(Veröffentlicht in: Ganztägige Bildung und Erziehung (GBE), Heft 4, 1989, S. 99 – 103)
Spielen nur die Kinder? Diese Frage ist leicht zu beantworten, gehen wir mit offenen Augen durch unser Land. Da formieren sich am Strand spontan Gruppen zum gemeinsamen Volleyballspiel, da können wir sehen, wie Erwachsene erbittert um den Sieg beim Skat oder Canastaspiel kämpfen, da gibt es Schriftsteller, die aus einem ursprünglichen Spiel mit Worten ein Gedicht entstehen lassen, da erleben wir Familien, die mit einem gemeinsamen Würfelspiel den Tag ausklingen lassen, da treffen sich Kollegen in Gruppen des Kulturbundes zum Theaterspiel u. ä. Die Beispiele lassen sich fortsetzen, die zeigen, daß Spielen nicht nur eine Erscheinung in der Kindheit der Menschen ist, sondern daß Spielen zum Leben der Menschen in jeder Altersgruppe gehört, daß Spielen ein Stück menschliche Kultur bedeutet.
So unterschiedlich wie die hier angedeuteten Inhalte der Spiele sind, so unterschiedlich ist auch das Verhalten der Menschen im Spiel. So erleben wir Erwachsene, die mit schimpfenden Worten das Spielfeld verlassen, weil der Mannschaftskamerad beim Volleyballspiel einen Fehler begangen hat, wir erleben Männer und Frauen, die wütend die Karten auf den Tisch knallen, weil sie ein schlechtes Blatt haben und sich vor Nervosität nicht mehr auf das Spiel konzentrieren können und es gibt auch Menschen, die auf Sieg oder Niederlage gelassen reagieren, die Fehler ihrer Spielpartner mit Ruhe und Einfühlungsvermögen ausgleichen – Spiel ist also immer verbunden mit menschlicher Lebensäußerung. Beim Spielen zeigen sich bestimmte Verhaltensweisen, Temperamente, Einstellungen, vor allem die des einzelnen zu seinen Mitmenschen, und andere Persönlichkeitszüge.
Gerade heute, wo die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Land viele Möglichkeiten für einen sinnvolle Freizeitgestaltung/1, S. 69 ff./ und damit auch mehr Möglichkeiten für vielseitige Spieltätigkeiten schafft, wird deutlich, daß die Realisierung vielfältiger Spielinhalte, die Entwicklung eines guten Spielverhaltens und die Schaffung einer zweckmäßigen Spielumgebung, d. h. die Ausprägung einer guten Spielkultur ein gesellschaftliches Anliegen ist.
Eine Aufgabe des Pädagogen ist es: durch die Ausprägung einer guten Spielkultur die Potenzen des Spiels für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder zu nutzen
Bei unseren Kindern ist das Spiel eine durch nichts zu ersetzende Tätigkeit. Diese Einordnung erhält es vor allem des- halb, weil die Kinder im Spiel vielfältige Möglichkeiten der Lebensäußerung erhalten, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Verhaltensweisen ausbilden können und dabei Freude, Spaß und Freiwilligkeit dominieren. Der besondere Wert des Spiels ist in seinem Wesen/2/ begründet. Für die Kinder ist und bleibt es in erster Linie eine eigenständige, freiwillig aufgenommene Tätigkeit, die Selbstzweckcharakter trägt und die ausgezeichnete Möglichkeiten erzieherischer Einflußnahme bietet.
Oft hört man allerdings von Eltern oder Erziehern Klagen darüber, daß die Kinder nicht spielen können, keine Ideen haben es ihnen an der notwendigen Ausdauer mangelt. Worin sind die Ursachen dafür zu sehen? In erster Linie spielt das Kind, um Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu erholen und zu entspannen, mit anderen Kindern soziale Beziehungen einzugehen, aber auch, um die Fülle seines Erlebens zu verarbeiten. „Mangelt es ihm an Eindrücken, so fehlen ihm Anregung und Stoff zum Tätigsein. Dabei ist für das heranwachsende Kind, das hinreichende Einblicke in das Leben der Erwachsenen und in seine nähere Umwelt erhält, fast alles interessant. Um das Gesehene und Gehörte zu ordnen, es sinnvoll in seine Erfahrungen einzubauen, stellt es Fragen und verlangt nach Erklärungen. Der Hauptanteil der Verarbeitung erfolgt jedoch im Spiel.“/3/ Diese Erkenntnis muß genutzt werden, um Konsequenzen für die pädagogischen Führungsmaßnahmen abzuleiten.
Psychische Qualitäten können sich im Spiel herausbilden
In Veröffentlichungen/4/ der Fachzeitschrift wiesen wir bereits auf persönlichkeitsbildende Potenzen hin, die einzelnen Spielarten innewohnen.
Wenden wir uns den Besonderheiten des Spiels im frühen Schulalter zu, so müssen einige weitere wesentliche Aspekte Berücksichtigung finden.
Erstens haben wir es im frühen Schulalter mit einer weiter zunehmenden Differenziertheit des Spiels der Kinder zu tun. Die Unterschiede, zwischen den Kindern nehmen ebenso weiter zu wie die Unterschiede in den einzelnen Spieltätigkeiten jedes Kindes. Die Schülerinnen und Schüler haben zunehmend individuelle Interessenstrukturen. Sie entwickeln eigene Ansprüche an die Selbstbestimmung von Ort, Zeit, Mitteln und Partnern ihrer Spiele. Die von ihnen beherrschte Auswahl von Spielen und auch deren Inhalte sind reicher als im Vorschulalter. Das hängt u. a. damit zusammen, daß die Erlebnisräume der Kinder sich ausweiten. Die zu spielerischer Verarbeitung und Bewältigung drängenden Ereignisse und Eindrücke sind vielfältiger.
Der Hort steht so vor der Aufgabe, ein solches Angebot an Spielgelegenheiten zu schaffen, das der Individualität der kleinen Spieler und damit der Vielfalt der Individualitäten in der Gruppe gerecht wird.
Zweitens werden die sozialen Fähigkeiten der Kinder vielfältiger und qualifizierter. Im frühen Schulalter haben Kinder nicht nur bessere Voraussetzungen zum Spiel mit Gleichaltrigen, sondern auch zum Spiel mit jüngeren oder älteren Kindern. Sie haben Bedürfnisse solche Spiele einzugehen und verfügen bereits über entsprechende Erfahrungen. Im Frühhort, bei der Arbeit mit gemischten Gruppen, bei der variablen Hortgestaltung und vielen anderen Gelegenheiten kann der Entwicklung dieser Fähigkeiten Rechnung getragen werden.
Mit der Herausbildung größerer Fähigkeiten im partnerbezogenen Spiel und im Spiel in größeren Gruppen entwickelt sich auch die Fähigkeit zum Alleinspiel weiter. Diese Fähigkeit ist keineswegs ein Relikt aus der Vorschulzeit, sondern eine Qualität der auch die Erzieherin im Hort große Aufmerksamkeit schenken sollte. Es ist wichtig, sowohl Bedingungen für das individuelle als auch für das kollektive Spiel zu sichern und ein richtiges Verhältnis bei der Auswahl der Spielarten zu wahren. Beobachtungen während des Spiels ermöglichen der Erzieherin wichtige Rückschlüsse auf psychische Besonderheiten eines Kindes.
Drittens zeigen bereits Ende des Vorschulalters die Kinder die Tendenz, spontan Spielgruppen zu bilden, in denen gruppeninterne Kommunikations- und Interaktionsmuster vereinbart werden. Es gibt eine Sprache, Gesten, Verhaltensweisen, die sich dem außenstehenden Erwachsenen, aber auch den nicht einbezogenen Kindern, nicht immer erschließen. Das wird gelegentlich mit Mißtrauen beobachtet, zumal wenn Spiele gespielt werden, die die Kinder vor Außenstehen, den verbergen wollen, die einen ungewöhnlichen, nicht üblichen Sprachgebrauch erfordern oder sonst den Erwachsenen „verdächtig“ sind. Für die Entwicklung sozialer Fähigkeiten sind solche Gruppen sehr wichtig, denn sie geben den Kindern Gelegenheit, weitere sozialpsychologische Mechanismen des Zusammenlebens kennenzulernen. Die Erzieherin gibt keineswegs die pädagogische Führung auf, wenn sie diesen spontanen Gruppen Platz gibt. Wichtig ist, daß sie weiß, was geschieht und die Entwicklung solcher Spiele gut beobachtet, um sie positiv nutzen zu können.
Viertens entwickelt sich auch die Fähigkeit, sich an vorhandene Spielwelten anzupassen. Das heißt, die Kinder sind zunehmend imstande, ihre Wünsche und Spielbedürfnisse in das herrschende Regime im Hort einzuordnen. Das schließt keineswegs aus, daß die Kinder dabei ihren Spaß haben. Sie lernen es aber, eben gelegentlich nur mitzuspielen. Sie machen die Erfahrung, daß die Erzieherin Mitspielerin, Partnerin sein kann und ihre Rolle im Spiel eine andere ist als sonst. Das sollte jede Erzieherin, wenn sie mitspielt, unbedingt berücksichtigen, um durch ihr Mitwirken die Aktivität der Kinder nicht zu beeinträchtigen.
Die Kinder passen sich der Art und Weise des Spielens im Hort, das sicher gewissen Besonderheiten (Zeit, Raum usw.) unterliegt, an. Das ist durchaus nicht negativ zu bewerten. Die Erzieherin muß jedoch wissen, daß es für die Kinder andere Umwelten (zu Hause, der Spielplatz im Wohngebiet) und andere Spielmöglichkeiten gibt, die sie miteinander vergleichen. Daraus ergibt sich, daß zur Beurteilung des Spielverhaltens eines Kindes die Betrachtung eines Lebensbereiches, z. B. des Hortes, nicht hinreichend ist. Deshalb ist es so wichtig, bei der Bewertung von Verhaltensqualitäten wie Ausdauer, Konzentration oder Kooperativität möglichst alle Lebensbereiche der Kinder zu berücksichtigen.
So finden wir bestätigt, was als Grundprinzip sozialistischer Erziehung gilt: Träger des Erziehungsprozesses ist die ganze Gesellschaft, also nicht Elternhaus, Schule oder Hort für sich, sondern erst im Zusammenwirken aller unter Nutzung der günstigen Voraussetzungen können dauerhafte Erziehungsergebnisse erreicht werden.
Einige Aspekte zur Ausprägung der Spielkultur in der Hortgruppe
Um die Potenzen des Spiels für die Persönlichkeitsentwicklung voll nutzen zu können, ist es notwendig, eine gute Spielkultur auch im Hort zu gewährleisten, d. h., die Kinder in der Spieltätigkeit so zu lenken, daß die Vielseitigkeit beim Spiel, das entsprechende Verhalten im Spiel und die Einbeziehung der ästhetischen und zweckmäßigen Spielumwelt gewährleistet sind. Dabei sollen folgende Sachverhalte besonders berücksichtigt werden:
Erstens kommt der Bezugsperson, also derjenigen Person, die am Spiel der Kinder in irgendeiner Weise beteiligt ist, besondere Bedeutung zu. Im Hort ist es die Erzieherin, die geeignete Impulse für das Spiel gibt, den Kindern hilft ihre Spielideen zu verwirklichen oder neue Spiele vorstellt. Dabei kommt es auf ihr Geschick und Einfühlungsvermögen an, daß die Kinder die pädagogische Führung nicht als störend empfinden, das Spiel wirklich eine Eigenveranstaltung bleibt. Gut beraten sind die Erzieherinnen, die die Kinder spielen lassen, so lange das Spiel schöpferisch ist und keine Langeweile aufkommt, und nur dann eingreifen, wenn es stagniert oder in unerwünschte Bahnen (z. B. Raufereien) gerät.
Nun wissen wir, daß die Kinder Spiele und spielen nicht nur im gemeinsamen Spiel mit Erwachsenen erlernen. Darum ist es zweitens besonders wichtig, die Entstehung von Spieltraditionen auch im Hort zu ermöglichen. Die Tradierung, die Weitergabe von bestimmten Spielen von den älteren auf die jüngeren Kinder, aber auch die Verbreitung von Spielen innerhalb einer Gleichaltrigenpopulation ist dabei sehr bedeutsam. Viele Spiele der Kinder von heute kennen selbst ältere Erzieherinnen noch aus ihrer eigenen Kindheit. Manches verliert sich leider. Murmelspiele z. B. sind vielen Kindern heute nicht mehr vertraut.
Drittens heißt Spielkultur auch, die Kinder mit einer Vielfalt inhaltsreicher Spiele vertraut zu machen, um sie in die Lage zu versetzen, aus einem reichen Repertoire schöpfen sowie die bekannten Spiele ausbauen oder weiterentwickeln zu können. Wichtig ist, alle Spielarten (Rollenspiel, Bau- und,.. Konstruktionsspiele, Regelspiele und didaktische Spiele) /4/ im Tages- und Wochenablauf der Kinder im Hort zu berücksichtigen.
Dazu gehört auch das Ausschalten von Spielen mit inhumanen Inhalten (Spiele, die den Krieg, Gewalt und Völkerhaß verherrlichen), von denen einige durchaus den Weg aus westlicher Richtung in manche unserer Familien finden. Auch über die elektronischen Massenmedien erhalten die Kinder vielfältige Informationen über Krieg, Gewalt, Katastrophen u. ä. Es wäre falsch, dem Bedürfnis der Kinder, Erlebtes und Gesehenes spielerisch zu verarbeiten, mit .formalen Verboten entgegenzutreten. Hier muß die geschickte und zielgerichtete Führung der Pädagogen einsetzen. Gerade für die Erzieher im Hort heißt das, sehr wachsam zu sein, mit Lehrern und Eltern gut zusammenzuarbeiten, um den Kindern die richtige Auseinandersetzung mit unserer komplizierten Welt zu ermöglichen.
Viertens geht es um‘ die Gestaltung der materiellen Bedingungen des Kindes. Das betrifft die Gestaltung der Spielräume, Spielzeiten, Spielmaterialien und Spielzeuge. Das sind für die Kinder wichtige Bedingungen, die sie für die Schaffung ihrer „Spielwelten“ brauchen. In der Schule ist ein solches Umfeld für das Kind z. B. die Pause oder am Nachmittag die Freizeitgestaltung im Hort. Viele Spiele können im Freien durchgeführt werden. Deshalb sollte bereits bei der Planung der Tätigkeiten berücksichtigt werden, welche unbedingt im Raum stattfinden müssen, welche in der Turnhalle, , in Spielfluren, auf dem Spielplatz, im Wald oder anderswo stattfinden können. Es ist notwendig, hierzu auch die Meinung der Kinder zu hören und ihre Wünsche zu berücksichtigen.
Für die Spielzeiten gilt, den Kindern so viel zusammenhängendes Zeitvolumen wie möglich zur Verfügung zu stellen. Als eine günstige Variante in Klasse 1 erweist sich die Verlagerung der Hausaufgaben auf den Vormittag, um dadurch viel Freizeit für die Kinder am Nachmittag zu gewährleisten, die auch für das Spiel genutzt werden kann.
Den Kindern sollten ausreichende Spielmaterialien und Spielzeuge zur Verfügung stehen. Das kann vor allem erreicht werden, wenn verantwortungsbewußt mit den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln umgegangen wird und die zentralen Bestell- und Liefermöglichkeiten noch besser als bisher genutzt werden.
Durch die Sicherung guter Zugriffsbedingungen wird sich die Selbständigkeit im Umgang mit den Materialien erhöhen, wodurch wiederum mehr Gebrauch davon gemacht werden wird. Viel schönes Spielzeug, das in verschlossenen Schränken liegt, nützt den Kindern gar nichts. Sie wollen und sollen damit tätig sein. Deshalb ist es bedeutsam, daß die vom Staat geschaffenen Bedingungen umfassend genutzt werden, also Spielzeug nicht geschont wird, weil es wertvoll und teuer ist, sondern gerade weil es wertvoll und teuer ist, den Kindern zum Spielen übergeben wird.“/5/
/1/ Xl. Parteitag der SED. Bericht des Zentralkomitees. Berichterstatter Erich Honecker. – Berlin 1986
/2/ Kislat, G./ Otto, Kh.: Tätigkeiten und ihre Funktion bei der psychologischen Entwicklung im frühen Schulalter. – In: Pädagogik. – Berlin 38 (1983)5, S. 418-426:
/3/ Salz, I./ Pätzolt, H.: Spielen – ein Kinderspiel“? -In: Elternhaus und Schule. – Berlin 34 (1985)9, S. 18-20.
/4/ Otto, Kh.: Hauptarten der kindlichen Spiele und deren ontogenetische Bedeutung. – In: Ganztägige Bildung und Erziehung. – Berlin 25 (1987)4, S.81-86.
Lau, E.: Das Spiel für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder nutzen. – In: Ganztägige Bildung und Erziehung. – Berlin 28 (1988), S. 127-131.
/5/ Leiteritz, B.: Spielzeug ist zum Spielen da. – In: Ganztägige Bildung und Erziehung. – Berlin 22 (1985), S. 321-322.