafür soll Europa gestaltet werden. Deutschland brauche darum eine stabile Regierung, rasch und in den großen Sachfragen einig. Der Weg, auf dem das für die Union leidige Flüchtlingsproblem gelöst werden soll war ja eben schon im Wahlprogramm beschrieben und so geschieht es: Das Problem wird klein gearbeitet werden: in Afrika belassen und an den Grenzen der EU aufgehalten und im Übrigen in der EU verteilt. Letzteres scheitert offensichtlich, von dem Rest hofft die CDU – wahrscheinlich irrend –, dass es klappt.

Dass für die CDU folgende Personen dem Sondierungsteam angehören ist keine Überraschung:

Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel, Michael Grosse-Brömer, Erster PGF der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (in Vertretung für den erkrankten Generalsekretär Peter Tauber), Volker Kauder, Vorsitzender der Unionsfraktion, BM Peter Altmaier, Mitglied des CDU-Bundesvorstandes, MP Volker Bouffier, stellv. CDU-Vorsitzender, MP Reiner Haseloff, Julia Klöckner, stellv. CDU-Vorsitzende, MPin Annegret Kramp-Karrenbauer, Mitglied des CDU-Präsidiums, MP Armin Laschet, stellv. CDU-Vorsitzender, BMin Dr. Ursula von der Leyen, stellv. CDU-Vorsitzende, Parlamentarischer Staatssekretär Jens Spahn, Mitglied des CDU-Präsidiums, Thomas Strobl, stellv. CDU-Vorsitzender..

Das Bemerkenswerteste an der CDU in der aktuellen Phase ist aus linker Sicht zweierlei: Erstens bleibt die CDU mit der Kanzlerin dabei, dass es keine Notwendigkeit eines wirtschaftspolitischen Kurswechsels gibt; große Investitionsprogramme, etwa um die Klimaziele zu erreichen, sind nicht zu erwarten. Das, zusammen mit der düsteren Gewissheit, dass auch die SPD den ökologischen Umbau nicht zu einem Konzept wirtschaftlicher Entwicklung machen wird, muss uns zu schärfster Opposition gegen eine Groko anfeuern.

Zweitens aber gab es einen erhellenden Moment bei Merkels Rede in Nürnberg: Sie kam, in Auswertung des Wahlschlappe und des strategischen Fehlers im eigenen Wahlkampf, auf die Verwerfungen in Deutschland zu sprechen. In ungewohnter, auch holpriger Sprache erklärte sie die grundgesetzliche Verpflichtung des Regierungshandelns, gleichwertige Lebensverhältnisse zu sichern, zum Ziel einer neuen Regierung. Die dramatisch unterschiedlichen Lebenssituationen in Stadt und Land bei Verkehr, Bildung, medizinischer Versorgung, der Arbeitsplätze, die Unterschiede beim Wohneigentum, der Wertverfall des Häuschens in der Provinz, die unbezahlbaren Mieten in Großstädten – alles noch vor wenigen Wochen von der Kanzlerin im Wahlkampf komplett ausgeblendet, gibt sie dem in Nürnberg Raum. Kaum damit begonnen, schwoll Beifall an, sachte, aber anhaltend. Angela Merkel war irritiert, fragte, ob es über Twitter eine Aufforderung zu applaudieren gegeben habe. Was für ein Missverständnis: Merkel kannte das von ihrer Partei her nicht. Dass die Volkspartei CSU, selbst deren Kader und Aktivisten, für diese sozialen und regionalen Brüche ein tieferes Verständnis hat, der Applaus aus der Seele der Partei aufstieg, kam ihr nicht in den Sinn. Dabei deutete diese Passage ihrer Rede schon an, dass sie sich mit den Fragen, etwa des Mangels an Landärzten, beschäftigt hatte, noch vor dem Urteil des BVerfG zum Numerus Clausus beim Medizinstudium fragte sie, ob es denn sinnvoll sei, Einser-Studenten der Medizin aufs Land schicken zu wollen – unter den nun zugelassenen Studierenden würden sich wohl eher welche finden, die der Provinz etwas abgewinnen könnten.

Diese Passage wie die ganze Rede gab allerdings keinen Hinweis darauf, dass die Kanzlerin die Dimension beider Probleme, des Klimawandels wie der sozialen, kulturellen und regionalen Verwerfungen in Deutschland, begriffen hätte.

Insofern sind die Aussichten für das Land unter einer neuen Groko so trübe wie die Herausforderungen linker Opposition klar.

Nachtrag: Dobrindts Übergriff

Der Vorsitz der CSU-Landesgruppe ist – Fortbestand der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU vorausgesetzt, überwiegend repräsentativ, aber stilbildend. Die Amtsvorgängerin Alexander Dobrindts, Gerda Hasselfeldt, hielt die CSU auf dem Kurs der Kanzlerin – Probleme lokalisieren und, wenn es geht, geräuscharm abräumen. Nicht so Dobrindt, der am 6. Januar in der „Welt“ eine Überwältigungsstrategie propagiert:

„Unser Land war nie links, sondern immer bürgerlich. Auf die linke Revolution der 68er und die Dominanz der Eliten muss eine konservative Revolution der Bürger folgen.“

Die großen Veränderungen das Alltagslebens, markant der Rückgang körperlicher Schwerarbeit und steigender Bedarf an schulisch und akademisch vorgebildeten Arbeitskräften, die Schritte zur politischen und sozialen Gleichstellung von Frauen und Männern, und nicht zuletzt der Wunsch nach Völkerverständigung, lösten streitige Debatten aus, die alle Schichten und Generationen berührten und schließlich auf dem Wege von Wahlen und Abstimmungen die Staatsaufgaben den veränderten Verhältnisse anpasste; schrittweise, oftmals erst im Takt der Generationswechsel, auf den Wegen der Demokratie, die sich dabei festigte.

Im übrigen waren es auch nicht die Eliten, Richter, Staatsanwälte, Professoren, Bischöfe die auf Veränderungen drängten. Innerhalb des Herrschaftsgefüges war es ein erhebliches Risiko für Status und berufliche Existenz, für mehr Demokratie, Teilhabe, Selbstbestimmung, zu werben. Das ist heute – oder sollte man sagen zurzeit – nicht mehr so. Die Idee der offenen Gesellschaft wird von den Vielen geteilt

Dagegen richtet sich Dobrindts Aufruf. Er spricht als Repräsentant politischer Macht und bietet sich den reaktionären Bewegungen, die sich an die Grund- und Menschenrechte nicht gebunden fühlen, als Anführer an. Ein solcher Kurzschluss ist ein Risiko für die Demokratie, aber auch für die CSU. Im Punkt 1 seines Manifestes steht (fett wie im Original):

„1. Der christliche Glaube ist das Fundament unserer Politik. Wir stehen für die Bewahrung der Schöpfung, den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die Verteidigung unserer christlich-abendländischen Leitkultur.“

Etwas hinterrücks hebt A.D. die ch. a. L. unter die Glaubensinhalte. Die CSU ist keine Kirche. Ihre Programmatik bindet die Partei in – wohlweislich – loser Kopplung an das „christliche Menschenbild“ bzw. „Weltbild“ oder noch vorsichtiger an „Werte“. An Dobrindts übergriffiger Strategie werden die Kirchen, Gläubige, Kirchenleuten, Theologie wenig Freude haben, nützlich ist dieser Ansatz eigentlich nur für die AfD, wenn die CSU sich darauf einlässt. – Nach neuesten Nachrichten wünscht sich eine Mehrheit in Bayern nach den Landtagswahlen eine schwarz-grüne Koalition. Da wäre Dobrindt eine Fehlbesetzung.


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